Amazon vs. Verdi:Der Kampf ums Ganze

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Verdi lässt mittlerweile sechs von acht deutschen Verteilzentren bestreiken. Weder die Gewerkschaft noch der Internethändler wollen von ihren Positionen auch nur ein Stück abrücken.

Von Alexander Hagelüken, München

Mehr Bedeutung kann man einem Tarifkonflikt kaum verleihen. "Es geht um die Zukunft der Arbeitsbeziehungen in unserem Land", erklärt Gewerkschafts-Chef Frank Bsirske die neueste Eskalation bei Amazon, wo Verdi am Montag gleich sechs von acht deutschen Versandzentren bestreikte. Der Onlinehändler sei aus Prinzip gegen jeden Tarifvertrag: "Wir stellen dieser Gewalt des Eigentums die Kraft der organisierten Arbeit entgegen."

Seit die Auseinandersetzung im Frühjahr 2013 begann, fanden bei Amazon bereits 70 Streiktage statt. Bsirske will einen langen Atem beweisen, weil er alles grundsätzlich sieht. Amazon verändert die Art, wie Produkte verkauft werden, manche fürchten ein globales Monopol. Was heißt das für Beschäftigte, wenn so eine Firma Tarifverträge ablehnt? Und für eine Gewerkschaft, wenn sie das nicht zu ändern vermag?

Für die mehr als 10 000 Beschäftigten der deutschen Amazon-Tochter geht es erst mal um Geld. Verdi will für sie die Tariflöhne des Einzelhandels durchsetzen, das wären je nach Region für Einsteiger 11,50 bis 13,30 Euro die Stunde. Bei dem Versandhändler starten die Beschäftigten auch nach einer Erhöhung diesen Monat im Schnitt nur mit 10,40 Euro - und bekommen weniger Weihnachts- und kein Urlaubsgeld, wie Verdi betont. Aber dafür erhalten sie zum Beispiel Boni und Aktien, was jeweils über 1000 Euro im Jahr bringen könne, kontert Amazon. Daran wird schon deutlich, dass es dem US-Konzern um Erfolgsanreize abseits klassischer Tarifverträge geht. Und darum, zur Logistikbranche zu zählen, wo schlechter bezahlt wird als im Handel. Eine Zurechnung, die Verdi nicht hinnehmen will.

Auch zweieinhalb Jahre nach Beginn des Arbeitskampfs weicht der Konzern keinen Millimeter von seiner Linie ab. "Wir beweisen jeden Tag aufs Neue, dass man auch ohne Tarifvertrag ein fairer Arbeitgeber sein kann", erklärt eine Sprecherin. Sie sah eine "weiter abnehmende Streikbereitschaft". Ohnehin liefere Amazon die Produkte trotz der Streiks pünktlich aus. Verdi bestreitet das: "Wir wissen, dass viele Pakete liegen bleiben", sagt Funktionär Stefan Najda. Testkäufe hätten in der Vergangenheit Verspätungen um bis zu zehn Tage gezeigt. Höhere Löhne bei Amazon seit 1. September und bessere Arbeitsbedingungen, das sind für die Gewerkschaft alles Folgen der bisherigen Streiks. Heute hätten sich am Ausstand 2000 Amazon-Beschäftigte beteiligt. "Wir stellen uns auf einen langen Arbeitskampf ein", sagt Najda. Er weist darauf hin, dass es der Gewerkschaft gelungen sei, mit Firmen wie Ikea, H&M oder Zara Tarifverträge abzuschließen. Insgesamt aber schrumpft die Macht: Während im Jahr 2000 drei Viertel aller Beschäftigten im deutschen Handel von Tariflöhnen profitierten, ist es inzwischen nur noch jeder zweite Mitarbeiter. Deshalb ist es für die Gewerkschaft so symbolhaft, wenn Amazon die Phalanx der Verweigerer demonstrativ anführt. Es geht ums Ganze.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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