Samstagsküche:Flaschengeld

Lesezeit: 5 min

Weinkeller sind Statussymbole, für die selbst ehrgeizige Sammler selten Platz haben. Die fachgerechte Lagerung regelt deshalb heute der Profi.

Von Georg Etscheit

Christian Ress ist Banker und er hadert durchaus nicht mit seiner Profession, trotz Finanzkrisen, Risiken und Zins-Dramen. Denn Ress hütet in seinen Depots weder Geld noch Gold oder Diamanten, sondern - Wein. Vor sieben Jahren eröffnete der Inhaber des traditionsreichen Rheingauer Weingutes Balthasar Ress seine "Winebank", eine Art Mietlager, speziell für Käufer hochwertiger Weine. Ähnlich jenen Storage-Konzepten für Stadtnomaden und Boardinghouse-Bewohnern ohne eigene Lagermöglichkeiten, die es heute in jeder Großstadt gibt, aber eben nicht ganz.

Denn wer möchte schon in einer gesichtslosen Halle in irgendeinem Gewerbegebiet und in Nachbarschaft von Hausrat seine kostbaren Grands Crus lagern? Bei Ress weiß man, dass Tradition, Luxus und Patina an den Wänden zwar nicht den Alterungsprozess des Weines beeinflussen, doch unwichtig für den Kunden ist das alles trotzdem nicht. Bei einem so emotionalen Thema wie Wein trinkt das Gefühl mit.

Die Tür zur Winebank in Oestrich-Winkel, ein Weinort am Rhein zwanzig Kilometer östlich von Wiesbaden, öffnet sich mittels einer Chipkarte. Das Licht springt an, vom Band erklingt Lounge-Musik. Dann geht's ein paar Stufen hinab in den früheren Weinkeller des Weingutes Ress. Kühl ist es hier, ein wenig Wasser rinnt an den Wänden herunter, die dekorativ mit schwarzem Schimmel bewachsen sind. Dort, wo früher in großen Betontanks der Wein bereitet wurde, stehen nun edel gestylte und effektvoll ausgeleuchtete Regale aus schwarzem Stahl. Der Boden ist mit Taunus-Quarzit belegt, eine lange Theke mit schwarzem Naturschiefer vom Mittelrhein - Regionalität muss sein.

In den Depots liegt hinter abschließbaren Gittern der flüssige Besitz der Kunden: edle Barolos von Gaja aus Piemont, Rheingauer Rieslinge von Kühn und Weil, oder auch mal ein Mouton Rothschild oder ein Fläschchen Château d'Yquem, der teuerste Süßwein der Welt. In einem der 223 Fächer erspäht man auch drei Flaschen eines Erfrischungsgetränks. "Das enthält Wein und geht gerade noch", sagt Ress. "Wenn hier aber jemand Coca-Cola lagern will, muss ich einschreiten." Schließlich soll der exklusive Gesamteindruck nicht leiden.

Wein liegt heute auf der Bank. Hamburg hat schon eine, Basel, Frankfurt und Wien bald auch

Das Weingut war schon 1993 aus dem Ortszentrum an den Rand von Oestrich-Winkel gezogen, die historischen Gebäude standen seither teilweise leer. 2003 kam Ress die Idee, den großen, alten Keller parzellenweise zu vermieten. "Mich hatten zuvor immer wieder Kunden gefragt, ob ich für sie Wein lagern könnte, weil sie zu Hause nicht genug Platz hätten", erinnert sich der 42-jährige Winzer und Geschäftsmann mit dem weichen, südhessischen Tonfall - zusammen mit seinem Vater leitet er das Gut in fünfter Generation.

Genuss unter Verschluss: Fächer von Privatkunden der Weinbank Ress im Rheingau. (Foto: Arne Dedert/dpa)

2009 wurde die Winebank eröffnet. Die unterschiedlich großen Fächer und die drei begehbaren Privatkeller seien fast immer ausgebucht, sagt Ress, der gerade in Hamburg zusammen mit einem Franchisenehmer seine zweite Winebank eröffnet hat. Die meisten Mieter sind Firmen, die mit ihren Kunden in der rund um die Uhr zugänglichen Luxus-Location exklusive Events veranstalten. Es sind aber auch viele Privatleute darunter, Rechtsanwälte, Zahnärzte. Weitere Weinbanken in Frankfurt, Mainz, Basel, Wien und dem pfälzischen Wachenheim sollen folgen.

Seit sich immer mehr Menschen auch in Deutschland dem gehobenen Weingenuss zuwenden, boomt nicht nur das Geschäft der Qualitätsweingüter. Auch die Frage, wo und wie man die teuren Flaschen ohne Qualitätsverlust aufbewahren kann, wird immer wichtiger. Zwar wird hierzulande der meiste Wein immer noch im Supermarkt gekauft und oft noch am selben Tag konsumiert, doch wächst die Zahl derer, die sich nicht mit der Ex-und-hopp-Kultur zufrieden geben.

Dass gereifte Weine, ob rot oder weiß, ganz besondere Geschmackserlebnisse bieten können - diese Botschaft versucht Rainer Jung nach Kräften zu verbreiten. "Gereifte Weine sind eine vergessene Tradition", sagt der stellvertretende Leiter des Instituts für Oenologie an der Hochschule Geisenheim, der Kaderschmiede des deutschen Weinbaus, wenige Kilometer von Ress' Winebank entfernt. "Wie sich der Wein verändert, von fruchtigen Aromen in seiner Jugend bis zu den reifen, balsamischen Noten des Alters, ist ungeheuer spannend." Die Vielfalt, die ein und derselbe Wein bereithalten könne, gelte es wiederzuentdecken. Fachgerechte Lagerung spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Eigentlich ist es gar nicht so schwer, Wein richtig aufzubewahren. Man braucht dazu nur einen Raum mit einigermaßen konstanter Temperatur zwischen 15 und 18 Grad Celsius, wobei Ausreißer nach oben oder unten, wenn nicht zu extrem, kein Problem sind. Einfrieren oder sehr warm werden, sollte der Wein nicht, dann wird er ungenießbar. Ideal ist eine Luftfeuchtigkeit um die 60 Prozent, weil so die Korken nicht austrocknen, Etiketten aber auch nicht zu schimmeln beginnen - und natürlich Dunkelheit oder wenigstens Dämmerlicht, direktes Sonnenlicht ist Gift für jeden Wein. Einen eigenen Keller braucht man dazu nicht unbedingt. Zur Not tut es auch der Kleiderschrank im Schlafzimmer, vorausgesetzt, dass dieses kaum geheizt wird. Von der Stellage neben dem Kochherd ist hingegen abzuraten - viel zu warm. Nach dem van-'t-Hoff'schen Gesetz beschleunigen sich alle chemischen und physikalischen Prozesse bei einer Temperaturerhöhung von zehn Grad Celsius um das zwei- bis dreifache: Der Wein altert im Turbogang.

(Foto: N/A)

Der Markt wächst schnell, mancher Kunde ordert Klimaschränke für 500 Flaschen

Im Idealfall können die kostbaren Flaschen viele Jahre gut überstehen und, wenn es sich um alterungsfähige Weine (die Franzosen sprechen von "vins de garde") handelt, sogar immer besser werden, vorausgesetzt, man mag den Geschmack von Tropfen im Seniorenalter. Das eigentliche Problem ist die Frage, wann man die Flaschen öffnen soll, um sie auf dem Höhepunkt trinken zu können. Wenn man nur wenige Flaschen auf Lager hat, kann die optimale Reife zur Lotterie werden. Manche Weine schmecken in den ersten Jahren schon recht gut, verschließen sich dann aber eine Zeit lang, um sich erst im vorgerückten Alter wieder zu öffnen. Dass "große" Weine immer groß, also auch schon in ihrer Jugend mit Genuss zu trinken seien, wie es die Sommelière Paula Bosch in ihrem Buch "Weingenuss" schreibt, bezweifelt Jung. "Ein großer Wein kann einem schon in der Jugend groß erscheinen, aber richtig schmecken tut er meist noch nicht."

Wer sicher gehen will, kauft sich von alterungsfähigen Weinen, die schon jung überzeugen, gleich ein paar Kisten desselben Jahrgangs, um regelmäßig über Jahre hinweg eine davon öffnen zu können. So kann man sich an den Höhepunkt gewissermaßen herantrinken, rät Weinexperte Peter Gebler von der Deutschen Wein- und Sommelierschule in Koblenz. Wer auf einen gut sortierten Weinvorrat Wert legt, kommt auf diese Weise, bei regelmäßigem Konsum, schon mal auf mehrere Hundert, wenn nicht tausend Flaschen, die er aufbewahren muss. "Nach Plan trinken", nennt das Gebler - schon ohne Lagerungsmiete ein teures Hobby. Und ein anspruchsvolles dazu: Um nicht den Überblick zu verlieren, empfiehlt sich dann ein gut geführtes Kellerbuch.

Für solche Mengen ist eine Lösung wie die Winebank von Christian Ress entschieden zu kostspielig. Schließlich schlägt die monatliche Miete in seinem Rheingauer Keller, je nach Größe des Fachs, mit 49 bis 199 Euro pro Monat zu Buche, in Frankfurt wird der Einstiegspreis sogar bei 99 Euro liegen. Da sollte man die Rechnungen schon als Betriebsausgaben absetzen können. Auch haben passionierte Weinkenner und Sammler ihre Preziosen gerne griffbereit. Hier kommen dann Unternehmer wie Stefan Woschek ins Spiel. Der 52-Jährige ist Händler durch und durch. In einem Wiesbadener Gewerbegebiet betreibt er den Versandhandel Promondo. "Wir verkaufen alles außer Tierfutter", sagt Woschek, dessen Vater ein bekannter Weinjournalist war, die Liebe zum Rebensaft wurde ihm sozusagen in die Wiege gelegt. Heute profitiert auch er von der neuen Lust der Deutschen am Wein. "Was früher der Swimmingpool war, ist heute der eigene Weinkeller", sagt Woschek.

In seinen Spezialkatalogen findet sich alles, was Weinliebhaber für die fachgerechte Lagerung und Darreichung ihrer Kreszenzen brauchen können: Vom Einsteigermodell aus unbehandelter Fichte ("Das Billy unter den Weinregalen") bis zu ambitionierteren Lösungen aus Edel-Holz, Stahl oder Ton, Klimaschränken jeder Größe, wie man sie aus Gourmetlokalen kennt, sowie Gläsern, Korkenziehern und Accessoires wie einem Tischdestillator zum geselligen Schnapsbrennen im Freundeskreis. "Das Segment wächst wahnsinnig", sagt Woschek, der seinen Kunden in ganz Europa auch komplette Weinkeller projektiert und einrichtet. In Zusammenarbeit mit Weinhändlern wird der kostbare Inhalt dann natürlich gern mitgeliefert.

Die Wünsche der Kunden sind zuweilen etwas ausgefallen. Manche Order lässt vergessen, dass es sich nicht um Gastronomen, sondern um Privatleute handelt. Gerade habe sie einem kinderlosen Ehepaar, laut Selbsteinschätzung "absolute Weinliebhaber", einen begehbaren, vollautomatischen Klimaschrank für 500 Flaschen verkauft, berichtet eine Mitarbeiterin. Aufgestellt werden sollte das voluminöse Stück nicht im Keller, sondern in der Dreizimmerwohnung - im "Kinderzimmer".

© SZ vom 02.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: