Süße Kunst:Das Naschwerk

Lesezeit: 3 min

Die Künstlerin Kristiane Kegelmann formt Skulpturen aus Schokolade - und bittet ihre Ausstellungsbesucher, alles aufzuessen.

Von Julia Rothhaas

Kunst kann verwirrend sein. Die Rentnerin etwa, die 2016 im Neuen Museum in Nürnberg zum Kugelschreiber griff, um das Kreuzworträtsel des Künstlers Arthur Köpcke auszufüllen, meinte es nur gut. Aber des Rätsels Lösung sah anders aus, das Werk war leider erst mal futsch. Ähnlich erging es der berühmten Fettecke von Beuys, die der Hausmeister entfernte, der Badewanne von Kippenberger, die mit besten Absichten gründlich gereinigt wurde, oder dem Kirchenfresko im spanischen Borja, das nach der "Restaurierung" einer engagierten Dame eher an das Bild eines Affen erinnerte als an Christus.

Wenn Besucher in einer Ausstellung von Kristiane Kegelmann also zunächst zaudern, bevor sie loslegen, ist das durchaus nachvollziehbar.

Ihre Dreiecke, Würfel und Zylinder sehen aus wie aus Holz, Marmor oder Metall

"Gerade der Moment, wenn die Menschen vor meinen Objekten stehen, und sich nicht trauen, sie anzufassen, ist unglaublich spannend", sagt die 26-Jährige. Es dauere immer ein bisschen, bis sich der Erste bedient. Aber dann greifen alle zu.

Nein, es sind keine Halsketten, die da hängen, sondern essbare Kunst aus Schokolade. (Foto: Pujan Shakupa)

Denn ihre Werke sind nicht nur schön anzusehen, sondern schmecken auch gut: Kristiane Kegelmann erstellt Skulpturen aus Schokolade. Die Kunst soll aufgegessen werden, das ist so gewollt. Auch wenn optisch nichts an Naschwerk erinnert. Dreiecke, Pyramiden, Zylinder - sie nutzt gerade geometrische Gebilde, die an Fäden von der Decke hängen oder Teil werden von festen Konstruktionen auf dem Boden. Betrachtet man Form und Farbe, könnte man glauben, ihre Objekte seien aus Metall, Holz oder Marmor - und nicht aus Schokolade. "Ich mag es kantig, das bringt einen zusätzlichen Bruch. Denn Essbares hat eine organische Form. Ecken und Kanten assoziiert man hingegen nicht mit etwas, das man sich in den Mund steckt."

Manche ihrer ungewöhnlichen Konstruktionen erinnern an Waben, Mosaike, Urnen oder sogar an das Dämmmaterial aus Schaumstoff, das man aus Tonstudios kennt. Nie aber an eine Süßigkeit. Verziert wird mit Naturfarben: Das Rot stammt von der Aroniabeere, das Gelb von der Färberdistel, das Blau von der Spirulina-Alge. Weil sie viel ausprobiert und mischt, steht ihr ein erstaunlich großes Spektrum zur Verfügung. Aufgetragen werden die Farben mit einem Spachtel, einer Airbrush-Pistole oder anderen Gerätschaften, die man sonst nicht unbedingt in einer Zuckerbäckerküche findet.

Kristiane Kegelmann arbeitet viele Stunden an ihren Objekten, die stets nur in klimatisierten Räumen ausgestellt werden können. (Foto: Pujan Shakupa)

Dazu kommt der unerwartete Geschmack, der begeistert. Etwa das Stück Topinambur, das Wurzelgemüse, ummantelt von einer hauchdünnen Schicht Schokolade, die sofort auf der Zunge schmilzt. Oder die Brombeere mit geräuchertem Heu in der Praline. "Nur mit Schokolade zu arbeiten, bringt nicht genug Spannung", sagt Kristiane Kegelmann. "Es braucht den Kontrast im Geschmack und in der Konsistenz."

Sie kennt sich aus mit Geschmack. In ihrer Familie wurde stets viel gekocht, gute Lebensmittel hatten immer einen großen Stellenwert, auch wenn der Fokus damals mehr auf gesund als auf Genuss lag, wie sie lachend erzählt. 2008 begann sie ihre Ausbildung zur Konditorin in ihrer Heimat München, anschließend arbeitete sie in der k. u. k. Hofzuckerbäckerei Demel in Salzburg. Nach einem Jahr als Chef-Patissière in einem Restaurant nördlich von Sydney kehrte sie nach Europa zurück und übernahm mit 22 Jahren die Leitung des Dekorpostens bei Demel im Wiener Stammhaus. Während Kegelmann tagsüber an mehrstöckigen, aufwendig verzierten Hochzeitstorten im Wert von bis zu 15 000 Euro arbeitete, experimentierte sie abends an eigenen Skulpturen und Installationen. Seit einem Jahr widmet sie sich nur noch ihrer Kunst, im März wurde ihr Atelier in Berlin eingeweiht. Zu sehen ist ihre essbare Kunst in Einzel- und Gruppenausstellungen, etwa Mitte Oktober bei Diskurs Berlin. Zudem wird sie regelmäßig für Veranstaltungen gebucht. Einzige Voraussetzung: klimatisierte Räume.

Um die Beschaffung ihrer Zutaten kümmert sie sich selbst, den Großteil holt sie von Bauern im Umland von Berlin. Ihre Schokolade stammt hingegen aus der Schweiz, Ende September fliegt sie nach Litauen, um sich dort eine weitere Schokoladen-Manufaktur anzusehen. Der persönliche Kontakt zu den Herstellern ist ihr wichtig, denn vor Ort lernt sie immer neue Lebensmittel kennen. Neulich hat sie von einem ihrer Ausflüge ein paar getrocknete Dill- und Fenchelblüten mitgebracht und sie mit etwas Salz und Pfeffer in den Hohlkörper einer Praline geschoben, ohne diese weiter zu befüllen. "Sie war so leicht, schmeckte sehr intensiv und unerwartet. Wenn man nicht sofort daraufkommt, was in der Hülle steckt, finde ich das immer interessanter", sagt Kristiane Kegelmann. Aufpassen müsse man hingegen mit der Schokolade, zu viel geht nicht, die übertünche immer alles.

Dass ihre Besucher Skrupel haben, die feinen Kunstwerke in sich hineinzustopfen, kann Kristiane Kegelmann zwar verstehen, aber schlimmer fände sie es, wenn sie gar nicht gegessen würden. "Wenn etwas nur vor sich hingammelt, widerspricht das meinen Wertvorstellungen. Das kann ich nicht ertragen."

© SZ vom 09.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: