Bedingungsloses Grundeinkommen:Experimente mit dem Grundeinkommen taugen nichts

Bedingungsloses Grundeinkommen, Schweiz

Es regnet Franken: Unterstützer des bedingungslosen Grundeinkommens zeigen in Bern, wie es ihrer Meinung nach in der Schweiz zugehen sollte.

(Foto: Denis Balibouse/Reuters)

Man muss das Grundeinkommen realisieren, nicht testen. Alle "Experimente" waren von Beginn an zum Scheitern verurteilt - nur die Schweiz macht es richtig.

Gastbeitrag von Philip Kovce, Ökonom und Philosoph

Wer an die Kraft wissenschaftlicher Beweise glaubt, der schaut dieser Tage hoffnungsvoll nach Finnland. Dort wird man, so scheint es, demnächst wissen, ob das bedingungslose Grundeinkommen eine gute oder eine schlechte Idee ist. Warum? Weil es derzeit getestet wird. Seit Jahresanfang erhalten 2000 zufällig ausgewählte arbeitslose Finnen für zwei Jahre monatlich 560 Euro vom Staat - bedingungslos. Anstelle anderer Sozialleistungen. Als, so heißt es, Grundeinkommensexperiment.

Wie werden sich die auserwählten Finnen nun verhalten? Werden sie fleißiger oder fauler, kreativer oder lethargischer? Kostet es den Sozialstaat mehr oder weniger, wenn anstelle der labyrinthisch zu beantragenden und dauernd bedarfsgeprüften Hilfeleistungen ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle tritt? Diese und noch viel mehr Fragen soll das finnische Experiment beantworten. Doch daraus wird nichts, denn das Experiment ist gar kein Grundeinkommensexperiment.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen würden alle Bürger des Gemeinwesens bekommen. Nicht nur Arbeitslose. Und sie würden es lebenslang erhalten, nicht nur für zwei Jahre. Außerdem ist es in einer Höhe zu veranschlagen, die das Existenzminimum sichert. Das liegt in Finnland monatlich bei etwa 1000 Euro, nicht bei 560 Euro. Wer also derzeit an dem Versuch teilnehmen muss (eine Ablehnung wurde gesetzlich untersagt), dem steht es nicht frei, sondern er ist weiterhin gezwungen, einer Erwerbsarbeit nachzugehen.

Wie es einer Gesellschaft erginge, in der jeder Einzelne tatsächlich über ein bedingungsloses Grundeinkommen verfügte, was dies genau für Arbeit, Bildung, Politik und Wirtschaft bedeutete, das bleibt mit der finnischen Grundeinkommensattrappe völlig unklar. Aber nicht nur das finnische, auch andere Experimente taugen nicht.

Weder in der kanadischen Stadt Dauphin, wo in den Siebzigerjahren mit einer negativen Einkommensteuer experimentiert wurde, noch im US-Bundesstaat Alaska, der seine Einwohner regelmäßig an Erdöleinnahmen beteiligt, weder im namibischen Dorf Otjivero, das eine kirchliche Koalition vor einigen Jahren mit Spenden beschenkte, noch in den kenianischen Siedlungen, welche die amerikanische Wohltätigkeitsorganisation GiveDirectly derzeit finanziert, ist je ein bedingungsloses Grundeinkommen getestet worden. Erprobt wurden mehr oder weniger liberale Sozialstaatsmodelle und private Philanthropie.

Ein Grundeinkommen lässt sich nicht testen, sondern nur üben

Doch wie ließe sich ein bedingungsloses Grundeinkommen nun testen? Die Antwort lautet: gar nicht. Und das ist auch gut so. Nicht das richtig verstandene Grundeinkommen, sondern das falsch verstandene Experiment ist das Problem.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen lässt sich ebenso wenig testen, wie sich Demokratie, Rechtsstaat oder Menschenrechte testen lassen. Sie lassen sich nur üben, indem wir sie ausüben. Ihr Lebensraum ist die Gesellschaft - und diese lässt sich gerade nicht experimentell von sich selbst absondern. Die Zukunft der Gesellschaft ist dem wissenschaftlichen Experiment unverfügbar - und genau deshalb ist sie politisch gestaltbar. Das Grundeinkommen lässt sich also glücklicherweise nicht bloß akademisch gutheißen oder verteufeln, sondern es bedarf für seine Beurteilung einer politischen Praxis, zu der wissenschaftliche Experimente grundsätzlich nicht in der Lage sind.

Die Schweizer Volksabstimmung war bislang das wichtigste Experiment

Das - wenn man so will - politische Experiment, das die offene Gesellschaft andauernd wagt, ist der öffentliche Diskurs. Er ist es, der die Gesellschaft verändert und bestenfalls voranbringt. So gesehen, ist die Schweizer Volksabstimmung 2016 das bisher wichtigste Grundeinkommensexperiment gewesen. Die Schweizer waren nicht als Versuchskaninchen, sondern als Souverän gefragt. Es ging nicht um eine Publikation, sondern um eine Verfassungsänderung. Entsprechend laut war der Diskurs. Entsprechend groß das Interesse. Entsprechend lehrreich die Debatte. Und allemal überraschend war, dass bereits jeder vierte Eidgenosse dem Grundeinkommen auf Anhieb zustimmte. Eine zweite Volksabstimmung kommt bestimmt.

In Deutschland ist dank der provokanten Thesen des Drogeriemarkt-Gründers Götz W. Werner die öffentliche Debatte vor gut zehn Jahren so richtig entbrannt. Von einem Nischenthema teils weltfremder Idealisten ist das Grundeinkommen inzwischen zu einem Lieblingsthema sogar von Pragmatikern geworden, die künftig voll automatisierte Fabriken arbeiten und die Menschen dadurch nicht benachteiligt sehen wollen.

Das Grundeinkommen füllt dieser Tage in Deutschland Säle, Bücher und Leserbriefseiten. Für anekdotische Evidenzen, wie es wirken könnte, sorgt der Berliner Verein "Mein Grundeinkommen", der per Crowdfunding gesammelte Spenden bedingungslos verlost. Erstaunlich ist, dass die erst vor einem Jahr gegründete Ein-Themen-Partei Bündnis Grundeinkommen (BGE) bereits zu jenen neun Parteien zählt, die bei der kommenden Bundestagswahl in allen 16 Bundesländern antreten werden. Und interessant ist, dass die schleswig-holsteinische Jamaika-Koalition "ein Grundeinkommen regierungsseitig entwickeln und in Schleswig-Holstein als Modellregion erproben will", wie Vize-Ministerpräsident und Umweltminister Robert Habeck (Grüne) ankündigte.

Womit wir nochmals bei Experimenten wären. Die englische Sprache lässt uns dank ihrer experience jene Weite erahnen, welche dem Experiment einst zugrunde lag. Nämlich die persönliche Erfahrung. Erfahrungen bezüglich politischer Ideen werden nicht jenseits, sondern diesseits der gesellschaftlichen Wirklichkeit gewonnen. Jeder Einzelne sammelt sie. Und er kann sich fragen: Wie verhalten wir uns hier und heute, wenn wir ausschließlich an den eigenen Geldbeutel denken müssen? Oder wenn wir finanziell abgesichert sind? Wie wirkt Bedingungslosigkeit? Und wie Zwang? Welche Leistungen bedürfen Anreizen von außen, welche entstehen freiwillig? Das alles sind Fragen, die letztlich nicht mit ausgeklügelten Forschungsdesigns zu beantworten sind, sondern indem wir uns selbst beobachten - und daraus politische Schlüsse ziehen. Wer sich Ideen nicht als Herr gegenüberstellt, der gerät unter ihre Knechtschaft.

Das bedingungslose Grundeinkommen gibt es noch nicht, weil wir es noch nicht wollen. Und solange wir es noch nicht wollen, würde es auch nicht funktionieren. Doch sollten wir es früher oder später einmal wollen, können wir es auch. Dagegen spricht nichts. Weder seine Finanzierung noch die Faulheit der anderen.

Philip Kovce, 30, Ökonom und Philosoph, forscht am Basler Philosophicum und gehört dem Think Tank 30 des Club of Rome an.

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