Samstagsküche:Die Renke ist sicher

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Kaum ein Traditionsberuf wird so verklärt wie der des Seenfischers. Doch wie sieht die Realität aus? Drei Geschichten.

Von Josef Wirnshofer

Tegernsee

Fischerei Tegernsee: Man hat ja so ein Klischee im Kopf, wie womöglich jemand auszusehen hat, der Kübel voller Aale aus dem Boot wuchtet. Simpert Ernst, 31, entspricht diesem Bild sicher nicht. Er trägt Jeans und Kapuzenpulli, Armani-Brille und nach hinten gegelte Haare. Jetzt sitzt er im kleinen Bistro der Fischerei Tegernsee, die er zusammen mit Christoph von Preysing und Thomas Bayer führt, und spricht darüber, wie man Kunden anzieht und dass bei ihnen alles etwas anders läuft, jugendlicher, moderner. Ernst lässt gern mal die Faust auf den Tisch knallen, wenn er Sätze sagt wie: "Wenn du den Job nicht lebst, dann kannst du's gleich knicken."

Simpert Ernst kommt aus einer Fischerfamilie am Ammersee und wollte eigentlich nie Fischer werden. Stundenlang im Boot ausharren, Fische schlachten, Steg schrubben - als Kind hat ihn das genervt. "1996 ist aber mein Vater gestorben und da wollte ich, dass der Beruf in unserer Familie weiterlebt." Nach einer Konstruktionstechniklehre hat er sich also doch zum Fischer ausbilden lassen. Am Tegernsee, vor 13 Jahren.

Heute will Ernst mit seinen Kollegen das Bild vom Seenfischer entmuffen - und vor allem junge Leute ansprechen. Dazu inszenieren sie ihre Arbeit und verpassen ihr etwas Glamour. Sie posten Fotos auf Facebook, wenn sie einen Karpfen aus dem Wasser ziehen. Sie drehen Videos, in denen sie einen Schwarm Seeforellen aussetzen. Im hauseigenen "Aquadome", einem großen Aquarium, können Besucher Seefische beobachten. Und auf ihrer Homepage bieten die Fischer einen "Airservice" an: Gäste aus München oder Salzburg fliegen sie bei Bedarf mit dem Helikopter ein. Gebucht hat das noch niemand. "Es lohnt sich aber allein schon, dass es auf der Homepage steht", sagt Ernst, "die Leute reden über uns, wenn sie so etwas lesen."

Trotz allem Tamtam will Simpert Ernst aber auch Qualität und Nachhaltigkeit erwähnt wissen: "Das ist immer noch unsere wichtigste Werbung." Die Renken werden hier mit Erlenholz geräuchert. Viel Zeit investieren die Fischer in ihr Bruthaus am Ufer des Tegernsees. In acht Brutbecken ziehen sie etwa Renken und Seesaiblinge auf, um sie wieder in den See zu setzen. Zu den größten Erfolgen gehört die starke Vermehrung der Seeforelle. 150 000 Tiere setzen sie jährlich aus. Vor 50 Jahren waren Seeforellen im Tegernsee fast ausgestorben. Vor dem Bau der Ringkanalisation hatte sich durch Überdüngung und Algenwachstum eine Faulschlammschicht am Grund gebildet. Die Seeforelle - ein Kieslaicher - braucht aber Kiesbetten mit sauerstoffhaltigem Wasser, um Eier abzulegen. Inzwischen zappeln wieder regelmäßig Seeforellen im Netz. Im Fischerei-Bistro stehen die gebratenen Filets dann mit Safran- oder Zucchinirisotto auf der Karte.

Gibt es einen schöneren Arbeitsplatz als den Tegernsee? Nein, findet Simpert Ernst. (Foto: BR/SZ-TV)

Die Fischerei Tegernsee ist der einzige Vollerwerbsfischer am See. Für die insgesamt elf Mitarbeiter reicht der Wildfang aber nicht aus: "Wenn wir nur davon leben müssten, könnten wir den Laden vielleicht zu zweit betreiben", sagt Simpert Ernst. In einer Teichwirtschaft in Wildbad Kreuth züchten sie deshalb auch gezielt. Bachsaiblinge zum Beispiel, ihre meistverkauften Fische, die nach dem Räuchern noch überraschend saftig daherkommen und ein angenehm dezentes Raucharoma haben. Außerdem verkaufen sie Steinbutt aus der Bretagne und King Crabs aus Kamtschatka. Was das mit der Seenfischerei zu tun hat? Es hält sie am Leben.

Chiemsee

Chiemseefischerei Lex: Für kurze Zeit hatte Florian Lex einmal darüber nachgedacht, die Insel zu verlassen und in die Stadt zu ziehen. Wie sein Zwillingsbruder, der nach dem Gymnasium ein Ingenieursstudium in München begann. Der 23-Jährige hat diesen Gedanken dann aber schnell verworfen. Seit knapp 160 Jahren steht der Name Lex nun schon für Fischerei, 1857 eröffnete die Familie den kleinen Betrieb auf der Fraueninsel im Chiemsee. "Da überlegt man schon genau, ob man mit dieser Tradition bricht", sagt Florian Lex.

Wer mit ihm von der Anlegestelle aus das Ufer hochläuft, links in den Garten biegt und über eine Treppe das holzverkleidete Anwesen der Familie betritt, ahnt schnell, was er meint. Alles hier drinnen atmet Tradition: In den Esstisch aus Eschenholz sind Fischornamente eingearbeitet. Die Wand dahinter ist behangen mit Fischerszenen und Bildern von Chiemseemalern. Dazu ein Foto, das Lex' Ururgroßvater auf einem Holzboot mit Zugnetzen zeigt. Auch als Besucher versteht man die Faszination des Ortes, es überrascht also nicht, dass Florian Lex geblieben ist, eine Fischerlehre absolviert hat und den Betrieb heute gemeinsam mit seinem Vater Thomas führt - in sechster Generation.

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(Foto: BR/SZ TV)

Simpert Ernst.

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(Foto: BR/SZ TV)

Florian Lex.

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(Foto: BR/SZ TV)

Ernst Simmerding.

Zwischen fünf und sechs Uhr morgens fahren die beiden auf den See. Ihr "Brotfisch" sind Renken, "die machen etwa 80 Prozent unseres Fangs aus", sagt Thomas Lex. Dazu kommen je nach Jahreszeit Aale, Brachsen, Hechte oder Zander. Sie nehmen aber nur Fische aus dem See, die schon abgelaicht haben - um den Bestand zu sichern. Die Fischer steuern das über die Maschengröße der Netze: Ist ein Fisch zu jung, schwimmt er durch. Die Größen bestimmt die Fischereigenossenschaft Chiemsee jedes Jahr neu, sie gelten für alle 16 Berufsfischer dort. Zwei, drei Stunden verbringen Florian und Thomas Lex auf dem See. Dann geht es an Land, den Fang verarbeiten. Schuppen, ausnehmen, filetieren. Die Fische, die sie am Vorabend eingesalzen haben, räuchern sie über Buchenholz. Etwa drei Stunden bleiben sie im Ofen. Der Verarbeitungsraum ist kaum größer als eine Gartenlaube. Am späten Vormittag liegt der Fang geräuchert oder als Fischsemmel in der Ladentheke.

Die Moderne zeigt sich in einer Traditionsfischerei vielleicht eher im Detail. Zum Beispiel darin, dass Familie Lex ihr Angebot bewusst klein hält. "Was wir verkaufen, soll möglichst hochwertig sein", sagt Florian Lex. Lieber schlagen sie noch den Sahnemeerrettich für die Fischsemmeln selbst auf, statt zusätzlich Fonds oder Salate anzubieten. Das schätzen nicht nur Touristen und die Gaststätten um den Chiemsee, sondern auch Sterneköche, die hier seit Jahren auf der Kundenliste stehen. Das liegt vor allem am hervorragenden "Renkenmatjes", dessen mild-würzige Dillnoten und zarter Schmelz auch bekannte Spitzenköche wie Christian Jürgens oder Bobby Bräuer schätzen. Früher hat die Familie auch Eckart Witzigmanns "Aubergine" beliefert. Vor zwei Jahren hat Witzigmann sich sogar gewünscht, zu seinem Geburtstag auf der Fraueninsel zu übernachten und mit Lex fischen zu gehen.

Qualität ist also wichtig, ein Alleinstellungsmerkmal wie der "Renkenmatjes" aber noch besser. So kann die Fischerei Lex auch in sechster Generation ohne Zukäufe vom Ertrag aus dem See leben, abgesehen vom norwegischen Lachs, der nur zu Weihnachten angeboten wird. Von den Fangerfolgen aber, die sein Vater und Großvater hatten, kann Florian Lex sich nur erzählen lassen. "Heute sind die Fische kleiner, man fängt weniger, weil die Seen immer sauberer und nährstoffarmer werden", erklärt er. Eine Renke wog früher 300 bis 400 Gramm, heute eher 250. Und die 150 Renken, die sie pro Tag bräuchten? Erreichen sie derzeit nicht. "Früher war es nicht ungewöhnlich, eine Seeforelle mit 27 Pfund zu fangen", sagt sein Vater, "heute ist es eine Sensation, wenn wir eine mit zehn Pfund rausziehen."

Es ist ein Problem, über das viele Seenfischer klagen. In den Siebzigerjahren war der Chiemsee durch Abwasser überdüngt. Zum Schutz des Ökosystems gibt es seit 1989 eine Ringkanalisation. Sie leitet das Abwasser um und hält Phosphate vom See fern. Doch mit der steigenden Wasserqualität ist auch der Nährstoffgehalt immer weiter gesunken. Ernsthaft Sorgen macht sich Florian Lex aber deshalb nicht: "Im Notfall müssten wir unsere Vermarktung umstellen oder Fische zukaufen."

Auf einem Oberarm trägt Florian Lex eine Tätowierung: eine Welle. Ein Leben in der Stadt? Ohne Wasser? Kann er sich nicht mehr vorstellen. Auch wenn er nicht fischt, geht er auf den See, zum Kitesurfen. Und sein Zwillingsbruder? Hat sein Ingenieursstudium abgebrochen - er macht jetzt eine Fischerlehre am Bodensee.

Starnberger See

Kramerfeicht Fischerei und Bootswerft Simmerding: Am liebsten ist Ernst Simmerding mit dem See allein. Vor allem im Herbst und im Frühjahr, wenn die Badegäste fern sind. Morgens und abends, wenn der See nicht befahren ist. Und am liebsten hält er sich am Ufer auf, wo Wasser und Land zusammen kommen. Er sagt: "Diese Grenze fasziniert mich, weil man da ja rübergehen könnte, weil sich hier so viel abspielt."

Ernst Simmerding hat schwere Lider und langes Haar, das er zum Zopf gezähmt hat. Er ist 62 und lebt am Starnberger See, seit er denken kann. Nur einmal hat er ein Jahr in Mittenwald gewohnt. "Aber dieses Karwendelgebirge fand ich bedrohlich, weil man aus dem Fenster schaut und da so ein Steinhaufen liegt, da ist mir die Weite vom Wasser lieber." Als Fischer und Bootsbauer arbeitet er immer am Wasser. Im Winter restauriert er Holzjachten und Motorboote, ab Mai baut er Boote für das nächste Jahr. Viermal die Woche fährt Simmerding zum Fischen. Doch weil er selbst weder Vermarktungsmöglichkeit noch Schlachtraum hat, verarbeitet ein befreundeter Fischer den Fang: Peter Andrä von der Kramerfeicht Fischerei. Andrä wiederum arbeitet im Winter bei ihm in der Bootswerft. Peter Andräs Familie unterhält ihre Fischerei seit 1796. "Aber davon allein", sagt Andrä, "kann hier keiner mehr leben, man braucht einen zweiten Job".

Andrä erzählt von der Ausbeute vom Vortag. Eine Renke hatte er im Netz. "Im Verkauf bringt die 2,60 Euro, dafür habe ich zwei Stunden Netz gesetzt und drei Stunden Netz rausgezogen." Aufhören will er trotzdem nicht. Aus Verbundenheit zur Tradition. Zudem sei das Fischereirecht eine Ehre. Am Starnberger See kann man es nur erben, man kann es nicht erwerben. Die Fische - Renken, Hechte, Barsche oder auch Rutten - verkauft Andrä in seinem Fischladen oder, bei guter Ausbeute, an Restaurants am See: "Die können eher noch nachvollziehen, dass Naturprodukte nicht immer gleich groß sind." Münchner Gastronomen hätten dagegen wenig Verständnis, wenn Fische mal kleiner sind. "Das Wasser ist nun einmal nährstoffarm, da wachsen die Fische eben nicht mehr so schnell", sagt Ernst Simmerding.

Für die Menschen ist der Starnberger See vor allem ein viel genutzter Naherholungsort. Das ist einerseits schön, aber es erschwert das Fischen zusätzlich. Ernst Simmerding bezweifelt, dass der See jemals allen gerecht werden wird: "Die Badegäste wollen warmes Wasser, der Segler will Wind, der Fischer will Fische, das alles unter einen Hut zu bringen, ist schwierig."

Die oberbayerische Seenfischerei ist eines von vielen Themen der dreiteiligen Süddeutsche-TV-Dokumentation "Seenflimmern", die das BR Fernsehen am 15. 05. (Chiemsee), 16. 05. (Tegernsee) und 26. 05. (Starnberger See) je um 19.15 Uhr zeigt.

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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