Virtual Reality:Grenzerfahrung

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Was fühlt ein Flüchtling? Während der Modenschauen in Mailand will es eine von der Fondazione Prada finanzierte Installation simulieren.

Von Dennis Braatz

Am Ende war die spannendste Veranstaltung in Mailand keine Show mit Stars, kein exklusives Dinner oder irgendeine Champagner-Orgie. Es war eine Mischung aus Installation und Virtual-Reality-Erfahrung, die von der Fondazione Prada finanziert wurde, der Kunststiftung von Miuccia Prada und ihrem Mann Patrizio Bertelli.

Sie heißt "Carne y Arena" und ist vom mexikanischen Regisseur und Oscarpreisträger Alejandro González Iñárritu ("Babel") gestaltet worden. Sie verspricht, ihren Besucher so real wie möglich in die Situation eines Flüchtlings an der mexikanischen Grenze zu versetzen. Manche Kritiker fanden es zynisch, dass eine Luxusmarke so etwas unterstützt und dazu während der Fashion Week einlädt. Ihre Frage: Helfen die Pradas den Migranten auch wirklich? Mal sehen.

Da liegen Schuhe, die in der Wüste gefunden wurden. Wer ihre Träger waren, weiß keiner

Nachdem der Besucher alles abgegeben hat, was er am Körper trägt, also Handy, Tasche, Schlüssel und so weiter, betritt er eine fensterlose Betonschleuse. Ab jetzt ist er allein. Es ist kalt. Am Boden liegen abgetragene Schuhe: Cowboystiefel, Badeschlappen, Kinderschuhe mit ein bisschen Glitzer drauf. Auf einem Schild steht, dass diese Schuhe in der amerikanischen Wüste gefunden wurden. Was aus ihren Trägern wurde, weiß niemand. Schließlich soll man selbst die Schuhe ausziehen und warten, bis ein schrillender Alarm den Eintritt in den nächsten Raum fordert.

Man kommt auf einer grobkörnigen Sandfläche zum Stehen. Zwei Mitarbeiter setzen einem die VR-Brille und einen Rucksack auf. Es bläst ein Wind durch die Arena, plötzlich steht man in der Wüste. Es dämmert. Eine Gruppe sich dahinschleppender Menschen taucht vor den Augen auf. Hubschrauber, schreiende Grenzpolizisten, ihre bellenden Hunde. Die Flüchtlinge werfen sich auf den Boden, flehen minutenlang um Hilfe, und werden schließlich abtransportiert. Brille wieder runter.

Um es möglichst realistisch aussehen zu lassen, hat Iñárritu für sein Projekt immer wieder mit Einwanderern aus Mexiko und Mittelamerika gesprochen. "Ich wollte, dass ihre Schicksale keine Statistik bleiben, sondern dass andere sie sehen, fühlen und hören", sagt er. Im letzten Raum werden deshalb einige von ihnen in kurzen Videos gezeigt. Zitate werden auch eingeblendet, sie erzählen von Müllsäcken als Bettdecken und tagelangem Polizeigewahrsam.

"Carne y Arena" ist etwas, das man nicht noch mal erleben will, aber jedem empfehlen möchte. Es bestürzt, macht traurig und tut weh. Nicht wenige Besucher hat die Erfahrung während der Fashion Week zu Tränen gerührt, einige mussten abbrechen. Zwischen all den Schauen mit Stars, exklusiven Dinners und Champagner-Orgien ist so eine Veranstaltung nicht zynisch, sondern genau richtig.

"Carne y Arena" ist noch bis zum 15. Januar 2018 in der Fondazione Prada in Mailand zu sehen. Besucher müssen sich vorab über fondazioneprada.org anmelden.

© SZ vom 24.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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