China:Die alte Krankheit

Lesezeit: 3 min

Der Erfolg der kommunistischen Partei Chinas beruhte auf einem Pakt mit der Bevölkerung: Ihr haltet euch aus der Politik raus, wir sorgen dafür, dass die Wirtschaft brummt. Dieser Pakt ist in Gefahr.

Von Christoph Giesen

Das gibt es nur in China: Da verkündet die nationale Statistikbehörde ein Wachstum von sieben Prozent, trotzdem fallen die Börsenkurse. Bis zu einem Drittel sind die Notierungen in den vergangenen Wochen bereits zurückgegangenen, Tausende Aktien wurden vom Handel ausgesetzt, von der Regierung angeordnete Stützkäufe fruchteten nicht. Das alles zeigt: Die Entwicklungen an der chinesischen Börse sind abgekoppelt von der Realwirtschaft. Dennoch könnten die jüngsten Kursstürze zur Gefahr für Chinas Führung werden.

Ein Hemmschuh für dringend notwendige Reformen. Seit knapp drei Jahren sind Parteichef Xi Jinping und sein Premier Li Keqiang nun an der Macht. Rasch stand fest, dass sie China ökonomisch verändern wollen, ja wahrscheinlich sogar müssen. Ihre Vorgänger Hu Jintao und Wen Jiabao hatten Reformen vor sich hergeschoben. Manch einer in Peking bezeichnete den scheidenden Parteichef Hu Jintao in seinen letzten Tagen im Amt gar als chinesischen Breschnew. Der Echte war von 1964 bis zu seinem Tod 1982 Generalsekretär der KPdSU. Er hinterließ ein Land, das wirtschaftlich nicht mehr zu reformieren war.

Dass Chinas Wirtschaft vor allem grüner und innovativer werden soll, ist vielen klar, doch die Umbauarbeiten müssen am laufenden Motor gemacht werden. Das Wachstum darf nicht abgewürgt werden, schließlich beruht der Erfolg der Kommunistischen Partei im Wesentlichen auf einem unausgesprochenen Pakt zwischen der Bevölkerung und der Staatsführung: Ihr haltet euch aus der Politik raus und wir sorgen dafür, dass die Wirtschaft brummt. Seit dem Tiananmen-Massaker gilt diese Vereinbarung.

Wie schwer es ist, Wachstum und Reformen zu vereinbaren, das zeigt der chinesische Bankenmarkt. Auf dem Papier ist das System recht einfach strukturiert: Es gibt vier große Staatsbanken und einige kleinere Institute, allen geht es seit Jahren prächtig, denn der Staat legt die Höhe der Zinsen fest. Das Problem: Welche Firma in China ein Darlehen bekommt, bestimmt de facto diese Viererbande. In der Regel versorgen sie die großen Staatsunternehmen. Einen Kreditausfall müssen sie kaum befürchten, der Staat haftet ja. Der Mittelstand kommt zu kurz. Gerade einmal 19 Prozent der Kredite werden an kleinere und mittlere Unternehmen vergeben, dabei bilden die längst das Rückgrat der chinesischen Wirtschaft. Der Mittelstand beschäftigt 80 Prozent der Arbeitnehmer und erwirtschaftet 65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zwei Jahre lang versuchten Xi und Li das Monopol der Staatsbanken zu brechen - vergeblich. Die Lösung schien der Aktienmarkt zu sein, und mit ihm die Vermögen der chinesischen Sparer.

So sollte der Mittelstand mit frischem Geld versorgt werden. Wer in China Geld anlegen möchte, hat kaum Möglichkeiten. Die Zinsen auf den Sparkonten sind mickrig, ins Ausland dürfen pro Jahr umgerechnet nur etwa 40 000 Euro gebracht werden, bleiben also lediglich Immobilien oder eben Aktien. Kurzfristig funktionierte das. Nun steht das Börsenabenteuer jedoch vor einem jähen Ende.

Und auch die Reformen? Premier Li Keqiang spricht dieser Tage gerne von "neuer Normalität" und meint damit, dass die zweistelligen Wachstumsraten der zurückliegenden Jahrzehnte der Vergangenheit angehören. Sechs, sieben Prozent darum geht es jetzt. Statt auf Geschwindigkeit zu setzen, müsse China vor allem qualitativ wachsen, predigt Li. Da ist etwas dran. Lange Zeit hatte Chinas Führung das Wachstum künstlich hochgehalten, nach der Bankenkrise in Europa und den Vereinigten Staaten legten Hu Jintao und sein Premier Wen Jiabao ein gigantisches Konjunkturprogramm auf, um die Einbrüche im Exportgeschäft abzufedern. Milliarden flossen in den Ausbau des Hochgeschwindigkeitszugnetzes, neue Flughäfen wurden errichtet und Autobahnen geteert. Die Folge: Die Verschuldung der Kommunen und Provinzen stieg immens. Auch viele Staatskonzerne haben seitdem hohe Forderungen in den Büchern.

Mit dem Börsenboom sollte sich auch das ändern. Eine Milchmädchenrechnung.

Allmählich bekommen die ersten Unternehmen die Probleme am Aktienmarkt zu spüren. Die Autoindustrie beklagt bereits Absatzrückgänge. Geht das so weiter, dürfte der Binnenkonsum in China merklich leiden. Und dann könnten nur noch staatliche Investitionen das Wirtschaftswachstum aufrechterhalten. Da verwundert es kaum, dass das vermeintliche Reformerduo Xi und Li vor Kurzem neue Investitionen in die Infrastruktur von mehr als 100 Milliarden Euro bekannt geben hat. Es ist die alte Krankheit. Die notwendigen Reformen hat man wieder einmal vertagt.

© SZ vom 21.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: