China: G-20-Treffen:Ein unspektakulär spektakuläres Treffen

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Erstmals findet eine G-20-Konferenz auf chinesischem Boden statt. Damit übernimmt China eine Verantwortung, von der die Führung des Landes bislang nichts wissen wollte.

Claus Hulverscheidt, Nanjing

Es gibt Ereignisse und Veranstaltungen im internationalen Politikbetrieb, deren Botschaft allein darin besteht, dass sie überhaupt stattfinden. Das erste Treffen der beiden deutschen Regierungschefs Willy Brandt und Willi Stoph im Jahr 1970 war eine solche Begebenheit, die Reise des ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat nach Israel sieben Jahre später ebenso.

China hat nur seinen Vizepremier Wang Qishan zum G-20-Treffen geschickt. (Foto: dpa)

Dass an diesem Donnerstag erstmals eine Konferenz der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) zur Reform des Weltwährungssystems auf chinesischem Boden stattfand, mag angesichts solcher Ereignisse von wahrhaft historischem Rang wenig spektakulär erscheinen. Aus ökonomischer Sicht jedoch könnte die Bedeutung dieses Treffens kaum größer sein: China macht damit nicht nur deutlich, dass es endgültig im Kreis der bedeutendsten Volkswirtschaften angekommen ist. Vielmehr räumt die Führung in Peking auch erstmals ein, dass sie eine Schlüsselrolle bei der Reform des globalen Währungssystems spielen muss. Bis vor kurzem hatte die asiatische Großmacht schlichtweg bestritten, dass die Dauer-Manipulationen, die sie am Wechselkurs des Renminbi vornimmt, irgendein Problem darstellen. Die USA und die Europäer klagen hingegen, China verschaffe sich mit einem künstlich niedrig gehaltenen Wechselkurs Wettbewerbsvorteile auf den großen Exportmärkten.

China hat sich also aufgemacht, der Weg bis zum Ziel bleibt jedoch weit. Das zeigen nicht nur die protokollarischen Kniffe, derer sich Peking bediente, um die Erwartungen an die G-20-Konferenz im allgemeinen und die Gastgeber im besonderen von Beginn an herunterzudimmen: Statt in der Hauptstadt fand die Konferenz in der südostchinesischen Metropole Nanjing statt, eröffnet wurde sie nicht von Staatspräsident Hu Jintao, sondern von dessen französischen Amtskollegen Nicolas Sarkozy, der derzeit den G-20-Vorsitz innehat. Hu schickte lediglich einen Vize-Premier nach Nanjing.

Dennoch nutzte Sarkozy die Gelegenheit, den Gastgebern, aber auch den anwesenden Finanzministern, Notenbankpräsidenten und Top-Ökonomen aus aller Welt ins Gewissen zu reden. Das Weltwährungssystem müsse stabiler werden, wie die Turbulenzen der vergangenen Jahre gezeigt hätten, sagte der Präsident. Die massiven Kursschwankungen an den Devisenmärkten beispielsweise seien ein permanenter Krisenherd, oft habe das Auf und Ab mit der Entwicklung der Realwirtschaft wenig bis gar nichts zu tun. "Entweder", so Sarkozy, "wir erleben Währungskrieg und Krise, oder wir entscheiden uns für Koordination und Zusammenarbeit."

Nicht so pathetisch, dafür konkreter äußerte sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der ebenfalls nach Nanjing gereist war. Er will Währungsfragen künftig nicht mehr im exklusiven Club der sieben führenden Industrienationen (G7) besprechen, sondern wichtige Schwellenländer hinzuziehen, beispielsweise die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China). Außerdem soll die G7 in Zusammenarbeit mit der Weltbank die Voraussetzungen dafür schaffen, dass in den Schwellenländern lokale Anleihemärkte entstehen.

Die Idee: Wenn Regierungen und Unternehmen Schuldverschreibungen in lokaler Währung ausgeben könnten, wären sie nicht mehr so abhängig von ausländischen Geldgebern. Diese nämlich überschwemmen einzelne Staaten oft mit Geld, ziehen dieses bei der geringsten Unsicherheit aber ebenso schnell wieder ab. Im Jahr 1990 etwa strömten eine Billion US-Dollar auf der Suche nach der renditeträchtigsten Anlage um die Welt. 2007 waren es zehn Billionen Dollar, 2008 - im Jahr der globalen Finanzkrise - wieder eine Billion. Sarkozy sprach von "brutalen Veränderungen", die gefährlich und durch nichts zu rechtfertigen seien.

Im G-20-Kreis wird deshalb darüber gesprochen, ob einzelne Länder bei stark schwankenden Finanzströmen Kapitalverkehrskontrollen einführen sollten. Allein daran zeigt sich, dass die Debatte über eine neue Weltwährungsarchitektur kein bloßes Gerede ist, denn der Begriff Kapitalverkehrskontrollen war in der Welt der G-7-Finanzminister und Notenbankchefs lange Zeit ein Unwort. In der Vergangenheit bedeuteten solche Kontrollen nämlich meist, dass westliche Investoren in dem betroffenen Land plötzlich nicht mehr an ihr Geld kamen. Mittlerweile läuft die Diskussion in der G20 jedoch genau anders herum: Die Schwellenländer wollen im Notfall nicht mehr die Ausfuhr ausländischen Kapitals beschränken, sondern die Einfuhr. Preis- und Spekulationsblasen, so die Hoffnung, könnten so erst gar nicht entstehen.

Überwacht werden sollen die Kapitalströme künftig vom Internationalen Währungsfonds (IWF), der zudem analysieren soll, welche Folgen währungspolitische Beschlüsse eines Landes für den Rest der Welt haben können. Einseitige Entscheidungen zu Lasten Dritter, wie sie etwa China in der Vergangenheit getroffen hat, würden so erschwert. Diskutiert wird auch, ob der gerade in Deutschland so umstrittene Euro-Schutzschirm ein Vorbild für andere Weltregionen sein kann und was einzelne Länder mit ihren gigantischen Devisenreserven vorhaben könnten. Weltweit haben sich diese Reserven in den letzten zehn Jahren auf neun Billionen US-Dollar verfünffacht. Fast drei Billionen Dollar davon hält allein die chinesische Regierung. In Europa wird in diesem Zusammenhang auch überlegt, ob der Renminbi schrittweise in das Weltwährungssystem integriert werden kann - beispielsweise indem er zunächst Teil des Währungskorbs wird, auf dem die IWF-Kunstwährung SZR basiert. Die USA lehnen dies jedoch ab: Sie verlangen eine völlige Freigabe des Wechselkurses und eine unabhängige Notenbank in China.

Sarkozy mahnte in Nanjing, sich nicht untereinander zu zerstreiten, sondern die nötigen Reformen jetzt entschlossen anzugehen. "Wenn Sie es nicht tun", sagte er direkt an seine Zuhörer gerichtet, "wird es niemand tun."

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