Bahn-Skandal:"Keine neuen Erkenntnisse"

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Wie die Bahn in der Daten-Affäre beschwichtigte - eine Chronik des Skandals.

Klaus Ott

3. Juni 2008: An diesem Tag wird bekannt, dass sich die Bahn von 1998 bis 2007 die Berliner Privatdetektei Network engagiert hat, um Wirtschaftskriminalität in den eigenen Reihen zu bekämpfen. 43 Aufträge wurden erteilt. Man gehe davon aus, dass alle Aufträge im rechtlich zulässigen Rahmen abgewickelt worden seien, sagt der oberste Korruptionsbekämpfer der Bahn, der frühere Staatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner. Danach ist lange Zeit Ruhe.

22. Januar 2009: Der Stern berichtet, die Bahn habe mehr als 1000 Mitarbeiter und 500 Ehepartner von der Detektei Network ausforschen lassen. Viele Personen seien bei einer Aktion mit dem Codenamen "Babylon" gerastert worden.

23. Januar 2009: Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) verlangt in einem Brief an Mehdorn "umfassende Aufklärung". Es sei schwer nachvollziehbar, dass Schaupensteiner im Juni 2008 im Bundestag von "wenigen Fällen" gesprochen habe, in denen Network von der Bahn beauftragt worden sei, jetzt aber von 1200 überprüften Personen allein bei einer Aktion ("Eichhörnchen") berichtet werde. Der Minister moniert, es gebe zu den Aufträgen an Network bei der Bahn offenbar "nur unvollständige, in einigen Fällen gar keine Unterlagen mehr".

26. Januar 2009: Mehdorn schreibt Tiefensee, der Presseartikel beruhe "offensichtlich auf unbefugt weitergegebene Informationen" und lasse einen völlig falschen Eindruck von der Korruptionsbekämpfung bei der Bahn entstehen. "Es ist schade, dass Sie eine solche von interessierten Kreisen inszenierte Sensationsberichterstattung zum Anlass für Ihr Schreiben nehmen und uns an dieser Stelle nicht mehr Vertrauen entgegenbringen." Die Bahn habe ihrer "bisherigen Darstellung des Sachverhalts nichts hinzuzufügen. Es gibt diesbezüglich keine neuen Erkenntnisse." Bis zu diesem Zeitpunkt hat die Bahn wiederholt versichert, es gebe keinen Datenskandal.

27. Januar 2009: Tiefensee erwidert Mehdorn, dessen Antwort sei "völlig unzureichend". Er erwarte bis 30. Januar 2009 eine "umfassende Stellungnahme".

28. Januar 2009: Im Verkehrsausschuss des Bundestags räumt Schaupensteiner ein, dass die Bahn in der ersten Hälfte des Jahrzehnts mit Hilfe von Network einen Abgleich der Adressen und Bankverbindungen von 173.000 Mitarbeitern mit den Daten von 80.000 Lieferanten vorgenommen habe, um Scheinfirmen aufzuspüren, über die sich Beschäftigte selbst Aufträge zuschanzten oder Schmiergeld kassierten.

29. Januar 2009: In einem Brief an den Aufsichtsrat schreibt Mehdorn, der Datenabgleich zwischen Mitarbeitern und Lieferanten sei "grundsätzlich als rechtmäßig anzusehen und ist in der Industrie auch üblich".

Im zweiten Teil: Mehdorn schaltet die Staatsanwaltschaft Berlin ein - und in der Politik regt sich Widerstand.

30. Januar 2009: Mehdorn schaltet die Staatsanwaltschaft Berlin ein, um sich von ihr ein rechtmäßiges Vorgehen bescheinigen zu lassen. In einer Pressekonferenz sagt Mehdorn, von einer Rasterfahndung, wie von Datenschützern behauptet, könne keine Rede sein. Der Vorstand habe von dem Datenabgleich bei 173.000 Mitarbeitern nichts gewusst. Anschließend teilt der Bahnvorstand im Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats mit, es habe 2005 einen weiteren Datenabgleich bei der Belegschaft gegeben.

31. Januar 2009: Die Vorsitzenden der Bahngewerkschaften Transnet und GDBA, Alexander Kirchner und Klaus-Dieter Hommel, fordern eine Sondersitzung des Bahn-Aufsichtsrats.

2. Februar 2009: Kanzlerin Merkel lässt über ihren Sprecher erklären, sie stütze ausdrücklich den Kurs von Verkehrsminister Tiefensee, der weiter auf eine vollständige Aufklärung dringt.

3. Februar 2009: Mehdorn schreibt der Belegschaft, das in der Öffentlichkeit gezeichnete Bild von der Bahn bestürze ihn. Es entstehe der Eindruck "bei uns würden Mitarbeiter bespitzelt und ausspioniert". Das sei unzutreffend. Er sei stolz auf die Frauen und Männer in der Bahn - in den Führerständen, den Zügen, Bahnhöfen, Speditionen, Werkstätten und wo auch immer. Sollte durch den Datenabgleich der Eindruck entstanden sein, "der Vorstand misstraue den Mitarbeitern, dann bedauere ich das ausdrücklich". Aus heutiger Sicht "waren wir hier übereifrig, und es gab eine falsch verstandene Gründlichkeit".

Dass die Bahn nicht nur einen Datenabgleich vornahm, sondern diese Aktion 2005 wiederholte, erwähnt Mehdorn nicht. Er entschuldigt sich auch nicht ausdrücklich bei der Belegschaft, was neue Kritik der Gewerkschaften auslöst. GDBA-Chef Hommel sagt, Mehdorn rede sonst Klartext. "Dann soll er das auch hier tun und Entschuldigung sagen."

Am Abend sagt Mehdorn, sein Verhalten sei "keine Salamitaktik, sondern entspricht dem natürlichen Gang sehr schwieriger Ermittlungen". Der weitere Datenabgleich bei der Belegschaft aus dem Jahr 2005 sei bei der Vorbereitung für die Sitzung des Prüfungsausschusses im Aufsichtsrat am 30. Januar bekannt geworden. Der Vorstand sei mit dem Fortschritt der Ermittlungen und mit dem unzureichenden Erkenntnisstand nicht zufrieden. "Wir bedauern, dass unsere Bemühungen um Transparenz und Klarheit bislang noch zu keinen abschließenden Ergebnissen geführt haben."

© SZ vom 05.02.2009/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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