Bilfinger:Großbaustelle

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Bilfinger hat sich vom Baukonzern zum Ingenieur-Dienstleister gewandelt, doch ohne großen Erfolg. Nun tritt der neue Chef an.

Von Max Hägler, Berlin

Es ist eine unschöne Nachricht, die Bilfinger zu vermelden hatte vor wenigen Wochen: Der Konzern hat in Brasilien möglicherweise eine Million Euro an Staatsbedienstete gezahlt, um an Aufträge zu kommen; es ging um die Ausstattung von Sicherheitsbehörden mit Bildschirmen bei der WM 2014. Schmiergeld? Das ist ein Tatbestand, der in vielen Unternehmen für großen Ärger sorgen würde.

Doch bei Bilfinger ist das noch eine vergleichsweise überschaubare Baustelle. Wenn der neue Bilfinger-Vorstandsvorsitzende Per Utnegaard an diesem Montag sein Amt antritt in Mannheim, wird er weit gravierende Probleme vorfinden. Denn der Konzern mit 69 000 Mitarbeitern ist auch im ganz regulären Geschäft in Schwierigkeiten - in so großen, dass sich nun auch die sonst in dem Konzern extrem zurückhaltenden Arbeitnehmervertreter zu Wort melden.

Utnegaard müsse das Ruder herumreißen, "sonst drohen wirklich existenzielle Gefahren", mahnt Dietmar Schäfers, der stellvertretende Bundesvorsitzende der IG Bau der Süddeutschen Zeitung. Fünfmal hat das Unternehmen in den vergangenen Monaten das Wort "Gewinnwarnung" aussprechen müssen: Die Firma konnte die angestrebten Erlöse einfach nicht einfahren. Fünfmal eine Warnung, das gibt es selten, sehr selten bei etablierten Großunternehmen. Und es dürfte der allererste Auftrag an den 55-jährigen Norweger Utnegaard sein, die Reihe dieser Misserfolge nicht zu verlängern.

U-Bahn-Baustelle am Heumarkt in Köln 2010: Bilfinger geriet wegen möglichen Pfuschs beim Großprojekt in die Kritik. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Bilfinger und seine Vorläuferunternehmen wie Julius Berger errichteten einst beeindruckende Bauwerke: Die Rheinbrücke bei Worms, U-Bahn-Tunnel oder Fernsehtürme. Doch vor etwa einem Jahrzehnt, als der Bauboom nach der deutschen Wiedervereinigung abebbte, setzte das Unternehmen immer stärker auf technische Dienstleistungen, kaufte dazu viele Dutzend Unternehmen in aller Welt ein. Die Instandhaltung von Kraftwerken und Pipelines oder das Management von Gebäuden, gewissermaßen die Profihausmeisterei, sind heute die Arbeitsinhalte. Gebaut wird fast nichts mehr. Und beides, die zugekauften Firmen und die Abkehr vom Bau, seien ein Problem, sagen Arbeitnehmervertreter.

Der beinahe vollständige Verkauf des klassischen Baugeschäfts, der im vergangenen Jahr abgeschlossen worden ist, sei "schlicht ein absoluter strategischer Fehler" gewesen, sagt Schäfers: "Man schaue sich an, was im vergangenen Jahr gut lief und schlecht lief bei Bilfinger." Tatsächlich waren die Ingenieurdienstleistungen für Kraftwerke kaum nachgefragt, auch wegen der Energiewende und des niedrigen Ölpreises; nur die Hausmeisterei und die wenigen verbliebenen Bauaufträge liefen recht gut. Unter dem Strich schrieb der Konzern bei 7,7 Milliarden Euro Umsatz erstmals rote Zahlen: 70 Millionen Euro Verlust. "Wir beobachten die Entwicklung bei Bilfinger mit Sorge", sagt Schäfers, zudem sei der Konzern "zu unübersichtlich".

Per Utnegaard, 55, aus Norwegen, studierte Betriebswirtschaft und arbeitete in Großbritannien und der Schweiz in der Drogerie- und Logistikbranche. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Nun ist Schäfers als Bau-Gewerkschafter natürlich ein Anhänger des Baugeschäfts. Aber auch die Kollegen der IG Metall sehen den Ausstieg aus dem Bauen kritisch - und haben ein Chaos an der Unternehmensspitze ausgemacht. "Nach den ersten Gewinnwarnungen hatten wir den Eindruck, dass das Topmanagement nicht wusste, was in den Unternehmen unten passiert", sagt Ingo Klötzer, der für die Metallgewerkschaft im Bilfinger-Aufsichtsrat sitzt. Das Topmanagement, das war in den vergangenen Jahren vor allem Roland Koch. Der ehemalige CDU-Ministerpräsident aus Hessen kam aber offensichtlich nicht zurecht mit den Bedürfnissen von Bilfinger. Ein hübsches neues Logo gab es, ansonsten aber eben fast nur schlechte Nachrichten und schließlich den Abbau von über 1000 Stellen. Im vergangenen Jahr flog Koch dann. Und den Aufsichtsrat führt nun der ehemalige Daimler-Manager und Metro-Chef Eckhard Cordes, auf Druck des dominierenden Aktionärs Cevian, einem schwedischen Finanzinvestor.

"Die Kultur hat sich durch den Wechsel im Aufsichtsratsvorsitz belebt, es wird mehr diskutiert", sagt IG-Metaller Klötzer. Aber die Nagelprobe stehe erst jetzt an: Ob der neue Vorstand beim geplanten Konzernumbau, der mit Stellenstreichungen gerade in Deutschland verbunden sein könnte, nur die Kapitalseite im Blick habe - oder auch die Arbeitnehmer. Bisher haben die Gewerkschaften die Stellenkürzungen mitgetragen. Das ist vorbei: "Die Arbeitnehmervertreter werden bei den angekündigten Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen nicht tatenlos zusehen, wie die Interessen der Beschäftigten unter die Räder geraten", warnt Klötzer. Zumal diese nicht so weich fallen würden, wie die für die Lage verantwortlichen Vorstände. Roland Koch bekam nach seinem Rückzug mehrere Millionen Euro Abfindung.

Ein herausforderndes Umfeld also für den Neuen, für Utnegaard. Ruhig soll er sein, sagt einer, der ihn bereits getroffen hat: "Ein typischer Skandinavier eben." Bislang hat Utnegaard hauptsächlich im Logistikbereich gearbeitet, bis zu seinem Wechsel zu Bilfinger war er Chef des Flughafendienstleisters Swissport. Die Dimension des neuen Jobs scheint er schon erkannt zu haben. Einer der wenigen Sätze, die er zu Bilfinger öffentlich gesagt hat, lautet: "Es gibt viel zu tun." In Brasilien und daheim.

© SZ vom 01.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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