Pro Mitbringsel:Ich! Will! Schenken!

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Mit leeren Händen erscheinen? Eine unangenehme Vorstellung. (Foto: Natalie Neomi Isser)

Eine Freundin lädt ein und bittet darum, auf Geschenke zu verzichten. Unsere Autorin findet das betrüblich - im Gegensatz zum Kollegen, der Mitbringsel für eine überflüssige Geste hält. Eine Gegenüberstellung.

Von Violetta Simon

Ich gehöre zu der Sorte Mensch, die zu jeder Einladung etwas mitbringt. Nie käme ich auf die Idee, die Türschwelle zu überschreiten, ohne dem Gastgeber eine Flasche Wein, Schokolade oder wenigstens ein Blümchen entgegenzustrecken. Wenn man mir die Laune verderben will, bevor ich überhaupt die Jacke ausgezogen habe, muss man nur sagen: "Das wäre doch nicht nötig gewesen!" Diese Reaktion bringt mich aus dem Konzept. Ich habe Wein oder Blumen schließlich nicht ausgesucht, weil ich der Meinung war, es sei nötig. Sondern weil ich mich über die Einladung freue. Weil ich einen Beitrag leisten will zum Essen. Oder weil ich anderen gern eine Freude mache. Solche Dinge.

Was, wenn Maria damals in dem windigen Stall beim Anblick von Gold, Weihrauch und Myrrhe abwehrend die Hände gehoben und zu den drei Heiligen Königen gesagt hätte: "Meine Herren, das wäre doch nicht nötig gewesen!" Nicht nötig gewesen - ich frage mich, was das heißen soll: Hättest du dir nichts Originelleres einfallen lassen können? Ich mag keine Blumen, wusstest du das nicht? Oder ist es einfach nur eine Floskel, die der andere selbst schon 1000 Mal zu hören bekam?

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:Das wäre aber wirklich nötig gewesen!

Was schenkt man jemandem, der schon alles hat? Wie beeindruckt man die eine, bei der man auf keinen Fall etwas falsch machen will? Und welche Geschenke bestehen den Nachhaltigkeits-Test? SZ.de-Autoren empfehlen.

Wie auch immer, der Zauber ist in dem Moment gebrochen. Ich könnte mir die Flasche Wein wieder unter den Arm klemmen und umkehren. Oder nach einem Papierkorb suchen, der meine verschmähte Gabe verschwinden lässt. Stattdessen spiele ich mit und sage etwas mindestens ebenso dämliches: "Also bitte, das ist doch nicht der Rede wert!"

Noch ratloser machen mich Einladungen zu einem runden Geburtstag, an deren Ende in fetten Buchstaben steht: "Bitte spart euch das Geld und die Zeit, ich brauche keine Geschenke!" Fürchtet sich der Gastgeber wirklich nur vor Dekokram und Plunder? Oder fällt es ihm womöglich schwer, etwas anzunehmen.

"Bitte keine Geschenke" - in meinen Ohren klingt das wie diese Aufforderung, die man oft unter Traueranzeigen liest: "Von Beileidsbekundungen bitten wir abzusehen." Mit dem Unterschied, dass ich bei einer Beerdigung vollstes Verständnis für diese Art von Selbstschutzmaßnahme habe. Doch wenn man nicht gerade Trojaner ist und die Griechen mit einem Holzpferd vor den Toren stehen, sehe ich keinen Grund, die Annahme von Geschenken von vornherein zu verweigern.

Es soll ja Menschen geben, die sind in so einem Moment erleichtert. "Keine Geschenke? Wie großzügig", denken sich manche, wenn sie das lesen. Andere sehen die Sache pragmatisch: "Super, ein Problem weniger".

Dabei fängt mein Problem damit erst an. Ich finde es weder bescheiden noch zeugt es für mich von gutem Stil, wenn jemand etwas, das ich mir ausgedacht habe und das von Herzen kommt, nicht haben will - nicht einmal geschenkt. Weil mich der Gastgeber damit um die Gelegenheit bringt, mich erkenntlich zu zeigen für den schönen Abend, der mich erwartet. Weil er mich der Chance beraubt, ihm auf Augenhöhe zu begegnen und mich zu einem Schmarotzer degradiert. Wie soll ich mich da entspannt betrinken oder auch nur einen Bissen runterbringen?

Mag sein, dass ich in dieser Hinsicht etwas theatralisch rüberkomme. Doch historisch gesehen stehe ich mit meiner Befindlichkeit keineswegs alleine da. Schon der französische Soziologe Marcel Mauss schreibt 1924 in seinem Essay "Die Gabe", dass Schenken kein einmaliger Akt sei, sondern auf dem Prinzip des Gebens und Nehmens basiere. Dazu gehört, dass die Gabe angenommen - und erwidert wird. "Erst wenn das gelingt, stabilisiert sich eine Beziehung", sagt Frank Adloff, Professor für Soziologie an der Universität Hamburg.

Irritierende Gefühle stellen sich hingegen ein, sobald im Prozess des Austausches ein Ungleichgewicht entsteht. Schenken kann nämlich ein Gefühl der Unterlegenheit beim anderen erzeugen: "Wer gibt, erleidet keinen Verlust, sondern rückt vorübergehend in eine übergeordnete Position - indem eine Schuld kreiert wird", erklärt Adloff. Wenn der Gastgeber also Geschenke ablehnt, signalisiert er damit: Ich möchte nicht in diese Position geraten. Und verstößt damit nicht nur gegen eine kulturgeschichtliche Konvention - sondern stört auch das soziale Gleichgewicht.

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Zu allem Überfluss muss ich mir nun beim nächsten Mal überlegen: Wie verhalte ich mich, wenn ich demnächst selbst einen runden Geburtstag feiere? Stehe ich nun unter Druck, ebenfalls auf Geschenke zu verzichten? "Im Grunde wäre die Person verpflichtet, Ihnen etwas zu schenken, obwohl Sie ihr nichts geschenkt haben", sagt Adloff. "Das muss geklärt werden, und dann wird es kompliziert."

Um das soziale Gleichgewicht zu erhalten, schlägt der Soziologe vor, die Gäste den Gegenwert für ein Geschenk lieber an eine Organisation spenden zu lassen. Oder sie zu bitten, sich an den Kosten für das Fest zu beteiligen, indem sie Geld in eine bereitgestellte Box werfen.

Schenken ist in unserer Kultur derart selbstverständlich, dass wir andere nicht dazu auffordern müssen. Aus gutem Grund: Schenken ist auch etwas, über das wir nicht gerne sprechen. Weil in unserer Kultur der symbolische Wert im Vordergrund steht, nicht der monetäre. Deshalb entfernen wir etwa auch das Preisschild vor dem Einpacken.

Natürlich ist es so gesehen einfacher - und gesellschaftlich auch eher akzeptiert -, andere zum Nicht-Schenken aufzufordern. Aber nur auf den ersten Blick: "Wenn jemand im Vorfeld Geschenke ablehnt, thematisiert er das Schenken - und nötigt andere, darüber zu sprechen", sagt Adloff. Das erzeugt ähnlich unangenehme Gefühle wie der Satz "Das wäre doch nicht nötig gewesen!" Schließlich will man nicht als jemand wahrgenommen werden, der seiner Pflicht entbunden wurde, etwas zu schenken. Sondern als jemand, der freiwillig gibt.

Was, wenn ich nun wirklich mit leeren Händen käme - wäre die Person am Ende nicht doch ein bisschen enttäuscht? Die Bitte, auf Geschenke zu verzichten, beweist doch eigentlich, dass der Gastgeber davon ausgeht, etwas zu bekommen. In dem Fall wäre die passende Antwort wohl: "Dieser Hinweis wäre wirklich nicht nötig gewesen - ich hatte gar nicht vor, dir etwas zu schenken!"

Doch so etwas könnte ich wie gesagt nie tun. Stattdessen drücke ich meiner Freundin, dem einzigen Menschen mit Kassettenrecorder, ein Päckchen in die Hand. Darin mein liebstes Mixed Tape aus gemeinsamen Teenagerjahren. Und weiß, sie freut sich, dass ich mich nicht an ihre Aufforderung gehalten habe.

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