Perfektes Aussehen als Pflicht:Du kommst porentief rein

Elie Saab: Front Row - Paris Fashion Week Womenswear Spring/Summer 2014

Längst gehören perfekte Haut und Stil nicht nur auf den Laufsteg, sondern auch in die erste Besucherreihe. So wie hier auf der Schau von Elie Saab in Paris am vergangenen Montag.

(Foto: Getty Images)

Bei den großen Modeschauen vorne mitzumischen, ist ein perverses Vergnügen: Wer sich in die erste Reihe traut, muss erst mal durch die Beauty-Hölle. Über eine Branche, bei der die Zuschauer längst die Models abgelöst haben.

Von Julia Werner und Alex Bohn

Es wird ja immer gerne darüber geredet, welche Qual es doch ist, ein Model zu sein. Man wolle Models viel zu dünn, man treibe sie gezielt in die Magersucht, der Job sei gleichzusetzen mit Tod und Verderben. Und doch gibt es auf so gut wie jeder Show backstage ein riesiges Buffet mit allem, was das Herz begehrt, von fein belegten Focaccia-Sandwiches bis hin zu Pasta. Und man hat das ein oder andere Model auch schon davon kosten sehen. Den für die Modelmisshandlung verantwortlichen Diktatoren kann man allerdings nicht vorwerfen, mit zweierlei Maß zu messen. Sie quälen nämlich am liebsten und vor allem: sich selbst!

Die Rede ist von galaktischen Gestalten mit der Disziplin russischer Primaballerinen. Es sind nicht nur hübsche Adlige, Erbengattinnen, Hollywoodschauspielerinnen und sonstige Clothes-Whores. Sondern vor allem: Moderedakteurinnen. Man sieht sie nie essen, nie trinken, sie passen in jedes Kollektionsteil, obwohl sie meist schon 20 Jahre älter sind als die Models, für die diese Musterstücke genäht wurden. Der Ort dieser Selbstgeißelung ist die Front Row, eine selbst gewählte Hölle im Scheinwerferlicht.

Wichtiger als Models und Modedesigner

In der ersten Reihe sitzen die wichtigsten Menschen der Modebranche und all jene, die auf Geheiß der Kommunikations-experten der großen Labels hinterher auf den Fotos gesehen werden sollen. Sie verfügen jede Saison wieder über aktuelle Garderobe mit dem Wert eines sechsstelligen Jahresgehalts, weil irgendjemand ihnen Kleider schenkt, entweder ein Modehaus oder ein Ehemann oder eben sie sich selbst, weil sie gut bezahlt werden. Egal, woher die Klamotten kommen: Kein Look wird dem Zufall überlassen. Am besten ist allerdings, wenn er so aussieht, als hätte ihn die Trägerin sich morgens schnell übergeworfen. Präzise Lässigkeit ist die Königsdisziplin der Outfit-Komponisten!

Anna Dello Russo, die italienische Modechefin der japanischen Vogue, fängt schon Monate vor den Schauen an, ihre Looks zu planen, und zwar vom Scheitel bis zur Sohle, wobei sie ja noch nicht weiß, ob es heiß oder kalt sein wird, weshalb sie gleich mehrere Outfits für die gleiche Gelegenheit mitnimmt. Russo gehört zu den Hardcore-Blog-Fetischisten, die ihre Kleidung sogar mehrmals am Tag wechseln. Ersparen wir uns die Schätzung ihrer Übergepäckrechnung am Flughafen.

Sie trug übrigens früher noch keine Kirschtortenhütchen oder Micky-Maus-Ohren, sondern ganz einfach irgendwas Neues von Prada. Heute reicht elegantes Laisser-faire längst nicht mehr, um die eigene Mode-Ergebenheit zu beweisen: Die Fashion-Blogger belagern die Schauplätze und halten alles per Digitalkamera fest. Da darf kein Träger schief sitzen und schon gar nicht der Lidstrich.

Vom Scheitel bis zur Sohle

Der Tag im Leben einer Stilikone beginnt deshalb früh, wahrscheinlich so gegen spätestens sieben. Dann ist H&M-Zeit. Das Kürzel steht in diesem Fall nicht für Billig-Shopping, sondern für Haare und Make-up, und meistens kommen dafür sogar zwei, weil in internationalen Fashion-Kreisen ein Allrounder einfach nicht gut genug ist.

Vogue-Chefinnen als neuer Maßstab

Nehmen wir Anna Wintour, Chefredakteurin der US Vogue: Man hat sie noch nie mit einem Makel an ihrem üppigen Haarhelm gesehen. Das ist kein Wunder, sondern erstens die Arbeit von Vollprofis und zweitens der Schutz dunkler Limousinen, die die Dame direkt vor die Eingänge der verschiedenen Modekosmen bringen. Dort kann sie dann auch ruhig einen luftigen Seidenrock ohne Strumpfhose tragen, obwohl es draußen Eis regnet, so wie all die anderen tough girls mit großem Farbtalent.

Ob sie uns die Blasenentzündung danach einfach verschweigen? Wahrscheinlich bekommen sie keine - die fehlenden Strumpfhosen sind der Beweis dafür, dass wir es mit Außerirdischen zu tun haben. Auf dem Catwalk werden die tollen Wintermäntel und neuen Rockformen auch immer ohne Strumpfhosen gezeigt, natürlich sieht das besser aus, aber mit dem Leben auf der Erde hat das nichts zu tun.

So viel Disziplin an allen Fronten verdient natürlich Respekt. Man stelle sich das Stresslevel bei der Vorbereitung auf die eigene Hochzeit vor - Mani, Pedi, Make-up, Haare, Anziehen! Man ist schon ausgelaugt, bevor die Party überhaupt losgeht, aber eben drei Wochen am Stück jeden Tag aufs Neue. Und zur Beruhigung darf man am Abend zuvor noch nicht mal Entrecôte mit Pommes frites und Knoblauchsoße essen, weil die Augenpartie aufschwemmen könnte, und wer will einen verquollenen Blick auf dem Hochzeitsfoto? Niemand!

Hauptsache unbequem

Genauso wenig wie Anna Wintour und all ihre perfekten Kolleginnen von Giovanna Battaglia über Franca Sozzani bis zu Alexa Chung sich hinterher nicht tausendfach im Internet mit einem Pickel auf dem Kinn wiedersehen wollen. Chungs berühmte Frisur ist übrigens auch harte Arbeit: Alle Produkte, die lässige Beach-Wellen versprechen, lügen! Alexas Haar wird glatt geföhnt und dann in softe Wellen gelegt. Dazu braucht man nicht Übung, sondern einen Friseur.

"Fashion is not comfort", lautet Anna Dello Russos Credo. Sie hat natürlich recht: Gut auszusehen hatte noch nie etwas damit zu tun, sich zurückzulehnen und ein buttriges Schnitzel zu kauen. Sie selbst verbringt die Hälfte ihres Alltags auch außerhalb der Schauen im Fitnessstudio, denn ohne geschmeidigen Körper kein geschmeidiger Look.

Schönheit mit ausreichenden Geldmitteln

Schönheit ist und war schon immer subjektiv, immer mit Schmerz und Entbehrung verbunden. Zu Renaissancezeiten zupften sich die florentinischen Damen, damals ja die Stars der Society, den Haaransatz aus, damit die Stirn höher wirkte. Da jauchzte der Hofsänger auf ihren Festen, die ja auch so was wie ein Runway-Event mit begrenztem Eintritt waren, gleich ein paar Oktaven höher. Damals schloss man allerdings noch von der äußeren auf die innere Schönheit. Die interessiert von Paris bis Mailand niemanden mehr, zumindest nicht während der Schauen. Nein, es geht um makellose Oberflächen, um Bilder eben und sonst nichts.

Für halbwegs normale Menschen, die in ihren Heimatstädten als überdurchschnittlich gepflegt und gut angezogen gelten, sind die Modeschauen daher ein Höllenritt. Die Präsentation der ewig gleichen Tasche zu einem Dutzend Fashion-Partys fühlt sich irgendwann entwürdigend an, wenn man noch nicht mal die Gelegenheit bekommt, die fehlende Abend-Clutch-Kollektion mit Witz und Charakter auszugleichen.

Wenn Geld keine Rolle spielt

Hohe Schuhe tragen? Das scheitert morgens meist schon am Gedanken, tagsüber kein Taxi zu finden und dann mit Schürfwunden an den Füßen durch die kilometerlangen Schluchten der Pariser Metro zu humpeln. Oder eben durch die New Yorker Sub, wo man, egal ob im Winter oder im Sommer, einmal wegen der Kombination aus Mantel und U-Bahn-Heizung und einmal wegen der aus Hetzen und Dschungel-Klima zu schwitzen beginnt, weshalb die Haare, die wegen chlorigen Metropolen-Wassers und dem schwach röchelnden Hotelföhn noch nicht mal im Hotelzimmer schön glatt waren, sich nun halb nach oben krausen und halb auf der öligen Stirn kleben. So kann man natürlich nicht Stilikone sein.

Muss man ja zum Glück auch nicht. Der Druck auf die hinteren Reihen ist aber trotzdem da. Neben der um sich greifenden Hochverschuldung wegen Panikkäufen bei Balenciaga, ausgelöst durch das Gefühl, eine Stilamöbe zu sein, sind jetzt noch nicht mal mehr Falten, Unreinheiten, Sommersprossen, noch nicht einmal Poren mehr erlaubt, nur glatte, ebenmäßige Haut, es ist der Mindeststandard auf den internationalen Schauen.

Lichtbehandlung für das gewisse Leuchten

So zumindest klingt es bei Diane Vargas, einer der Kosmetikerinnen im Kiehl's Spa auf der New Yorker Upper East Side: "Für meine Kundinnen zählt ihr perfektes Aussehen. Sie investieren Zeit und Geld - schon bevor die Schauen beginnen. Facials sind dann die beliebteste Behandlung." Und so setzt sie für 200 Dollar die Gesichter der Verzweifelten unter Feinstrom und beleuchtet sie mit LED-Lichtern. Angeblich sieht man danach keine einzige Pore mehr. Im Internet kursieren Wochen vor den Shows Fitnessvideos von Brice Hall: "Bald startet die Fashion Week", sagt er, "es wird Zeit, gut auszusehen!" Der Link wird hundertfach geklickt.

Und so ist die ganze Welt der Mode vom Perfektionswahn durchdrungen. Die ganze Welt der Mode? Nein! Eine unbeugsame Britin leistet mit grauem Haaransatz und ungeschminktem Gesicht Widerstand: Suzy Menkes, die berühmte Modekritikerin, sitzt mit großer Gelassenheit in der Front Row und nickt bei der Show des schwedischen Labels Acne vor lauter Tiefenentspannung auch gerne mal weg.

Sie hatte den ganzen Blogger-Wahnsinn in der vergangenen Saison ausführlich kritisiert und sich die guten alten Zeiten wiedergewünscht, in der sich ein kleiner Kreis Schwarzgekleideter zu geheimen Modemessen traf. Leider gibt es kein Zurück. Mit dem Modezirkus ist es so wie mit dem Digitalfernsehen, das Leinwandgöttinnen dadurch entweiht, dass man jede Cellulite-Delle sieht. Es bleibt also nichts anderes übrig, als den Annas und Giovannas als Hohepriesterinnen der Mode Respekt zu zollen - und sich selbst in den hinteren Reihen zu entspannen.

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