China:Die große Versuchung

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Ein Muss-Termin für Automanager: Daimler-Chef Dieter Zetsche bei einem Auftritt auf der großen Automesse in Peking 2016. (Foto: Zhang Ruomeng/Imaginechina/AP)

Der asiatische Markt ist für viele westliche Konzerne schlicht viel zu groß, um ihn links liegen zu lassen. Also betreiben die Unternehmen ein Marketing, wie es Peking gefällt.

Von Thomas Fromm und Helmut Martin-Jung, München

Wer genau damit angefangen hatte, lässt sich heute nur schwer sagen. Es könnte Audi-Chef Rupert Stadler gewesen sein, der schon vor Jahren von China als einem "zweiten Heimatmarkt" sprach. Nach Stadler begannen dann auch andere Autobosse, von einer neuen, einer zweiten Heimat zu sprechen. Wobei dies nie so ganz gleichzusetzen war mit dem Begriff der "Wahlheimat" - es ging von Anfang an um einen Riesenmarkt, auf dem Riesengeschäfte gemacht werden. Eine zweite Heimat also, die irgendwann wichtiger wurde als die erste Heimat.

Rund ein Drittel ihrer Autos haben BMW, Daimler und der Volkswagen-Konzern einer Studie des Beratungsunternehmens Ernst & Young (EY) zufolge im vergangenen Jahr in China verkauft. Vor knapp zehn Jahren war es noch die Hälfte. Wenn Daimler also heute meint, sich für ein Werbefoto mit einem Spruch des Dalai Lama offiziell in Peking entschuldigen zu müssen, und kleinlaut erklärt, man wolle "Chinas Souveränität und territoriale Integrität" nicht verletzen, dann geht es dabei vor allem um eines: um die rund 600 000 Autos, die im vergangenen Jahr auf dem Milliardenmarkt verkauft wurden. Das Geschäft muss weiterlaufen - Haben oder Nichthaben in Zeiten, in denen der europäische Markt auch nicht mehr ist, was er mal war.

Fürs große Geschäft nehmen die Firmen viel in Kauf, auch Joint Ventures und E-Auto-Kontingente

Für das große Chinageschäft nehmen die Konzerne vieles in Kauf: örtliche Joint-Venture-Partner mit oft nur schwer durchschaubaren Strategien, eine rigorose Planwirtschaft, eine Elektroauto-Quote, mit der die chinesische Regierung Hersteller zur Produktion von E-Autos und Plug-in-Hybriden verpflichtet und Mindestziele beim Anteil von alternativen Antrieben vorgibt. Die deutschen Konzerne, sonst Meister beim Lobbying in eigener Sache, machen bei alldem mit, der Markt ist einfach zu groß. Dass man sich nun auch die Werbung vorschreiben und den Dalai Lama aus dem Programm streichen lässt, hat allerdings eine neue Qualität.

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass sich deutsche Manager Gedanken über den Dalai Lama machen. Schon vor einigen Jahren hatte die Deutsche Post darauf verzichtet, Briefmarken mit dem Bild des Tibeters herauszugeben. Am Bild hatte es wohl kaum gelegen. Kritiker meinten, die Briefmarken-Diplomatie könne etwas mit den wachsenden Logistik-Aktivitäten des Unternehmens in China zu tun haben.

Auch die großen IT-Konzerne sind auffällig rücksichtsvoll, wenn es um chinesische Befindlichkeiten geht. So ist das Land auch für den iPhone-Konzern Apple ein äußerst wichtiger Markt, der wichtigste nach den USA und Europa. Obwohl die Firma sich sonst gerne damit brüstet, sich für die Rechte der Nutzer einzusetzen und sich zum Beispiel weigerte, dem FBI beim Entsperren des Handys eines Terrorverdächtigen zu helfen - in China sieht die Sache anders aus. Da hat Apple im vergangenen Sommer gleich mehrere Hundert Apps aus seinem Download-Angebot für chinesische Nutzer entfernt. Mit den Apps konnte man verschlüsselt kommunizieren und so durch die "Great Firewall" schlüpfen - also die digitale Überwachungsapparatur des chinesischen Staates austricksen. Das wird nun immer schwieriger, vor allem für Menschen, die nicht so bewandert sind in Sachen IT. Apple-Chef Tim Cook verteidigte den einschneidenden Schritt ziemlich matt: Er hoffe, dass mit der Zeit einige dieser Apps wieder zurückkommen. "Ich hoffe fest darauf und bin da sehr optimistisch." Es sei besser, im Land zu bleiben, denn "von draußen ändert sich nie etwas". Jedes Land bestimme eben selbst über seine Gesetze und Regeln.

Finanziell hatte sich der Kotau vor der Staatsmacht für Apple ausgezahlt. Nach mehreren Quartalen, in denen die Umsätze zurückgegangen waren, legte der Konzern im jüngsten Quartal im chinesischen Markt um fünf Prozent zu. Der Marktanteil von Android-Geräten sank im selben Zeitraum um genau diese fünf Prozent. Android-Hersteller Google hatte sich 2010 aus China weitgehend zurückgezogen, unter anderem wegen Problemen mit der Zensur. Doch im vergangenen Jahr unternahm der Konzern Schritte, um wieder Fuß zu fassen in diesem gigantischen Markt. Google eröffnete ein Forschungszentrum für künstliche Intelligenz in Peking. Nutzer in China haben außerdem wieder Zugriff auf den Kartendienst Maps, der dort lange gesperrt war.

Der chinesische Markt ist wohl doch zu groß, um ihn links liegen zu lassen.

Mit Daimler ist es nun so gekommen, wie es kommen musste: Nach der Entschuldigung in China sieht man sich nun heftiger Kritik anderswo ausgesetzt, zum Beispiel in Deutschland. Das alles passiert zu einer Zeit, in der über den Einstieg eines chinesischen Milliardärs bei den Stuttgartern spekuliert wird. Li Shufu, Gründer des chinesischen Autokonzerns Geely, könnte Gerüchten zufolge Anteile an Daimler kaufen und sogar zum größten Aktionär des Stuttgarter Dax-Konzerns aufsteigen. Ein chinesischer Milliardär, der sein Geld in den Autokonzern mit dem Stern pumpt, und damit Türen auf Chinas Automarkt aufmachen könnte - auch dies könnte ein Grund dafür sein, warum die Sache mit dem Dalai Lama gerade nicht ins Konzept passt.

© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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