Trend zu High-Low-Shirts:Poposchürze im Wind

Vokuhila-Blusen und Vokuhila-Shirts sind schon viel zu lange im Trend. Zeit, die Schleppe einzumotten und mit Stolz den eigenen Hintern in Szene zu setzen.

Von Violetta Simon

Seit es Shirts und Blusen gibt, haben Schneider versucht, diese in der Hose zu halten. Das ist auf der Rückseite umso wichtiger, weil sich der Mensch dann und wann bückt. Beim Binden der Schnürsenkel, beim Verlegen von Pflastersteinen oder etwa beim Polospiel muss der Mensch ständig damit rechnen, dass das Hemd die Hose verlässt und fröhlich im Wind flattert, während die Rückseite schutzlos den Blicken der Öffentlichkeit ausgesetzt ist.

Wer schon einmal unfreiwillig Zeuge wurde, wie sich bei einem stark behaarten Männerrücken nicht nur die Nierengegend zur Schau stellt, sondern auch der Bereich darunter, bekam das Bild vermutlich länger nicht mehr aus dem Kopf, als ihm lieb war. Deshalb ist das Herrenhemd hinten stets ein wenig länger als vorne.

Modisch getan hat sich in dieser Hinsicht einiges - allerdings nur für die Damen. Gewitzte Designer erfanden den "Blusen-Body", bei dem Vorder- und Rückseite mittels Druckknöpfen im Schritt miteinander verbunden wurden. Eine besonders sichere Angelegenheit, nur leider kein sehr angenehmes Tragegefühl. Ende der 90er Jahren versuchte man dann, aus der Not eine Tugend zu machen, gemäß dem Ansatz: Wenn man es schon nicht schafft, die Nieren zu bedecken, sollte diese Körperregion zumindest dekorativ aussehen - das Arschgeweih war geboren.

Eine Zeitlang gab man sich fatalistisch und feierte mit dem "Crop Top" die bewusste Zurschaustellung des Rumpfes. Leider erwies sich der Trend nur auf den Laufstegen als tragbar; die Pölsterchen an Bauch und Hüfte holten das bauchfreie Blüschen bald auf den Boden der Tatsachen zurück. Wobei man nicht genau weiß, was als störender empfunden wurde: dass es so wenige tragen konnten - oder dass es so viele trotzdem trugen.

Vor einigen Jahren schließlich schien man endlich eine neue Lösung gefunden zu haben: das "High-Low-Shirt", ein Vokuhila-Modell. Immer mehr Blusen und Hemden besaßen nun hinten eine Art Schleppe, bei der man gar nicht erst in Versuchung geriet, sie in die Hose zu stopfen. Stattdessen hing sie über den Hintern, teils bis hinunter in die Kniekehlen. Und da hängt sie noch immer. Und hängt und hängt.

Längst sollte ihre Zeit abgelaufen sein zugunsten eines neuen Trends - sagen wir des Rückenschlitzes oder seitlicher Reißverschlüsse. Doch die Schleppe verschwindet einfach nicht. Sie war schon immer hartnäckig. Ursprünglich den Adeligen als Statussymbol vorbehalten, wurde sie in den vergangenen Jahrhunderten zum demokratischen Kleidungsfortsatz, schaute in beinahe jeder Epoche mal vorbei. Doch diesmal sieht es so aus, als kriegten wir sie nicht mehr los.

Das könnte einen ganz pragmatischen Grund haben, der zugleich ein wenig beschämend ist: Die wenigsten Frauen tragen ihren Hintern mit dem Stolz einer Kim Kardashian zur Schau. Statt ihre Birnen-, Apfel-, Tomaten- oder Pfirsichform in Szene zu setzen, begegnen sie dieser Körperregion häufig mit wohlwollender Gleichgültigkeit (was ich nicht sehe, muss mich auch nicht beschäftigen) - oder verdecken sie gleich ganz, um möglichst kein Aufsehen zu erregen.

Solche Kundinnen wissen das Potenzial der Schleppe sehr zu schätzen: als perfektes Accessoire, um den weiblichen Hintern zu kaschieren. Wie eine Poposchürze bedeckt die Vokuhila-Bluse in vorauseilendem Gehorsam die Rückseite - jene Körperregion, von der manche Frauen gar nicht mehr wissen, ob sie sich wirklich dafür schämen. Oder ob sie nur nicht wagen, sie zu zeigen, weil sie es schon so gewohnt sind, dafür beurteilt zu werden.

Mittlerweile sind nicht nur Damenblusen vokuhila, sondern auch Unisex-Shirts, ja selbst Justin Biebers Tank Top. Vermutlich hatte der Sänger keine Wahl: Selbst wer sich hintenrum gar nicht bedecken will, sieht sich mitunter dazu gezwungen. Die Frage "Haben Sie die Bluse auch ohne Poposchürze?" ruft nicht selten Kopfschütteln oder Schulterzucken hervor.

Eine Alternative wäre natürlich, das Schürzchen nachträglich abzuschneiden. Aber man kauft ja auch nicht ein Auto mit Wohnwagen, um diesen anschließend abzuhängen und zu verschrotten.

Womöglich sollten wir einfach lernen, wieder stolz auf unsere Rückseite zu sein. Dann hat sich die Poposchürze bald selbst erledigt.

Sehr nützlich ist dabei die "Mom-Jeans", die biedere Schwester der Karottenhose: Deren Hosenbund verhält sich äußerst entgegenkommend, indem er kontinuierlich nach oben wandert und die Taille fest umschließt. Abgesehen vom Risiko, dass einem beim Bücken oder Schuhebinden die Luft wegbleibt: Ein Maurerinnendekolleté ist damit ausgeschlossen, die Poposchürze wirklich überflüssig. Jetzt müssen wir uns nur noch trauen, die Schürze zu lüpfen.

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