Autonomes Fahren:Das selbstfahrende Auto kann kommen - aber bitte langsam

Straßenverkehr

Der Münchner Straßenverkehr bei Nacht - vernetzte und autonom fahrende Autos sollen in Zukunft die Straßen sicherer machen.

(Foto: dpa)

Der Mensch ist offenbar bereit, ein Stück seiner Autonomie freiwillig an Maschinen abzutreten. Doch diese Maschinen müssen vorher lernen, schwierige menschliche Entscheidungen zu treffen.

Kommentar von Wolfgang Janisch

Kurios ist es schon, dass die heranreifende Technologie der selbstfahrenden Vehikel ausgerechnet "autonomes" Fahren genannt wird. Autonomie, war das nicht jene besondere Eigenschaft zur Ausübung eines freien Willens, die das Menschsein ausmacht? Und jetzt ist der Mensch - seiner Anfälligkeit für Fehler am Steuer bewusst - gerade dabei, ein bisschen Autonomie an die Maschine zu delegieren?

Die vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Ethik-Kommission hat nun ihren Bericht vorgelegt, sie spricht lieber vom "automatisierten und vernetzten Fahren" und hält, wo immer es geht, die Autonomie des Menschen hoch.

Aber auch die Expertengruppe um den ehemaligen Verfassungsrichter Udo Di Fabio kann sich letztlich nicht vor der Erkenntnis drücken: Je stärker die Algorithmen das Steuer übernehmen, desto mehr werden sie "entscheiden" müssen, und zwar in Situationen, in denen es um Leben und Tod geht - beziehungsweise der Mensch, der zuvor das Roboterhirn im Steuerungsmodul programmiert hat. Soll es das Leben eines spielenden Kindes schonen oder das eines 90-Jährigen? Rast es samt Insassen die Klippe hinunter, um eine Menschenmenge zu schonen? Hält es auf den zu, der bei Rot über die Straße rennt - und rettet damit die regeltreuen Fußgänger auf dem Gehsteig?

Nicht mehr weit bis zur düsteren Ideologie vom "unwerten" Leben

Die Kommission hat gut daran getan, sich erst gar nicht auf diese tragic choices einzulassen - weil sie "nicht eindeutig normierbar und auch nicht ethisch zweifelsfrei programmierbar" seien. Auch quantitative Abwägungen nennt der Bericht unzulässig: "Eine Aufrechnung von Opfern ist untersagt."

Ein Satz übrigens, der eines der wirklich großen Urteile des Bundesverfassungsgerichts zusammenfasst: Der Abschuss eines entführten Passagierflugzeugs, das auf ein voll besetztes Stadion zusteuert, ist verboten, weil er die Fluggäste zum Objekt macht; eine Tötung als Mittel zur Rettung anderer. Denn wer erst einmal damit beginnt, Menschenleben zu bewerten und zu verrechnen, der hat es nicht mehr weit bis zur düsteren Ideologie vom "unwerten" Leben.

Statt solcher Szenarien bietet der Bericht nun der Politik andere Prinzipien, an denen sie sich beim Projekt "automatisiertes Auto" orientieren sollte. Eines davon heißt Verantwortung, sie ist die Schwester der Autonomie. Derzeit haftet normalerweise der Autofahrer für einen Unfall - wegen Verschuldens oder auch, weil ihm die "Betriebsgefahr" zugerechnet wird.

Der Übergang darf nicht zu schnell gehen

Doch je geringer sein Einfluss auf das Fahrgeschehen sein wird, desto weniger kann man ihn in Haftung nehmen. Wenn die Verkehrsunfälle der Zukunft nicht mehr durch Sekundenschlaf, sondern durch Programmierfehler verursacht werden, dann muss sich das in einer verstärkten Haftung der Hersteller niederschlagen. So wird sich übrigens am wirkungsvollsten durchsetzen lassen, was die Experten als vordringlichstes Ziel der Automatisierung bezeichnen: mehr Sicherheit im Straßenverkehr.

Der zweite Grundsatz, den es zu beachten gilt, heißt Behutsamkeit. Der Übergang in die Welt der geistesabwesend aus dem Panoramafenster blickenden Autofahrer vollzieht sich ja nicht in der Zeitmaschine, sondern in kleinen Schritten. Längst schon greift die Technik ein, korrigiert die Fahrspur oder bremst mit. Das heißt: Man kann Erfahrungen sammeln mit der allmählichen Ersetzung des Fahrers - in technischer Hinsicht sowieso, aber auch, was die Akzeptanz der Technologie und ein ethisches Regelwerk betrifft. Natürlich wird die Industrie darauf dringen, dass alles schnell gehen muss; die Konkurrenz schläft nicht. Trotzdem wäre es kein Fehler, wenn Fortschritt bei der Erfindung des Auto-Autos eine Schnecke wäre. Damit der Mensch entscheiden kann, wie viel Autonomie er den Maschinenwesen zugesteht.

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