Audi:Der Chor der Gefangenen

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Der Chef angezählt, die Mitarbeiter in Angst, der Betriebsrat kampfbereit: Ein Jahr nach Ausbruch der Dieselkrise wird es ungemütlich. Bislang kannte man bei Audi nur Erfolgsmeldungen. Bislang...

Von Thomas Fromm

Es waren nur ein paar Stunden, aber für Rupert Stadler war es eine kurze Flucht in eine andere Welt. Man macht ja nicht jeden Freitagnachmittag eine neue Fabrik in Mexiko auf, und San José Chiapa östlich von Puebla ist zwar nicht der Nabel der Welt, aber es ist immerhin das erste eigene Audi-Werk in dieser Region. Alles wunderbar hier: Freihandelsabkommen, ideale Kosten, um den Geländewagen Q 5 hier zu bauen, genug Platz für mehr als 4000 Mitarbeiter.

Der Audi-Chef sprach in der vergangenen Woche von einem "Meilenstein unserer Unternehmensgeschichte", nannte Mexiko ein "Powerhouse" für Autos und ein Orchester spielte "Freude schöner Götterfunken". Audi eröffnet mit Beethovens Neunter ein Werk in Mexiko, ein bayerisches Powerhouse wird zu einer Art Goethe-Institut - viel mehr geht nicht. Später zieht Stadler weiter nach Puebla; im "Museo Barroco" hält er vor Studenten einen Vortrag über die Zukunft des Automobils. Danach geht es zurück nach Ingolstadt.

Willkommen in Deutschland; willkommen zurück im Dieselskandal.

Hier spielen sie dem Audi-Boss zurzeit eher selten etwas von Beethoven, und wäre es so, dann wahrscheinlich eher noch den Gefangenenchor aus "Fidelio" als die Götterfunken-Sinfonie. Stadler ist so eine Art Gefangener in der Dieselkrise: Die Volkswagen-Tochter muss wegen der Affäre sparen, es drohen hohe Strafzahlungen in den USA, die Stimmung in der Belegschaft kippt gefährlich. Niemand weiß, was mit den Arbeitsplätzen des Autobauers wird, wenn irgendwann auch noch mehr Elektroautos als klassische Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren gebaut werden und der Konzern einen Großteil seines Geldes mit Dienstleistungen statt mit dem Verkauf von Autos verdient. Zu viele Fragezeichen auf einmal, und deshalb ist die Stimmung schlecht wie nie, sagen Mitarbeiter. Audi im Umbruch, die Stimmung am Boden - da kann man noch so viel nach Mexiko reisen.

Am Mittwoch dann musste Stadler auf Tuchfühlung mit seinen Leuten gehen. Über 8000 Mitarbeiter sind zur Betriebsversammlung ins Ingolstädter Werk gekommen, die Stimmung ist gereizt. Die Arbeitnehmer wollen das Maximum: eine Verlängerung der Beschäftigungsgarantie über 2018 hinaus. "In diesen angespannten Zeiten muss eines sicher sein, und das ist die Beschäftigung der Audianer", sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Peter Mosch. Wenn alles unsicher wird, sollen zumindest die Jobs sicher sein. Schwierig.

Glänzender Auftritt in Paris: Audi präsentierte Ende September sein neuestes Modell Audi Q5. Was sich hinter den Kulissen abspielt, kann man nur erahnen. (Foto: Benoit Tessier/Reuters)

Es beginnt schon mit den Personalien. Es wird langsam knapp in Ingolstadt. Vier Entwicklungschefs sind in vier Jahren bei Audi gegangen, zwei davon wegen der Dieselaffäre, die den VW-Konzern seit September 2015 erschüttert. Der erste, der wegen der Abgasmanipulationen den Abgang machen musste, war Ulrich Hackenberg, lang gedienter VW-Mann und enger Vertrauter von Ex-VW-Boss Martin Winterkorn. Vor ein paar Tagen musste wieder ein Audi-Chefentwickler abdanken: Stefan Knirsch, erst nach Bekanntwerden des Dieselskandals Ende 2015 von Audi-Chef Rupert Stadler ins Amt geholt. Der Vorwurf: Mitwisserschaft. Knirsch bestreitet die Vorwürfe, und der Konzern muss nun erst einmal ohne Chefentwickler auskommen - ausgerechnet in einer Zeit großer Umbrüche, in der es in den Autokonzernen vor allem ums Entwickeln geht. Die eigentliche Frage aber, die sich viele stellen, geht noch weit über Knirsch hinaus.

Was wusste eigentlich Rupert Stadler, seit fast zehn Jahren an der Konzernspitze?

Vor zwei Wochen kursierten Berichte, Stadler sei von Zeugen schwer belastet worden - er habe schon 2010 von den Manipulationen erfahren. Zwar gaben Insider später Entwarnung und meinten, bei einer Befragung des Managers durch die von VW beauftragte US-Anwaltskanzlei Jones Day habe man "nichts Belastendes" gefunden.

Aber seit jenem Tag im September weiß Stadler zumindest: Irgendwo da draußen gibt es Leute, die über ihn reden. Und das kann gefährlich werden.

"Stadler ist schon lange im Unternehmen, und da ist er natürlich auch schon mal dem einen oder anderen auf die Füße getreten", sagt ein Insider. Heißt: Nach so vielen Jahren hat man so seine Feinde. Damit muss man umgehen können.

Was ist wahr, was nicht? Den Chef habe die "Vorverurteilung" schwer getroffen, heißt es

Bei der Betriebsversammlung geht der Chef auch darauf ein. Teilnehmer der geschlossenen Veranstaltung berichten später, Stadler habe die "Vorverurteilung" sehr getroffen. Er sei, so sagte er, als Zeuge befragt worden, und das "nicht zum ersten Mal". Dass jemand von den Ermittlern befragt werde, sei in diesen Tagen normal, heißt es aus Ingolstadt, daraus könne man einem "noch keinen Strick drehen". Werden jetzt also alte Rechnungen im Hause beglichen? Wird Audi-Chef Stadler, der in diesen Wochen so gerne über die Mobilität der Zukunft doziert, während sich andere in Wolfsburg mit amerikanischen Behörden, Sammelklägern und empörten Kunden weltweit anlegen müssen, hier gerade angezählt?

Was wahr ist und was nicht, ist in dieser Dieselaffäre nicht immer leicht zu sagen, und je länger sich alles hinzieht, desto komplizierter wird es. Stadler, die Ermittlungen, der Nebel aus der Gerüchteküche - das alles belastet inzwischen nicht nur den Vorstand und die Belegschaft, sondern auch das Verhältnis der Akteure untereinander. Ende September schrieb Betriebsratschef Mosch einen Brief an seine Kollegen und monierte die "Flut an Spekulationen über nicht bestätigte Ermittlungsergebnisse". Mosch wörtlich: "Ein Jahr nach dem Beginn der Diesel-Thematik wird so wieder Öl ins Feuer gegossen." Es solle nun "die Verantwortlichen des Skandals treffen und ebenso die Menschen, die mit ihrer kommunikativen Geisterfahrt diese Spekulationen entfacht haben". Wer verantwortlich ist, wer da gerade Geisterfahrer spielt - so genau sagt es Mosch nicht. Jeder im Konzern hat da eh seine eigene Interpretation der Dinge.

Wusste er früh, was lief, oder erfuhr er erst später davon? Rupert Stadler in diesen Tagen beim Pariser Autosalon. (Foto: Uli Deck/dpa)

Audis Betriebsratschef galt bislang als eher ruhiger und konzilianter Vertreter seiner Art. Nun herrscht ein neuer Ton.

Die Zeit der Harmonie ist vorbei.

Für die Drei-Liter-Motoren gibt es noch keine Lösung in den USA. Es könnte Milliarden kosten

Dass Audi, die Premium-Tochter, in dieser Affäre lange Zeit weitgehend außen vor blieb, bedeutete ja nicht, dass man möglicherweise nicht selbst bis zum Hals im Dieselsumpf stecken würde. "Es gab einen Konsens im Konzern, dass die Marke VW die Dieselprobleme ganz auf sich ziehen sollte", berichtet ein Insider. Audi, edle Premium-Marke und seit Jahren die größte Gewinnschleuder des Mutterkonzerns in guten wie in schlechten Zeiten, sollte nicht mit in den Skandal hineingezogen werden. Aber natürlich kam alles ganz anders, und inzwischen drängt die Zeit. Für 85 000 Dieselautos mit Drei-Liter-Motoren aus den Modelljahren 2009 bis 2015, die mit einer verbotenen Abgas-Software ausgerüstet wurden und in Audi-, Volkswagen- und Porsche-Modellen verbaut wurden, braucht der Konzern noch eine Lösung mit den US-Behörden. Bis dato wurden Pläne zur Reparatur der Wagen zurückgewiesen, jetzt muss der Konzern liefern. Ein Gericht in San Francisco hatte VW bis Ende Oktober Zeit gegeben, um neue Vorschläge für eine Rückruf-Lösung zu machen; am 3. November soll es dazu eine Anhörung geben. Sollte der Autokonzern dazu gezwungen werden, die Wagen mit der illegalen Software - darunter Edelkarossen wie der Porsche Cayenne, der VW Touareg oder der Audi A 8 - zurückzukaufen, dürfte das Milliarden kosten. Geld, das Stadler fehlen würde, um seine ehrgeizigen Elektroauto-Pläne umzusetzen. Bei VW sei man auch deshalb sauer auf Audi, weil in Ingolstadt "alles so langsam" laufe, heißt es aus Konzernkreisen. "Auch wegen Audi" schleppe sich vieles gerade "so lange hin".

Bei Audi sieht man das anders: Der Konzern hatte zwar schon vor Monaten erklärt,

Teile der Motorsteuerung bei den US-Behörden nicht offengelegt und eine nach US-Recht nicht genehmigte Software zur Abgaskontrolle eingesetzt zu haben - nur eine gezielte Täuschung sei dies eben nicht gewesen. Wie US-Behörden und Autohersteller hier zusammenkommen sollen? Noch ist das alles ziemlich unklar.

Auch deshalb war Stadlers Mexiko-Trip Ende vergangener Woche, von Ingolstadt aus gesehen, ein Gutfühl-Intermezzo. Eine Art kurze Urlaubsreise.

Allerdings: Schon vor dem Trip nach Mexiko sah es nicht besonders gut aus. Danach wurde es auch nicht besser.

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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