Stilkolumne Anziehsache:Adilette sich wer kann

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Rette sich wer kann: Die Badelatsche wird hip. (Foto: Illustration: Jessy Asmus / SZ.de)

Die Badelatsche als Trend-Schuh? Ist zwar hässlich und gemein - offenbart aber womöglich eine Exit-Strategie aus einer schwierigen Branche.

Von Lena Jakat

Vielleicht werde ich Fußpflegerin. Der Mensch braucht ja eine Exit-Strategie, beruflich gesehen. Das wurde mir immer wieder vorgebetet, erst in meinem vergeistigten Studium, dann während meines Einstiegs in diese angeblich zum Untergang verdammte Branche. Exit-Strategie! Fußpflege scheint mir eine vielversprechende Exit-Strategie zu sein. Nicht, weil ich Füße besonders mag. Im Gegenteil. Sondern weil sich völlig unvermittelt ein konsequent unterschätztes Accessoire aus den Untiefen der Fitnessstudiospinde aufmacht, zum nächsten großen Modetrend zu werden: die Adilette.

Ich glaubte kurz, es läge am drückenden Juliwetter, als ich die Dinger im vergangenen Sommer auf der Berliner Fashion Week entdeckte. In den Anti-Öko-Pro-Fußschweiß-Latschen aus Vollgummi steckten die Füße von Models und ein paar Avantgardistinnen. Adiletten in der Front Row! Die einzige Person, die ich bis dahin bewusst in der Öffentlichkeit in diesen Schlappen gesehen hatte - gut, von Mark Zuckerberg mal abgesehen -, ging mit mir zur Schule. Tom feierte härter und trank mehr als der Rest von uns. Und saß auf der Rückreise von der Abifahrt 18 olfaktorisch unerträgliche Stunden neben mir.

Nach dem kurzen Erschauern auf der Fashion Week verschwand die Adilette wieder. Hatte ich das nur geträumt? Doch beim Durchblättern eines Modekatalogs, die Ernüchterung. Die Adilette war nur in Winterstarre. Sie lebt.

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Ich habe darüber nachgedacht, bis ich die Anstrengungsfalten auf der Stirn gespürt habe. Aber mir ist kein Kleidungsstück, kein Schuh oder Accessoire eingefallen, dass es weniger verdient hätte, salon- beziehungsweise designerflohmarktfähig zu werden. Rein objektiv betrachtet, wirken im Vergleich zur Adilette ärmelloser Feinripp und Outdoorhosen mit abnehmbarem Bein wie die Krone der Modeschöpfung. Ich dachte tatsächlich bis vor wenigen Jahren, die Dinger würden Aldi-letten heißen. Nach dem Discounter, nicht nach dem Sportartikelkonzern.

Was bewegt Menschen dazu, in Badelatschen durch die Stadt zu flanieren? Ist es die Freude an der Provokation durch Hässlichkeit? Der Wille, sich vom Schönheitsdiktat zu emanzipieren? Vermutlich ist der Entschluss der Adilettenträgerin zur Adilette aber gar nicht das Ergebnis eines intellektuellen Abwägungsprozesses, sondern schlicht ästhetisch begründet. Schließlich lenkt diese fürchterliche Schale die Aufmerksamkeit des Betrachters hin auf den exquisiten Inhalt - wohlgeformte, zarte Zehen, die sich der Frühlingssonne entgegenrecken. Exakt an diesem Punkt setzt meine Fußpflege-Exit-Strategie an. Mit sehr viel Ehrgeiz würde ich es für den Adilettentrend womöglich sogar noch zum Fußmodel bringen. Wenn dieser Schuh eines ist, dann tolerant gegenüber einem ausgeprägten Spreiz-Senkfuß.

Adilette zu Feinripp und Wachstuchdecke

Wenn wieder mal ein neues Trendschwein durch Neukölln getrieben wird, ist das oft ein möglichst banales Ding, das total ironisch gebrochen wird. Die riesigen Oma-Brillen, die Palmenfrisur. Jutetaschen, natürlich. Und jetzt eben Badelatschen, die vielleicht letzte modische Bastion des Spießers.

Ich stelle mir Tom vor, eine ältere, gesetztere Version. Wie er auf seinem Balkon im sogenannten, aber längst gentrifizierten, Arbeiterviertel sitzt, Über der Brust spannt der Feinripp, auf der Wachstuchdecke vor ihm steht ein Augustiner. Vor der Betonbalustrade flanieren die frisch zugezogenen Endzwanziger vorbei, in übergroßen Strickjacken - und Badelatschen, wie herrlich ironisch. Der Badelatschentrend ist also nicht nur optisch fragwürdig, er ist auch nicht sehr nett. Wir setzen uns alle für den Erhalt der Artenvielfalt ein, kaufen Kaninchen und Kanaries nur in Paaren und unterschreiben Petitionen für das Verbot von Elefanten im Zirkus. Belassen wir doch auch die Badelatsche in ihrem natürlichen Umfeld. Und gemeint ist nicht der Latschenwald.

Gut, ließe sich jetzt einwenden, vielleicht geht der eigentlich überstanden geglaubte Trend zum Flachschuh jetzt einfach in die Verlängerung? Ist nicht die Adilette die logische Fortsetzung des Birkenstockwahns der vergangenen Sommer? Nun ist der Weg vom Nassraum in die Innenstadt zwar weiter als der aus der Arztpraxis. Aber wie die Korktreter gibt es auch die Adilette längst als Designer- und personalisierbare Variante. An die Ökolatschen haben wir uns längst gewöhnt, wie an einen krummgewachsenen Zehennagel. Und vielleicht ist das das fürchterlichste am Gummilatschentrend: Dass er uns bis zum Herbst selbstverständlich erscheinen wird.

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