China:Das Buch zur Blase

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Immobilienboom mit staatlichem Segen: Wohnkomplexe in Shanghai. (Foto: Qilai Shen/Bloomberg)

Einer der renommiertesten Ökonomen des Landes schlägt Alarm: Wenn die Wirtschaft nicht bald umgebaut wird, droht ein Fiasko. Viele Reformer im Apparat sind Zhu Ning dankbar für seinen Weckruf.

Von Christoph Giesen, Peking/München

Wie oft hat er es selbst erlebt: Man trifft sich zum Abendessen mit Freunden in einem Restaurant in Peking oder in Shanghai, und schon nach wenigen Minuten reden alle nur noch über Immobilien. Die Preise seien zu hoch, eine neue Wohnung, nein, das sei kein gutes Investment mehr, hört man. Irgendwann fragt dann immer einer: Was das beste Geschäft der vergangenen Jahre gewesen sei? Na klar, Immobilien, antwortet dann die Runde. "Hat jemand schon einmal Geld bei einem Immobiliendeal verloren?" Kopfschütteln. Und dann? Dann gehen die Freunde nach dem Essen nach Hause und kaufen sich weiter ein in Chinas Immobilienmarkt.

Diese Szene beschreibt Zhu Ning, einer der renommiertesten Finanzwissenschaftler Chinas, in seinem Buch "China's Guaranteed Bubble" - Chinas garantierte Blase. Es ist das Buch zur Krise. Seit Januar 2016 ist es in China auf dem Markt. Inzwischen liegt es auch auf Englisch vor. Binnen der ersten Tage verkaufte es sich 10 000 Mal. Doch dann nahm der Verlag auf Wunsch der Behörden das Buch aus dem Handel. Angeblich mussten ein paar Statistiken erneuert werden.

Jetzt ist das Buch wieder in China erhältlich, und Zhu geht damit auf Lesereise. Selbst in der Zentralbank hat er vor Kurzem gelesen. Das Feedback sei durchweg positiv gewesen. Vor allem die Reformer im Apparat seien ihm dankbar, dass er die Schwierigkeiten und Hürden klar benenne, sagt Zhu.

Eines dieser Probleme seien die Garantieversprechen der Regierung. Das führe zu wilden Spekulationen. Beispiel Kapitalmarkt: Völlig abgekoppelt von der Realwirtschaft stiegen im vergangenen Jahr die Kurse an den Börsen in Shanghai und Shenzhen. Befeuert wurde der Boom von der Parteipresse, die zum Kauf von Aktien riet. Dann kam der Crash. Die Kurse fielen, Millionen verloren ihr Erspartes, und das Vertrauen in Chinas Führung bekam einen Knacks.

Ähnlich sieht es am Immobilienmarkt aus. Eine Dreizimmerwohnung in mittlerer Lage kann in Peking umgerechnet eine Million Euro kosten. Manche Banken bieten inzwischen eine hundertprozentige Kreditfinanzierung an. Die Hoffnung aller, die spekulieren: Die Regierung werde ein Platzen der Immobilienblase schon abwenden. Ein verheerender Glaube.

Die einzige Lösung, sagt Zhu, sei es, die Garantien allmählich zu kassieren. Auch das Edikt, dass die Wirtschaft um mindestens 6,5 Prozent in den kommenden Jahren wachsen müsse, sei falsch. Stattdessen müssten endlich Reformen angepackt werden. Und das fast überall.

In seinem Buch beschreibt Zhu, wie in China alles miteinander zusammenhängt: Die Banken, die Staatskonzerne, die Überkapazitäten und die horrenden Schulden. Da sind zum Beispiel die vier großen Geldinstitute, Spötter nennen sie auch die "Viererbande", gemeinsam mit ein paar kleineren Banken kontrollieren sie den chinesischen Markt. Bis vor Kurzem legte der Staat die Höhe ihrer Zinsen fest. Chinas Sparer bekamen wenig, Kredite wurden mit einem ordentlichen Aufschlag vergeben. Heute sind die Zinsen zwar frei, doch die Geldhäuser halten sich weitestgehend an die alten Sätze. Ein Zins-Kartell hält die Volksrepublik im Griff.

Der Mittelstand muss sich bei obskuren Schattenbanken refinanzieren

Nach der Finanzkrise 2008 rühmten sich die Genossen in Peking, dass ihre Banken unbeschadet davongekommen waren und sich nicht mit toxischen Papieren vollgesogen hatten. Das stimmt, doch die Wahrheit ist auch: Chinas Geldhäuser sind eigentlich keine richtigen Banken, allenfalls staatlich betriebene Pfandhäuser. Damit kein Institut pleitegeht, dürfen nur 75 Prozent Einlagen wieder als Kredite verliehen werden.

Um keinen Ärger zu bekommen, und um die Verwaltungskosten so gering wie möglich zu halten, vergeben viele Banken ihre Kredite am liebsten an Staatskonzerne, denn diese nehmen viel Geld auf einmal ab, und notfalls haftet ohnehin der Staat. Die Folge: Der Mittelstand, das eigentliche Rückgrat der chinesischen Wirtschaft, bekommt kaum Kredite und muss sich bei obskuren Schattenbanken refinanzieren. Wohin das Geld für die Staatsbetriebe derweil fließt, zeigte vor wenigen Wochen eindrucksvoll eine Studie der Europäischen Handelskammer in Peking: In Chinas Werken wird derzeit so viel Stahl wie in Japan, Indien, den USA und Russland zusammen hergestellt.

Die Auslastung der chinesischen Industrie liegt jedoch nur bei 71 Prozent. Auch die Zementindustrie hat enorme Schwierigkeiten und ist nur zu 73 Prozent ausgelastet. Um auf ein halbwegs verträgliches Niveau zu kommen, müssten Tausende Fabriken geschlossen werden.

Was an Überschuss produziert wurde, ging jahrelang in den Export. Damit ist es seit der Finanzkrise vor acht Jahren vorbei. Seitdem gehören die atemberaubenden Zuwächse im Export der Vergangenheit an. Um jedoch weiterhin jährlich zweistellig zu wachsen, machte die Regierung damals Milliarden für Staatsaufträge locker. Flughäfen wurden gebaut, die Städte verschönert, das größte Schnellbahnnetz der Welt entstand. Viele Kommunen sind seitdem verschuldet. Auf 250 Prozent des Bruttoinlandsprodukts taxieren manche Ökonomen die Schuldenquote, andere kalkulieren bereits mit 300 Prozent, je nachdem, wie man rechnet.

"Ohne sinnvolle strukturelle Reformen in der chinesischen Wirtschaft und dem Finanzsektor wird es zu einer Blase kommen", sagt Zhu. "Ich hoffe, dass dieses Buch ein Weckruf ist und sich die Bombe noch entschärfen lässt, bevor sich das Zeitfenster dazu schließt." Viel Zeit bleibt jedenfalls nicht.

© SZ vom 02.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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