Bahnhofsviertel:Die zwei Gesichter

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Drogen und Bordelle prägten die Gegend, bevor sie zur Ausgehmeile avancierte. Doch die alten Probleme sind zurück.

Von Susanne Höll

Das Frankfurter Bahnhofsviertel ist, nun ja, eine Art Mysterium. In der Nachkriegszeit war es jahrzehntelang verpönt, wurde gemieden, von Einheimischen und Fremden gleichermaßen. Ein Bordellviertel, Spielhallen, Umschlagplatz für Drogen, kleinere und größere Gauner, billige, oft baufällige Wohnungen. Dann wandelte sich das Quartier zum Ausgehviertel für die Zeitgeistgeneration. Die Gegend wurde zum Aushängeschild des modernen Frankfurts erklärt. Alles gut also? Von wegen. Ein Bericht aus einem Januskopf-Gebiet.

Wer etwas wissen will über die so widersprüchlichen Gesichter des Viertels, muss mit Robert Hahn sprechen. Zusammen mit seinem Bruder und zwei Vettern führt er ein traditionsreiches Musikaliengeschäft in der Taunusstraße. Sein Urgroßvater, der Instrumentenbauer Heinrich Hummel gründete das Geschäft in der Kaiserzeit, im Jahr 1904. Damals war das Viertel rund um die junge Bahnstation eine Edelmeile, voller Prachtbauten und feiner Läden.

Merkwürdige Realität: Im Problemviertel steigen die Mieten

Inzwischen heißt das Geschäft Cream-music Musikhaus B. Hummel. Elvis Presley, die Rolling Stones und unzählige Amateure kauften und kaufen hier ihre Gitarren, Keyboards und Schlagzeuge. So, wie es ausschaut, wird der über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Handel seine Tür in der Taunusstraße in nicht allzu ferner Zukunft aber schließen. "Es ist so gut wie beschlossen, dass wir umziehen", sagt Hahn. Auf der anderen Mainseite, in Sachsenhausen, könnten sich die Hahns neu ansiedeln.

Warum, bitte schön, muss ein Traditionsladen umziehen? Hahn nennt zwei Gründe. Für den Einzelhandel werde die Lage durch die Drogenszene und andere Kriminalität schwieriger, andererseits stiegen die Mieten ständig an. Auch die Hahns haben Post bekommen, es soll noch einmal teurer werden. Immobilienhausse im Problemkiez? Das ist die seltsame Realität im Frankfurter Bahnhofsviertel.

An etlichen Stellen des Quartiers sind schicke Appartements und Büros entstanden, der Mietzins ist entsprechend hoch. Hier ist viel los, in der warmen Jahreszeit wird auf den Straßen gefeiert, in etlichen gerade beliebten Clubs ebenfalls. Jedes Jahr kommen im Spätsommer Zehntausende zur Bahnhofsviertelnacht.

Wer Kinder hat, es ruhiger mag oder wie die Hahns ein Geschäft führt, schätzt zwar die bunte Vielfalt der Gegend, lebt und arbeitet aber dann doch lieber anderswo. "Wir hier sind schon ein wenig abgestumpft, was die Lage auf den Straßen und die Kriminalität, die Dealer und auch Einbrecher betrifft", sagt Hahn. Seine Kunden seien ab und an verstört: "Die sind froh, wenn sie bei uns im Laden angekommen sind."

Die Stadt Frankfurt hat auf die Klagen von Geschäftsleuten und Anwohnern inzwischen reagiert. Die Polizei rückt zu Razzien an, seit November behalten Beamte einer Sondergruppe mit dem sperrigen Namen Besondere Aufbauorganisation Bahnhofsgebiet (BAO) die Dinge im Auge. In Uniform oder in Zivil schreiten sie ein gegen Crack- und Heroindealer, Diebe und Randalierer.

Claudia Rogalski ist Polizeioberrätin, Chefin dieser BAO und eine klarsichtige Frau, die keine falschen Erwartungen wecken mag. "Die Sicherheit im Bahnhofsviertel ist kein kurzfristiges Thema und natürlich nicht nur Aufgabe der Polizei. Es betrifft auch die Stadtverwaltung, die Drogenhilfe und die Justiz", sagt sie.

Die Stadt und auch die Polizei hatten sich zuletzt viel Kritik anhören müssen über die Entwicklungen am Bahnhof. Rogalski nimmt die Kollegen in Schutz. Man habe sehr wohl gemerkt, dass sich die Sicherheitslage verschlechtert habe, und deshalb im vergangenen Jahr mehrere Razzien organisiert. "Aber das hat nicht gereicht", sagt sie. Deshalb wurde Mitte November 2016 die BAO geschaffen. Dort arbeiten rund 100 Beamte der Polizei Frankfurt in Kooperation mit der Bereitschafts-, Stadt- und Bundespolizei.

Eine Zwischenbilanz will die Beamtin nach gerade einmal zwei Monaten keinesfalls ziehen. Die Zeit war bislang zu kurz, das Wetter unwirtlich, die Kälte schreckt auch Dealer und andere Ganoven ab. Aber die tagtäglichen Kontrollen zeigten Wirkung, sagt Rogalski. Etwa sei die Zahl der Trick-Diebstähle gesunken. Die Polizisten sind Tag für Tag rund um den Bahnhof unterwegs. Zwischen Ende November und Mitte Januar wurden 11 768 Personen kontrolliert, gut 1000 Platzverweise und 28 Aufenthaltsverbote ausgesprochen. 211 Verdächtige hat man festgenommen. Davon sind 27 in Untersuchungshaft, eine vergleichsweise hohe Zahl, meint Rogalski. 1173 Strafanzeigen wurden in den knapp zwei Monaten erstattet, mehr als die Hälfte wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Beamten fahnden nach den Dealern, nicht den Süchtigen. Sie wollen, wenn man die Dinge richtig versteht, die prekäre Lage unter Kontrolle halten. Denn das, was man gemeinhin ein normales Stadtviertel nennt, wird die Bahnhofsgegend sicher nie werden. Die Rotlicht-Etablissements und das Rauschgift-Milieu sind dort fest verankert. Das sieht auch die BAO-Chefin so: "Eine Vertreibung der Drogenszene aus dem Viertel kann nicht funktionieren. Dort sind Druckräume, dort findet man die Drogenhilfe." Ihr Motto lautet: "Wir müssen uns realistische Ziele stecken."

Zwei Mal pro Woche ist die Polizei mit einer mobilen Wache unterwegs

Ein Ziel ist es, die besorgten Anwohner sowie die Geschäftsleute mitsamt deren Mitarbeitern zu beruhigen, die gerade in der dunklen Jahreszeit mit mulmigen Gefühlen auf der Straße sind. Die Polizei stellt zwei Mal in der Woche eine mobile Wache im Viertel auf, in der man sich Rat holen kann. Für größere Gruppen bieten die Sicherheitskräfte zusammen mit anderen Experten auch Seminare an. Es gehe auch darum, den Bürgern ein subjektives Sicherheitsgefühl zu vermitteln, sagt Rogalski.

Zwischen Ende November und Mitte Januar wurden rund um den Bahnhof 11 768 Personen kontrolliert, gut 1000 Platzverweise erteilt und 211 Verdächtige festgenommen. (Foto: mauritius images)

Die Einsätze der BAO bleiben nicht unbemerkt. Geschäftsmann Hahn lobt die Polizei: "Die machen einen guten Job." Allerdings bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Dealer und andere Kriminelle seien nach Bewährungsstrafen bald wieder auf freiem Fuß, trieben neues Unwesen.

Die Partyszene, Touristen und Neugierigen, die seit einigen Jahren ins Viertel strömen, stören sich bislang offensichtlich nicht an der Straßenkriminalität. Die zahlreichen Führungen durch das Quartier sind gefragt wie eh und je, berichten geschulte Gästebetreuer. Der Rotlicht-Kitzel weckt die Neugier am Karree.

Die Bahnhofsviertel-Promenaden verlieren allerdings ihren Reiz, wenn man in den kleinen Straßen die Kunden jener Dealer sieht, die die Polizei zu vertreiben versucht. Abgemagerte, oft zahnlose Gestalten kauern in Haus- oder Hofeingängen. Seit es schicker zugeht im Viertel, suchen sie sich neue Plätze, auf einer Ebene der S- und U-Bahn-Station am Bahnhof hatten sie zwischenzeitlich eine Heimstatt gefunden. Auch dort sei die Lage inzwischen besser geworden, sagt Rogalski.

Das Musikhaus Hummel wird dennoch umziehen. Aber für Panik sieht auch Hahn keinen Grund. "Man muss sich keineswegs bewaffnen, wenn man im Bahnhofsviertel unterwegs ist", lautet sein Ratschlag für nicht ganz so Ortsunkundige.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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