Arbeit als Tatort-Reinigerin:Mehr als ein bisschen wischen

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Antje Schendel arbeitet als Tatort-Reinigerin. (Foto: FinePic/München)

Antje Schendel war mal Model, jetzt säubert sie Zimmer, in denen tote Menschen lagen. Als sie damit anfing, war Tatort-Reinigung noch eine Marktlücke - jetzt gibt es zahlreiche Mitbewerber. Viele lockt das schnelle Geld.

Von Stefan Weber

Am schlimmsten sind die Fälle, bei denen kleine Kinder zu Tode gekommen sind. Oft durch die Hand eines Verwandten im heimischen Kinderzimmer. Wenn die Matratze des Gitterbettchens und der Teppich blutdurchtränkt sind. Dann ist Antje Schendel, 41, nicht mehr die nüchterne Tatortreinigerin, die gerufen wurde, um die Spuren zu beseitigen. Akribisch, emotionslos, diskret. Dann ist die kleine blonde Frau einfach nur Mutter. Sie leidet mit den toten Kindern, grübelt, wie es so weit kommen konnte. "Solche Fälle berühren mich. Immer noch. Trotz der vielen Jahre, die ich diese Arbeit mache."

Diese Arbeit. Schendel nennt sie "Dienstleistung". Sie säubert Zimmer, in denen Gewaltverbrechen begangen wurden. Richtet Wohnungen wieder her, in denen Leichen über einen längeren Zeitraum unentdeckt blieben. Damit alles wieder so aussieht, als wäre nie etwas passiert.

Die Idee dazu kam ihr vor zwölf Jahren. Per Zufall fand sie heraus, dass es für diese Tätigkeit in Deutschland keine Spezialisten gab. Meist erledigten Bestatter oder Schädlingsbekämpfer solche Aufgaben nebenbei. Oder es waren die Angehörigen, die Blut wegwischten, Teppiche und Tapeten abrissen oder versuchten, Gerüche zu beseitigen, die in die Luft aufsteigen, wenn Menschen mehrere Tage tot in einer Wohnung liegen. "Tatorte professionell zu säubern - das war eine Marktlücke", sagt Schendel, die über ihre Arbeit inzwischen auch das Buch "Die Tatortreinigerin" geschrieben hat.

In Ost-Berlin aufgewachsen, hatte sie viele Jahre in London gelebt und als Model gearbeitet. Irgendwann waren die Aufträge weniger geworden, und es zog sie an den Niederrhein, nach Krefeld. Dort jobbte die damals alleinerziehende Mutter zunächst als Arzthelferin und Praxis-Managerin, stets auf der Suche nach einer Möglichkeit, unabhängig zu arbeiten. 2001 war es dann so weit: Schendel machte sich als Tatortreinigerin selbständig. "Als erste in Deutschland", wie Schendel betont. Das war die Zeit, als die Internet-Suchmaschine Google bei der Eingabe des Stichworts "Tatortreinigung" keinen Treffer anzeigte. Heute sind es mehr als 67.000.

Die Branchenpionierin hat viele Mitbewerber bekommen. Meist regional tätige Einzelkämpfer, die die Aussicht auf schnelles Geld lockt. Sie haben gehört, dass für die professionelle Reinigung eines Tatorts meist Rechnungen in vierstelliger Höhe geschrieben werden. "Das klingt toll, relativiert sich aber, wenn man weiß, welch teure Gerätschaften nötig sind, um gute Arbeit zu leisten. Hinzu kommt der hohe zeitliche Aufwand und möglicherweise lange Anfahrtswege", sagt Schendel. Und das Risiko einer Infektion, mit Hepatitis C beispielsweise.

"Tatortreiniger" kann sich jeder nennen; niemand verlangt besondere Qualifikationen. Das ärgert Schendel. Sie wünscht sich, dass der Zugang zu ihrem Beruf reglementiert wird. Etwa durch eine spezielle Ausbildung, wie in den USA. Oder zumindest durch ein Fachsiegel, das Handwerkskammern oder Berufsgenossenschaften vergeben.

Sie ist von Lüdinghausen im Münsterland aus, wo sie inzwischen lebt, bundesweit im Einsatz. Sieben feste Mitarbeiter gehören zu ihrem Team; dazu kommen 15 Subunternehmer. "Alle persönlich geschult", betont die Firmenchefin. Denn Tatortreinigung sei mehr als ein bisschen wischen unter erschwerten Bedingungen. Das beginne mit der Ausrüstung: Ganzkörperschutzanzug, Handschuhe und Atemmaske gehören zum Standardequipment. Dazu allerlei Chemikalien, Desinfektionsmittel und Spezialgeräte, um beispielsweise Gewebereste aus Parkettfugen zu entfernen.

Was Schendel über die Reinigung von Tatorten weiß, hat sie sich selbst beigebracht. Anfangs mit makaber anmutenden Versuchen im heimischen Keller. Dort schüttete sie literweise Schweineblut auf Teppichreste, Laminat oder Parkett und probierte, wie sich die Lachen am besten entfernen lassen. Später holte sie sich Rat von professionellen Dritten. Von Rettungssanitätern, Rechtsmedizinern und Hygienespezialisten. Die starken Nerven, ohne die in diesem Job nichts geht, besitzt sie ohnehin. Vielleicht, weil sie früh in ihrem Leben mit Krankheit und Tod zu tun hatte.

Mit 17 Jahren pflegte sie ihren kranken Vater bis zu seinem Tod. Später begleitete sie die krebskranke Mutter. "Entweder man hat die Emotionen im Griff oder nicht - das lässt sich nicht lernen", betont sie. Dennoch hatte sie Zweifel, als ihr erster Auftrag kam. Gleich ein Härtefall. Eine junge Frau hatte sie angerufen, deren Mann sich im Wohnzimmer mit einem Kopfschuss getötet hatte. Schendel beseitigte die Spuren der Tat innerhalb von 48 Stunden. Danach wusste sie: Ich kann das.

Die höchste Hürde aber stand ihr erst bevor: Sie musste ihre Dienstleistung bekannt machen. Unzählige Male stellte sie sich bei Sozialämtern, Bestattern und Polizeistellen vor. Die Reaktion war meist dieselbe: Zweifel. Viele waren sich sicher, das schmale, blonde Ex-Modell werde eine solch emotional und körperlich harte Arbeit nicht durchstehen. Aber Schendel ließ sich nicht entmutigen. Die ersten sechs Jahre nach Gründung ihrer Firma habe sie kaum Geld verdient, erzählt sie. "Da musste ich zwei Nebenjobs machen, um über die Runden zu kommen." Dann aber ging es stetig bergauf. Das Klinkenputzen begann sich auszuzahlen.

Heute weiß sie bisweilen nicht, wo ihr der Kopf steht vor lauter Arbeit. Täglich erhält ihre Firma zwei bis drei Aufträge aus allen Teilen der Republik. Suizide, Morde, schwere Arbeitsunfälle und - besonders häufig - lange Zeit unentdeckte natürliche Todesfälle. Die Erstbesichtigung des Tatorts erledigt die Chefin immer noch selbst, fährt dafür mehr als 100.000 Kilometer im Jahr quer durch die Republik. Erst wenn sie die Räumlichkeiten in Augenschein genommen hat, delegiert sie die erforderlichen Arbeiten an Mitarbeiter oder Subunternehmer.

Von denen sind inzwischen mehr als ein Dutzend für sie tätig. Gerne würde sie weitere Kräfte einstellen, wenn auch zunächst nur auf 400-Euro-Basis. Aber es finden sich nicht viele, die für diesen Job infrage kommen. Also bleibt Schendel weiter an vorderster Front, auch mit drei Kindern. Zu viel wird ihr das nicht. "Diese Arbeit ist meine Erfüllung. Ich könnte mir nichts anderes mehr vorstellen."

© SZ vom 16.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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