Mode:Kostümfest im Landschloss

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Harris-Tweed, viktorianische Zierschleifen und Ballkleider: Der Designer Erdem Moralioğlu hat die neue Sonderkollektion von H&M gestaltet, dabei passen seine Entwürfe eigentlich gar nicht so richtig zur schwedischen Modekette.

Von Anne Goebel

Erdem Moralioğlu gehörte zu den mittelbekannten Designern, als sein Name unter Modeinteressierten auf einen Schlag in aller Munde war - Grundtenor: Klar, Erdem, weiß doch jeder, was für ein Talent das ist. Der 39-jährige Londoner hat die jüngste Sonderkollektion für H&M entworfen, seit Donnerstag hängen die Teile weltweit in den Läden. Und wie bei jeder Design-Kooperation der schwedischen Kette steigt die Erregungskurve in Modeblogs und auf Instagram bereits Wochen vor dem Stichtag an. Wobei es diesmal darauf ankam, Kennerschaft notfalls zu simulieren. Wer den Namen Erdem Moralioğlu bis dahin nie gehört hatte, googelte und lernte, das G im Nachnamen nicht zu vergessen.

Im Netz wird man reichlich fündig, denn in der Branche ist der gebürtige Kanadier seit Jahren eine feste Größe. Modekritiker lieben Moralioğlus Label, das, was sehr vernünftig ist, nur "Erdem" heißt. Auf der Londoner Fashion Week heimst der Sohn einer Britin und eines türkischen Vaters regelmäßig Preise ein. Seine Markenzeichen: Blumenmuster, satte Farben, feminine Kleider, deren steifen Stoffen oft etwas Viktorianisches anhaftet, bloß ohne tantenhaften Muff. Kaum jemand schafft es, historische Opulenz-Zitate wie Stehkragen oder Gehrock so entschlackt und gegenwärtig aussehen zu lassen wie Erdem, der Mann mit dem jungenhaften Brillen-Gesicht.

Schwerer Stoff: Die Mode von Erdem Moralioğlu ist aufwendig, das gilt auch für seine H&M-Linie. (Foto: PR)

"Bei meiner eigenen Garderobe bin ich unglaublich langweilig", kommentiert er seinen Dauerlook aus T-Shirt, Sneakers, marineblauen Hosen. Auf dem Laufsteg gibt es dafür umso mehr klug gedrosselte Theatralik, butterblumengelbe Satinkleider, schwingende Röcke aus Brokat. Für seine Frühjahrskollektion 2018 habe ihn, sagte Erdem vergangenen September in London, eine Begegnung der jungen Elizabeth II. mit Duke Ellington inspiriert - man sah einen Mix aus Fifties-Roben und Nachtclub-Flitter. Das gefällt praktischerweise auch der amtierenden britischen Stilkönigin. Herzogin Kate ist seit Jahren Erdem-Kundin, das schiebt die Umsätze in seiner Boutique in Mayfair beträchtlich an.

Die Zusammenarbeit mit H&M soll nun den Zugang zu breiteren Kundenschichten bringen. Umgekehrt profitiert die Fast-Fashion-Kette mindestens genauso von solchen Kooperationen. Frühere Gemeinschaftsprojekte, etwa mit Karl Lagerfeld, Versace oder Kenzo, bescherten den Schweden massenweise Kundinnen, die für kleines Geld ein Stück vom großen Luxus kaufen wollten. Mit "Erdem x H&M" richtet der Konzern den Blick auf trendbewusstere Konsumenten und verspricht Zeitgeist-Mode mit guccihaft üppigen Prints, androgynen Schnitten, schweren Stoffen. Neben Kate gehören Nicole Kidman oder Sienna Miller zu Erdems Klientel.

Erdem Moralioğlu (Foto: PR)

Abseits roter Teppiche und monarchischer Zeremonien ist es gar nicht so einfach, Moralioğlus Entwürfe in einen Alltagslook zu integrieren. Klar, auf dem Laufsteg sieht immer alles zum Seufzen schön aus, "dreamy", verträumt, ein wiederkehrender Begriff in Besprechungen seiner Kollektionen - aber zumindest hierzulande könnte man mit einem gebauschten Rock aus smaragdgrünem Damast im Büro als überspannt gelten. Da fügt es sich bestens, dass Trendforscher und Moderedakteure gerade die "Rückkehr des Glamour" ( Vogue) ausrufen, und zwar in seiner stilvoll-aristokratischen Form. Die Netflix-Serie "The Crown", eine Ausstellung über Lebensart und Dresscodes des Hochadels, Scarlett-O'Hara-Roben auf Galas und Events: Mag sein, dass daraus noch ein echter Trend zu High-Society-Mode wird - zumindest aber konnte vor diesem Hintergrund einer wie Moralioğlu bei seinem aktuellen Projekt ganz er selbst sein. "Erdem x H&M" sieht astrein nach Erdem aus, verspielt, entrückt, eine Spur versnobt.

"Es ist so eine Ehre, zu den Designern zu gehören, die schon mit H&M zusammenarbeiteten", sagt Erdem artig über die Kollektion. Viel spannender ist, was er herausgeholt hat aus der Partnerschaft mit einem Branchenriesen, der auf schnelle Gewinne schaut. Die Verwendung von hochwertigem Harris-Tweed zum Beispiel für einen Männermantel. Zierrat wie viktorianische Knopfschleifen, ein veritables Ballkleid, tief ausgeschnitten. Verschwenderisch gemusterte Röcke, ein Herrenhemd mit Rüschenkragen. "Mich hat bei dieser Kooperation interessiert, beinahe das Gegenteil von dem zu machen, was man von Massenmode erwartet", so das umständliche Fazit des Designers. Kurz gesagt, die Teile sind im Grunde viel zu aufwendig. Wenn schon, dann richtig - dem schlossen sie sich offenbar auch bei H&M an, man ließ einen kleinen Begleitfilm drehen. Englischer Landsitz, in der Luft diffuse Dekadenz, gut gekleidete junge Menschen, eine Menage à trois. Regie führte Baz Luhrmann, der den "Großen Gatsby" drehte, also in seinem Metier das Gleiche macht wie Erdem in der Mode: große Oper.

© SZ vom 04.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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