Kommentar:Aktien für alle

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Ausgerechnet Konzerne setzen sich für die Vermögensbildung ein. Mitarbeiter sollen durch Belegschaftsaktien vom Wirtschaftserfolg profitieren. Eine gute Idee, aber die neue Regierung sollte noch viel mehr für ihre Bürger tun.

Von Alexander Hagelüken

Diese Diagnose war in den vergangenen Jahren bereits zu hören: "Der Aufschwung", so ein neuer Appell von 60 Unterzeichnern, "geht in einer ganz wesentlichen Komponente an den Bürgern vorbei." Der Satz passt zur gängigen These, wonach von Deutschlands Boom im Portemonnaie vieler Arbeitnehmer kaum was ankommt: 40 Prozent verdienen weniger als vor 20 Jahren. Bemerkenswert ist, dass der Appell nicht von Gewerkschaften und anderen Linksverdächtigen stammt - sondern von Konzernen wie Siemens, BASF oder der Telekom.

Zwar schlagen die Firmen nicht höhere Löhne vor, was die Beschäftigten gerne hören würden. Siemens & Co. geht's um anderes: Mitarbeiter sollen durch Belegschaftsaktien vom Wirtschaftserfolg profitieren. Das passt aber genauso zur These vom für Arbeitnehmer unbefriedigenden Boom. Denn die Deutschen hängen zwar beim Wirtschaftswachstum andere Europäer ab - doch diese hängen die Deutschen beim Vermögen ab. Das gilt selbst für Bürger aus den Euro-Krisenstaaten oder den exkommunistischen Ländern im Osten. Ein zentraler Grund dafür ist, dass die Deutschen zu viel Geld in schlechte Finanzprodukte stecken und zu wenig in renditestarke Aktien. Mehr Beteiligung an der eigenen Firma würde das ändern.

Es geht nicht um Gehaltsumwandlung. Die Firmen sollten etwas drauflegen

Von mehr Belegschaftsaktien profitieren auch die Firmen selbst. Mitbesitz fördert die Loyalität. Und Mitarbeiter halten Anteile langfristiger als jene Profiinvestoren, die ihre Zuneigung im Takt der Quartalsgewinne aufkündigen. Belegschaftsaktien bieten einen eleganten Ausweg aus dem ewigen Dilemma: Arbeitnehmer möchten über möglichst starke Lohnerhöhungen am Erfolg partizipieren, dies treibt aber die Kosten im internationalen Wettbewerb. Dividenden dagegen atmen mehr mit dem Auf und Ab des Firmenerfolgs, als dies Löhne vermögen.

Wer die magere Gehaltsentwicklung betrachtet, erkennt: Größere Teile des Lohns in Aktien umzuwandeln, wäre illusorisch. Beschäftigte brauchen das Geld zum Leben. Der Appell erkennt das an: Er spricht von Kapitalanteilen zusätzlich zum Tariflohn. Die Firmen sollten also etwas drauflegen - beziehungsweise Lohnerhöhungen teils in Form von Aktien anbieten.

Dies begrenzt natürlich das Vermögen, das Beschäftigte auf diese Weise bilden. Die Konzerne sprechen im Appell deshalb zu Recht die "sehr geehrte neue Bundesregierung" an: Die nächste Koalition sollte die Vermögenspolitik umkrempeln. Was wechselnde Regierungen (sich) hier bisher leisteten, war unwürdig. Jahrzehntelang wurden Lebensversicherungen mit Steuervorteilen privilegiert, obwohl von diesen Produkten eher Finanzkonzerne profitieren als Kunden. Und statt die Bürger gezielt zu Aktien und Immobilien zu ermutigen, förderte der Staat mit der Gießkanne. Statt ein Konzept zu verfolgen, beugten sich die Politiker der Lobby wie Gräslein dem Wind. So auch bei der Riester-Rente, die durch die Einflüsterungen der Versicherer zur Enttäuschung wurde - statt zum erhofften Turbo für die Altersvorsorge. Das ganze Elend dieser Politik zeigt sich in der aktuellen Niedrigzinsphase, wo der Deutschen liebste Zinsprodukte gar nichts mehr abwerfen.

Künftig sollte die Bundesregierung gezielt Immobilien und Aktien fördern. Etwa mit einer neuen Eigenheimzulage und der Steuerbefreiung von Kursgewinnen und Dividenden in gewissen Freibeträgen. Fördern sollte sie auch Belegschaftsaktien - aber nicht nur: Jeder Arbeitnehmer muss sein Geld auf verschiedene Anlagen streuen, um einen Totalausfall zu vermeiden. Beachtet man dies, sind Aktien sicherer, als die sicherheitsbewussten Deutschen glauben. Ja, sie schwanken, weshalb sich langfristige Orientierung empfiehlt, gerade angesichts der aktuellen Höchststände. Über mehrere Jahrzehnte gesehen jedoch sind die Risiken gar nicht viel größer als bei Zinsanlagen, die Rendite ist jedoch höher. Aktien sind das Herz des Kapitalismus. Falls die Börse "ein Kasino" ist, wie ein SPD-Politiker sie mal schlechtzureden versuchte, dann eines mit sehr demokratischen Gewinnchancen.

Der Appell der Konzerne ist ein Anfang. Falls die deutsche Wirtschaft wirklich flächendeckend auf Mitarbeiterbeteiligung einschwenkt, wäre dies ein großer Fortschritt. Die Tarifpartner wehrten sich bisher beide gegen das Instrument. Die Arbeitgeber befürchteten mehr Mitsprache, die Gewerkschaften einen Machtverlust dank lauter kleiner Kapitalisten. Jetzt, da die digitale Ära heraufzieht, ist Umdenken nötig: Wenn Maschinen mehr und mehr menschliche Arbeit übernehmen, werden davon vor allem die Besitzer der Maschinen profitieren.

Bisher aber besitzt nur jeder zehnte Deutsche Aktien.

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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