Mode:Hip und dann hopp

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Heute an jeder Straßenecke, morgen schon wieder verramscht: Warum es mit der Marke American Apparel so schnell bergab ging - und wer jetzt gewinnt.

Von Dennis Braatz

September 2004: Johnny Borrell, Sänger der Rockband Razorlight, schwitzt beim Auftritt im Londoner Stadtviertel Camden ein T-Shirt mit tiefem V-Ausschnitt durch. Dazu trägt er Röhrenjeans. Beides hat er kurz vorher auf der Carnaby Street in einem Shop namens American Apparel gekauft. Die US-amerikanische Marke macht zu diesem Zeitpunkt einen Jahresumsatz von 83 Millionen Dollar.

April 2007: Die britische Vogue adelt Borrell für seinen stilistischen Pioniergeist mit einer eigenen Modestrecke. Nicht nur Schüler und Studenten laufen jetzt in seinem Look herum, sondern auch Stars wie Jude Law oder Sienna Miller. V-Necks und Röhren hängen auch bei H&M, Zara und Karstadt. Alle wollen aber nur die von American Apparel: wegen der Schlichtheit der Entwürfe, der sexy Werbung und dem "Sweatshop Free"-Label, dem Versprechen, dass nicht in Billiglohnländern, sondern fair in den USA produziert wird. Jahresumsatz: 387 Millionen Dollar.

Juli 2015: V-Necks und Röhren sind out. Die Werbekampagnen von American Apparel gelten nicht mehr als sexy, sondern sexistisch. Längst ist klar, dass gar nicht so fair produziert wurde wie behauptet. Der Ex-Chef und Gründer Dov Charvey soll Mitarbeiter sexuell belästigt und rassistische Äußerungen von sich gegeben haben. Image-Verlust auf ganzer Linie also. Jahresumsatz: immer noch 608 Millionen Dollar, allerdings bei einem Verlust von 338 Millionen aus den vergangenen fünf Jahren. Die ersten Mitarbeiter wurden gefeuert. Vermutlich sind bald ein Drittel der mittlerweile 260 Filialen dicht.

American Apparel ist so etwas wie eine textile Supernova. Eine extrem kurzlebige, aber extrem erfolgreiche Marke, deren Ende in der Stunde des größten Erfolgs schon eingeläutet war. Streng genommen, ist das gerade in der Mode nichts Besonderes. Solche Phänomene gab es schon immer, zum Beispiel in den Sixties und Seventies mit der Designerin Mary Quant und dem Minirock oder in den Neunzigern mit Plateau-Schuhen von Buffalo. Selten jedoch verglühte eine Marke so schnell wie American Apparel, der Experten anders als damals bei Mary Quant und Buffalo schon jetzt keine Chance auf Rettung mehr geben.

Der Grund dafür ist unsere Zeit. Über digitale und soziale Medien erfuhren in der Mitte der Nullerjahre Modeinteressierte auf der ganzen Welt gleichzeitig von "AA" und dem rockigen "V". Deshalb rannten sie dem Label in wenigen Tagen die Türen ein. Der Andrang war so groß, dass keine Zeit für langsames Wachstum blieb. Statt der zweiten Unternehmensstufe musste die Marke gleich die fünfte und sechste einleiten, parallel in zwölf Ländern expandieren und einen Onlineshop eröffnen, um auf der Überholspur zu bleiben. Dass das nicht immer zu Gunsten von Mitarbeitern und Produktion geschah und dem Chef zu Kopf stieg, ist das eine. Zusätzlich dachte offenbar niemand darüber nach, dass der Boom irgendwann wieder vorbei sein könnte.

Marken wie American Apparel oder Abercrombie & Fitch sind die Supernoven der Modebranche. (Foto: Mauritius Images)

Beim Industrieverband German Fashion ist man sich mittlerweile sicher, dass Aufstieg und Fall einer Modemarke in ähnlicher Geschwindigkeit verlaufen. "Je schneller sie hochpoppt, desto schneller verschwindet sie wieder", sagt Geschäftsführer Thomas Rasch. Und ein Boom jagt heute eben den nächsten. Das lässt sich bestens mit einem Blick auf die Wirtschaftsmeldungen des letzten Jahres belegen. American Apparel ist kein Einzelfall.

Verbraucher gehen heute mit Marken viel bewusster und kritischer um als früher

Da wäre Abercrombie & Fitch, die Sportswear-Marke mit den einfachen Logo-Hoodies, streng ausgewählten muskulösen Verkäufern und Geschäften samt DJ-Pult, in denen es so dunkel wie in Discos ist. Noch vor drei Jahren herrschte Ausnahmezustand, wo immer ein neuer Store eröffnet wurde. Straßen wurden abgesperrt, Warteschlangen von bis zu 700 Metern Länge bildeten sich. Und mancherorts musste sogar verfügt werden, dass ein Kunde pro Tag nicht mehr als drei Teile shoppen darf - sonst hätte der Vorrat nicht gereicht. Damaliger Jahresumsatz: 4,5 Milliarden Dollar (inklusive aller Erlöse aus Zweitlinien). Dann taucht irgendwo im Netz ein altes Interview mit A&F-Boss Mike Jeffries auf. "In jeder Schule gibt es coole und beliebte Leute und nicht so coole. Ich gebe zu, wir wollen, dass das attraktive All-American-Kid unsere Sachen trägt, das eine tolle Ausstrahlung und viele Freunde hat", sagte Jeffries. Und: "Schließen wir Leute aus? Absolut!" Bis heute ist der Wert der Aktie um mehr als die Hälfte gefallen, auch deshalb, weil niemand noch Mittelklasse-Klamotten mit Logos will. Abercrombie & Fitch ist mittlerweile so unbeliebt, dass in den USA Obdachlose während einer landesweiten Charity-Aktion die Pullover der Marke ablehnten. Aktueller Jahresumsatz: nur noch 3,7 Milliarden Dollar.

Ebenso abgerutscht ist Ed Hardy mit den T-Shirts und Caps mit asiatischen Glitzer-Tattoo-Drucken. Als der kürzlich verstorbene Geschäftsmann Christian Audigier die Geschicke der Marke Anfang 2004 in die Hand nimmt, schafft er es, dass Madonna und Paris Hilton die Sachen wenige Wochen später bei jeder Gelegenheit tragen. Umsatz am Ende des Jahres: zehn Millionen Dollar. Bis 2007 steigert er sich auf 250 Millionen Dollar. Keine vier Jahre später stößt Audigier die Marke wieder ab, sie gilt als "Proll-Chic", läuft einfach nicht mehr und wird in Deutschland mittlerweile für Dumping-Preise bei Aldi verkauft.

Und genau darin liegt ein weiterer Grund für das Scheitern der mächtig, aber nur kurz aufflackernden Labels: ihr aggressives Marketing, darin ähneln sich alle drei Beispiele. American Apparel verkaufte sich über Sex, Stars und - zumindest vorübergehend - Nachhaltigkeit. Abercrombie & Fitch verkaufte sich über Sex und Status-Gewinn, bei Ed Hardy war es die Zugkraft der Society-Kundschaft. "Sie kommen aus einer Ära, in der Marketing vor dem Produkt stand. Sie haben es geschafft, sich mit Geld und Energie in Szene zu setzen, um aus einem mittelmodischen, minderwertigen Produkt möglichst viel Marge herauszuziehen", so Gerd Müller-Thomkins vom deutschen Mode-Institut in Köln kürzlich in einem Interview. Diese Ära ist nur leider längst vorbei. Seit 2010 haben Finanzkrisen weltweit ein Umdenken bei den Konsumenten bewirkt. Heute gehen sie mit Marken viel bewusster und kritischer um als noch vor zehn Jahren. Das gilt vor allem für die Millennials, die zwischen 1980 und 2000 geborene Generation als relevante Zielgruppe für Firmen wie American Apparel, Abercrombie & Fitch oder Ed Hardy. Für sie ist das Produkt mittlerweile wichtiger als die Marke, was eine interessante Frage aufwirft: Wer oder was boomt eigentlich gerade?

Diese Marken werden in kürzester Zeit berühmt, aber genauso schnell verschwinden sie auch wieder von der Bildfläche. (Foto: Charles Pertwee/Bloomberg)

Birkenstock zum Beispiel. Dass das Unternehmen aus Neustadt/Wied bereits einen Mode-Moment hatte, als die Céline-Designerin Phoebe Philo für den Sommer 2013 Sandalen mit zwei breiten Lederriemen auf den Laufsteg schickte, ist keine News mehr. Jede Vogue und Harper's Bazaar orderte danach für Shootings Sandalen bei Birkenstock, dort gab es damals noch nicht mal eine Marketing-Abteilung. Kurz darauf boten Onlineshops für Luxusmode wie Net-a-porter die Modelle an.

Das Unternehmen wuchs so schnell, dass gar keine gesunde Entwicklung möglich war

Dass sich Birkenstocks bis heute aber "chronisch ausverkaufen", wie man in Neustadt sagt, hätte wohl niemand gedacht. Auch nicht, dass Unternehmensspitze und Marketing-Abteilung nächste Woche geschlossen nach Brasilien reisen, um dort die Markteinführung der Marke zu feiern. Und erst recht nicht, dass in den vergangenen 18 Monaten mehr als 1100 neue Mitarbeiter eingestellt werden mussten, weil die Nachfrage so groß geworden ist.

30 Millionen Paar Schuhe könne man jedes Jahr locker verkaufen. Es werden gerade mal 20 Millionen produziert. Ein eigener Onlineshop wird nicht betrieben. Designer wie Marc Jacobs wollten schon eine gemeinsame Kollektion machen. Birkenstock sagte ab, weil die Urform dabei zu stark verändert worden wäre.

Genau diese Herangehensweise ermöglicht aber ein gesundes Wachstum. "Darauf achten wir gerade besonders", sagt ein Sprecher der Firma. Birkenstock ist ein Familienunternehmen, seit mehr als 240 Jahren, und nicht börsennotiert. Genaue Zahlen gibt die Firma nicht heraus. Jahresumsatz? "Die Eine-Milliarde-Euro-Grenze wird bald geknackt sein."

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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