Samstagsküche:Lende gut, alles gut

Die Wormser Metzgerei David ist berühmt für bestes Fleisch. Aber Qualität ist teuer. Nicht nur der Kunde, auch ein Metzger muss sie sich leisten können.

Von Patrick Hemminger

Für einen Zuchtbullen ist "Paulchen" ein fast schon demütigend niedlicher Name. Doch der ist hier Programm, wie man später feststellen wird. Paulchen ist ein tonnenschwerer, furchteinflößender Koloss, und Jürgen David hat sich mit einem Eimer trockener Brötchen zu ihm und seinen Kühen auf die Weide getraut. Dort steht der Metzger nun und spricht ganz ruhig mit seinen Tieren. Sie kennen ihn, trotzdem muss David vorsichtig sein. Ein fordernder Kopfstoß nach mehr Futter von so einem Ungetüm kann lebensgefährlich sein. David schlüpft schließlich durchs Gatter und schließt es hinter sich, Paulchen war so friedlich, wie sein Name nahelegt.

Der Bulle und seine Kühe leben in einem einsamen Tal, 45 Fahrminuten von Worms entfernt. Wenn in der Stunde drei Autos vorbeifahren, ist hier viel los. Etwa 200 Tiere sind es, alle landen irgendwann in der Fleischtheke des Metzgermeisters. Und Paulchens Sanftmut trägt wesentlich zur großen Qualität von Davids Fleisch bei. Sein entspanntes Wesen überträgt sich auf die Herde, und kaum etwas ist so schlecht für die Fleischqualität wie gestresste Tiere.

Jürgen David

"Gutes Fleisch ist das, was schmeckt. Punkt": Jürgen David hinter der Theke seiner Metzgerei. Für Steaks oder Wurst von hier nehmen Kunden auch längere Autofahrten in Kauf.

(Foto: Malte Kahl)

"So stelle ich mir das vor", sagt David, an den Zaun gelehnt. Die Tiere haben ein ruhiges Leben, viel Platz im Freien, kriegen keine Antibiotika, werden nicht künstlich besamt, die Kälber trinken Muttermilch. Bis zu drei Jahre leben sie, dann erwartet sie ein schneller Tod. Hält man Rinder auf diese Art, geben sie am Ende zwar weniger Fleisch her, das aber in höherer Qualität. Womit man mitten im Thema wäre.

Von der Pfälzer Fleischwurst bis zum Dry-Aged-Steak schmeckt alles, was in Davids Wormser Metzgerei in der Theke liegt, viel besser als Vergleichbares. Die Frage ist ja, wie man das erreicht in einer Zeit, in der viele Metzger dichtmachen. In der die gedunsenen Lappen, die im Supermarkt unter Steak firmieren, auch gewürzt mit dem Aroma von Fleisch so viel zu tun haben wie ein salzwassergetränkter Schwamm. Es muss einen Grund haben, dass Menschen bei David Schlange stehen bis auf die Straße. Dass viele eine Stunde oder mehr Fahrt zu seiner kleinen Metzgerei auf sich nehmen. Dass sich manche hier für Hunderte Euro den Kofferraum vollladen.

Dabei ist die Frage, was Qualität ist, für Jürgen David nicht einfach zu beantworten. "Gutes Fleisch ist das, was schmeckt. Punkt. Für den einen ist die Ethik, die Nachhaltigkeit, die Natur das Entscheidende, für den anderen der Geschmack, für den nächsten die Zartheit. Nun gibt es verschiedene Wege, dahin zu kommen", sagt er. Die Haltung ist wichtig, spielt aber eine geringere Rolle, als viele denken. Ganz oben steht für David die Genetik der Tiere. Auch ihr verdankt Zuchtbulle Paulchen sein ruhiges Wesen - "ideal", findet David. Ein aggressiver Bulle bedeute mehr Stress, mehr Adrenalin und schlechtere Fleischqualität.

Jürgen David hat den Alltag als Metzger gehasst. Erst als er umdachte, wurde es besser

Natürlich spielt auch die Rasse eine Rolle, David liebt Angus-Rinder, eine Fleischrasse. Die meisten Jungbullen aber stammen von Milchkühen ab. Von Rassen also, die auf Milchleistung gezüchtet sind, nicht auf Fleischqualität. Außerdem bekommen Davids Rinder fast nur Gras zu fressen. So wachsen sie langsamer, das Fleisch wird aber kräftiger im Geschmack. Zuletzt geht es um die Schlachtung. Die Art, wie die Tiere getötet werden, macht dem Metzger zufolge noch einmal zehn bis 20 Prozent bei der Qualität aus. Bald will David diese Arbeit auf dem Hof selber übernehmen. Das Problem am Schlachthof sei, dass die Tiere in eine fremde Umgebung mit fremden Artgenossen kommen. "Die fangen sofort an, eine Rangordnung auszumachen, das stresst", sagt David. Auf dem Hof kommt der Tod indes so unerwartet wie möglich.

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Das Problem einer Viehhaltung wie bei David liegt natürlich auf der Hand. Sie ist für Landwirte unrentabel, weil zu wenig für Fleisch gezahlt wird. David kriegt seine Tiere von Menschen, die nicht von der Viehzucht leben müssen. Der Besitzer der Herde ist Forstwirt, die Tiere sind nur ein Zubrot. Die Deutschen essen etwa neun Kilo Rindfleisch im Jahr. Das meiste ist kaum mehr als ein Nebenprodukt der Milcherzeugung. Zwar ist hierzulande der niedrige Milchpreis dauernd Thema. Mit Fleisch machen Landwirte aber noch viel schlechtere Geschäfte - es ist schlicht zu billig.

Jürgen David lenkt seinen schwarzen Geländewagen zurück nach Worms, die Straßen führen durch die rheinhessischen Weinberge, er erklärt das Dilemma des deutschen Fleisches. "Eine Kuh muss einmal im Jahr ein Kalb gebären, damit sie eine höhere Milchleistung hat. Das Kalb wird der Mutter weggenommen, denn sobald es aus der Zitze getrunken hat, säuft's nicht mehr aus der Flasche." Weibliche Kälber gehen in die Milchproduktion, männliche sollen schnell groß werden. Nach spätestens 18 Monaten werden Jungbullen geschlachtet. Hochwertiges Fleisch ist das nicht. Trotzdem sind 88 Prozent aller für den Verzehr getöteten Rinder in Deutschland Jungbullen. Der Rest sind Ochsen oder Färsen, Kühe, die aus irgendeinem Grund nicht für die Milchproduktion taugen. "Für mich als Metzger ist eine Färse der beste Fall, die Steaks sind durch den höheren Östrogengehalt immer zarter. Für den Bauern sind sie natürlich der schlechteste", sagt David. Schließlich geben Färsen keine Milch und am Ende noch 30 Prozent weniger Fleisch - ein Verlustgeschäft.

Viele glauben, das Fleisch junger Bullen sei gut. Alles Quatsch. Alte Kuh schmeckt viel besser

Kaum ein Bauer wagt sich an die Zucht von Rassen mit besonders hochwertigem Fleisch wie Angus, Hereford oder Wagyu. Die bringen weniger Ertrag, ihr Fleisch hat aber mehr intramuskuläres Fett, es ist zarter und saftiger. Selbst wenn sich dafür mehr Geld verlangen lässt, ist es im Topsegment schwer, rentabel zu arbeiten. Auch, weil Qualitätsfans wie der Besitzer von Jürgen Davids Herde die Milch ihrer Kühe nicht verkaufen, sondern den Kälbern überlassen, um die Qualität weiterzutreiben. Würde David seine Tiere bei Züchtern kaufen, die davon leben müssten, müsste er noch mehr für seine Produkte verlangen. Dabei ist er schon jetzt dreimal so teuer wie ein Supermarkt. Das sei die Grenze, sagt er. Die Metzgerei ist nur ein kleiner Betrieb außerhalb von Worms, hier müssen Preise im Rahmen bleiben, wenn Kunden Schlange stehen sollen. 100 Gramm Schinken vom Bentheimer Schwein kosten etwa bei Jürgen David 3,35 Euro. In einer Großstadt wie München wäre für vergleichbare Qualität mindestens das Doppelte fällig.

Das perfekte Steak

Worauf muss man beim Kauf achten?

Die Farbe des Fleisches muss satt und dunkel sein. Je nach Rasse und Fütterung finden sich kleine Fetteinschlüsse darin, das sogenannte intramuskuläre Fett - je mehr davon, desto saftiger ist das Steak. Wenn das Fleisch blutfrisch aussieht, ist es in der Regel nicht gut abgehangen.

Wonach sollte man fragen?

Nach der Herkunft. Schon, weil man daran merkt, ob sich der Metzger Gedanken macht. Wenn er dazu nichts sagt: schwierig. Nach dem Futter. Gras oder Getreide? Gras gibt aromatischeres Fleisch, Getreide oft saftigeres, zarteres. Das ist Geschmackssache. Nach dem Geschlecht, Färse und Ochse sind immer besser als Jungbulle. Nach der Rasse. Toll für Steak sind: Wagyu, Hereford, Limousin, Hinterwälder, Angus.

Wie bereitet man das Steak zu?

Fleisch zwei Stunden vor der Zubereitung aus dem Kühlschrank holen, es sollte Zimmertemperatur haben. Ob es auf Gas oder Kohle gegrillt oder in die Pfanne gelegt wird, ist egal. Wichtig ist enorme, aber kurze Hitze, damit schnellstmöglich Röstaromen entstehen, die Hitze sich aber nicht ins Fleisch arbeitet. Eine Minute pro Seite reicht völlig. Danach das Steak (vor allem Filet) so schonend wie möglich fertig garen, etwa im Backofen bei 80 Grad Umluft oder 100 Grad Ober-/Unterhitze. Ein Kernthermometer ist dafür hilfreich: Ab 48 Grad ist das Steak innen "rare", bei 54 Grad "medium rare", bei 60 Grad "well done". Ist die gewünschten Garstufe erreicht, Fleisch vor Anschnitt fünf bis zehn Minuten (abgedeckt) ruhen lassen. Patrick Hemminger

Seit fünf Generationen sind sie in Davids Familie Metzger. Er wollte es nie machen, brachte es aber nicht über sich, die Tradition sterben zu lassen. 15 Jahre lang schuftete er bis zu 90 Stunden pro Woche. Er hasste es: "Ich habe richtig Dreck gefressen, da ging's ums Überleben." Von den Winzern aus der Umgebung hat er gelernt, sich zu verändern. Denen ging es ähnlich, ihren Wein wollte kaum noch einer trinken. Doch nach und nach arbeitete sich ein Betrieb nach dem anderen durch rigorose Qualitätskontrolle an die deutsche Spitze vor. Die Winzer machten plötzlich gute Weine, sie investierten in Marketing und schicke Probierstuben. "Da dachte ich mir: Wenn die Winzer das können, kann ich das auch", sagt der 40-Jährige. So begann seine Erfolgsgeschichte. Er suchte gute Züchter und machte Werbung für sein Fleisch. "Am Anfang war das die Katastrophe", sagt er. Langsam sprach es sich aber herum, dass es da diesen Kleinstadtmetzger gibt, bei dem alles nicht nur etwas besser ist. Inzwischen läuft es so gut, dass David den Bedarf gar nicht mehr mit Tieren nur aus der Umgebung decken kann. Er kriegt Fleisch aus Irland geliefert und aus Galizien.

In Deutschland lässt David keine Tiere schlachten, die jünger sind als zweieinhalb Jahre. Die Kühe, die er aus Galizien importiert, sind sogar zehn Jahre und älter. Ein Freund von ihm geht dort durchs Schlachthaus und filmt per Livestream die toten Tiere. David entscheidet anhand der Bilder, welches er kauft. Warum diese alten Tiere, wo hierzulande doch vielen das recht langweilige Kalbfleisch als der Inbegriff guten Fleisches gilt? Das Alter spielt bei der Qualität eine entscheidende Rolle. Je länger die Tiere leben, desto höher wird der intramuskuläre Fettanteil, desto zarter und aromatischer ist am Ende das Steak.

Es ist spät geworden. In der Metzgerei kommen Wurst und Fleisch in den Kühlraum. Durch den Laden zieht ein köstlicher Duft. Nussige, süßliche Noten, begleitet von kräftigen Röstaromen. Der Metzger kommt mit dem gegrillten Stück Fleisch einer galizischen Kuh herein, schneidet es für die Angestellten in Scheiben. "Entscheidend für die gute Zubereitung ist die Kerntemperatur. Da machen zwei Grad mehr oder weniger was aus", sagt er. Es ist still im Raum, nur gelegentlich sind zufriedene Seufzer zu hören. "Schmeckt's?", fragt David.

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