China:Offene Rechnung

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Erst brachte der Immobilienboom Chinas Kommunen viel Geld. Der ist vorbei. Was bleibt, sind extreme Schulden. Die Regierung sucht Lösungen.

Von Marcel Grzanna, Shanghai

Der Wunsch der Chinesen nach ihren eigenen vier Wänden hat die Wirtschaft der Volksrepublik über ein Jahrzehnt lang fast alleine getragen. Das Jahr 2015 bedeutete den Wendepunkt und bremste die Konjunktur so schnell ab, wie es in den vergangenen 30 Jahren sonst nur bei globalen Finanzkrisen der Fall war. Die Wirtschaftsleistung blieb hinter den Planzielen der Regierung zurück, obwohl diese extrem vorsichtig kalkuliert hatte.

Dass die goldenen Zeiten im chinesischen Immobiliensektor irgendwann vorbei sein mussten, bezweifelten nur noch Naivlinge. Wie abhängig die chinesische Wirtschaft vom Hausbau ist, offenbarte sich in den vergangenen zwölf Monaten so deutlich wie nie zuvor. Wohnungen gibt es längst mehr als genug. 60 Millionen sollen landesweit leer stehen. Eine Konsequenz war, dass chinesische Anleger für riesige Mengen Kapital einen neuen Platz suchten und an der Börse landeten. Im Sommer dann platzte die Blase, die Kurse brachen ein.

Die Regierung sucht nach Lösungen, damit es nicht zur Finanzkrise kommt

Gegen die Krise an der Börse kämpft Peking bis heute. Trotz Stützkäufen in Höhe dreistelliger Milliardendollarbeträge, Handels- und Emissionsverboten oder neuen Fallschirmmechanismen bleibt der Aktienmarkt dramatisch fragil. Mehr noch: Die neue Normalität in der Immobilienbranche bringt ein großes Problem ins Bewusstsein zurück: die Verschuldung. Kommunen verkauften Land, das zum Bau neuer Immobilien gebraucht wurde. Dies war die Haupteinnahmequelle der Kommunen, die tief in der Kreide stehen. "Die lokalen Behörden sind diejenigen Organisationen in China, die am meisten verschuldet sind. Es ist eines der verzwicktesten Probleme, die das Land zu lösen hat", sagt Andy Xie, ehemaliger Chefökonom bei Morgan Stanley Asien-Pazifik. Denn jetzt drängt sich die Frage auf, wie die Schulden beglichen werden sollen, wenn die Landverkäufe als Einnahmequelle versiegen.

Freie Grundstücke in erstklassiger Lage sind nach den Exzessen der vergangenen Jahre kaum noch vorhanden. Land zur Bebauung wurde weniger nachgefragt. Folglich sanken auch die Erlöse aus den Landverkäufen, mit der lokale Regierungen vornehmlich ihre Haushalte finanzieren und ihre Schulden begleichen. Deswegen versuchen sie, die Preise mit allen Tricks hochzuhalten. Eine Studie der Deutschen Bank ergab, dass eigens gegründete Finanzierungsgesellschaften von lokalen Regierungen im Jahr 2014 in der Provinz Jiangsu in fast der Hälfte aller Landauktionen als Käufer aufgetreten sind. Die Regierungen veräußerten die Grundstücke also an sich selbst und manipulierten damit die Nachfrage.

Fast drei Millionen Yuan spendierten Unternehmer in der chinesischen Provinz Henan für die 36,6 Meter hohe Statue von Mao Zedong. (Foto: Reuters)

Städte und Kommunen haben seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 ein gewaltiges Volumen an Krediten aufgenommen, die sie am liebsten mit Grund und Boden absicherten. Mit dem Geld modernisierten sie einerseits die Infrastruktur maroder Regionen, aber finanzierten auch achtspurige Autobahnen im wenig besiedelten Hinterland, klotzige Opernhäuser für eine Handvoll Aufführungen pro Jahr oder protzige Regierungsgebäude für das eigene Selbstwertgefühl. Den Banken war es jahrelang egal, ob ein Projekt sinnvoll war oder nicht. Die Großkredite bescherten ihnen riesige Profite. Die Schuldenquote kletterte laut Morgan Stanley von 158 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in 2007 auf 282 Prozent im Jahr 2014. Die Wirtschaftsleistung verdoppelte sich in dieser Zeit auf neun Billionen US-Dollar.

Grundstücke sind in China Eigentum des Staates. Wer dort bauen will, kann sich den Boden allenfalls leihen. Städte und Kommunen nutzten die Euphorie auf dem Immobilienmarkt, um das Land ihres Verwaltungsgebiets zu Höchstpreisen abzutreten. Die Gewinne aus den Wohnungsverkäufen waren für die Entwickler lange Zeit so hoch, dass sie bereit waren, nahezu jeden Preis zu zahlen. Gerne machten Entwickler und Behörden auch gemeinsame Sache. Sie trieben den Preis eines einzelnen Grundstücks gemeinsam so absurd in die Höhe, um den Wert des Landes drumherum ebenfalls in die Höhe zu treiben. Das verschaffte den Behörden bei den Banken Zugang zu noch höheren Krediten für noch größere Projekte, deren Wirtschaftlichkeit zweifelhaft war.

Doch weil es aus rechtlichen Gründen nicht die Behörden waren, die Kredite aufnahmen, sondern deren Finanzierungsvehikel, ist völlig unklar, wie hoch die Schulden der lokalen Regierungen tatsächlich sind. Niemand kann das angesichts der verworrenen Strukturen nachvollziehen. Schätzungen belaufen sich auf fünf bis sieben Billionen US-Dollar. Kritiker bezweifeln, dass die örtlichen Kader ihre Schulden überhaupt abtragen wollen. "Die Kommunen verlassen sich auf die Zentrale in Peking oder die Banken. Sie glauben, irgendeiner wird sich schon um ihre Schulden kümmern", sagt der unabhängige Immobilienexperte Yi Xianrong, der bis 2007 für die Chinesische Akademie der Wissenschaft gearbeitet hat.

In China wurde jahrelang viel gebaut, nun stehen Gebäude massenhaft leer. (Foto: Aly Song / Reuters)

In der Vergangenheit lief es ähnlich. In den 90er-Jahren hatten die Banken auf Pekings Geheiß das Land mit Krediten geschwemmt, von denen viele nicht zurückgezahlt werden konnten. Der Staat half aus. 2003 ebenso: Wieder übernahm die Zentralregierung faule Kredite, um die Liquidität der Banken zu sichern. Peking hat in den vergangenen Jahren signalisiert, dass lokale Banken selbst dafür verantwortlich sind, wie sie aus den Schulden herauskommen, wenn sie arglos verleihen.

Das Risiko dabei ist, dass Provinzen und Kommunen das Geld ausgehen könnte für neue Projekte. Ob Chinas Konjunktur diese Zwangspause verkraftet, ist fraglich, und die möglichen sozialen und politischen Folgen eines Absturzes für die Machthaber sind unvorhersehbar. Schlimmstenfalls muss die Kommunistische Partei um ihr Machtmonopol bangen. Peking sucht nach Lösungen, damit die Verschuldung nicht in eine Finanzkrise mündet. Ein Ansatz ist der Anleihenmarkt, auf dem lokale Regierungen ihre kurzfristigen Verbindlichkeiten zu langfristigen umbauen sollen.

Doch auch hier stellt sich die Frage, ob die örtlichen Genossen beabsichtigen, ihre Schulden zurückzuzahlen. "Die lokalen Regierungen empfinden keinerlei Verantwortung. Sie hoffen einfach, dass das Kartenhaus nicht zusammenbricht. Nur wenn es so weitergeht, dann wird alles nur noch schlimmer", sagt Yi Xianrong. Alternativ ist die Privatisierung staatlichen Eigentums im Gespräch. Der bisherige Entwurf für eine Reform ist jedoch halbherzig, weil er private Teilhabe nur projektweise gestattet, nicht aber die substanziellen Besitzverhältnisse in staatlichen Unternehmen verändert. Skeptiker fürchten, dass diese Form der Privatisierung allenfalls neue Quellen für eine Schuldenaufnahme liefert und das Problem noch weiter vergrößert.

© SZ vom 04.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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