Mode:Heimkehr

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Karl Lagerfeld zeigt seine Chanel-Kollektion "Métiers d'Art" vor 1400 Gästen in Hamburgs Elbphilharmonie. Der Applaus gilt auch seinem Lebenswerk.

Von Dennis Braatz und Tanja Rest

Sie können in der Mode viel reden über die Schönheit eines Gesichts, einer besonders raffinierten Schnittführung, eines weich über den Körper fallenden Stoffes. Es gibt aber auch so etwas wie die Schönheit einer Geschichte, aufgepasst.

Am 10. September 1933 wurde in Hamburg ein Kind in großbürgerliche Verhältnisse hineingeboren. Dem Vater gehörte eine Kondensmilchfirma, aus der später die Bärenmarke werden sollte, die Mutter hatte Temperament, höchste Ansprüche und eine unkonventionelle Klappe: "Sprich schneller", ermahnte sie das Kind, "damit du mit dem Stuss, den du redest, bald zu Ende kommst." Man residierte erst im feinen Blankenese und dann in einem herrschaftlichen Gutshof auf dem Land, die Mutter sagte: "Hamburg ist das Tor zur Welt, aber nur das Tor. Du musst schnellstens dadurch hinaus!" Maler, das hätte sie sich für den Sohn toll vorstellen können und zeigte seine Zeichnungen dem Rektor der Hamburger Kunstakademie. Der wies auf ein nicht unwesentliches Detail hin: Es waren nämlich auf diesen Blättern ausschließlich Kleider zu sehen.

"Er hat sich das schon lange gewünscht", sagt Tilda Swinton, "es war ihm so wichtig."

Der Sohn gewann dann einen Nachwuchspreis, zusammen mit einem jungen Herrn namens Yves Saint Laurent, mit dem er sich Jahre später einen Konkurrenzkampf um denselben Liebhaber lieferte, und zog in die traumschöne Stadt Paris. Er tilgte aus seinem Nachnamen Lagerfeldt das t. Er arbeitete für Pierre Balmain und Jean Patou und heuerte schließlich als Designer auf Lebenszeit bei Chanel an. Er wurde der erfolgreichste, berühmteste und am schnellsten sprechende Modeschöpfer der Welt. Und während sie in Deutschland langsam vergaßen, dass er Hamburger war, vergaß er es selbst nie. Im Spätherbst seines Schaffens kehrte Karl Lagerfeld für einen Abend nach Hamburg zurück und brachte sein Königreich mit.

"Er hat sich das schon lange gewünscht", sagt Tilda Swinton, "es war ihm so wichtig. Er hat nur auf den richtigen Augenblick gewartet." Oder auch: auf die richtige Location. Aber irgendwann ist die Elbphilharmonie dann ja fertig geworden.

Hoch und wehrhaft ragt sie an diesem Abend über den eintreffenden Gästen auf. Es sind mehr als 1400 Menschen, ein Großteil eigens zu diesem Anlass aus aller Welt eingeflogen, in den besten Hotels der Stadt einquartiert, 320 schwarze Limousinen zu ihrer Verfügung. Man addiere noch 80 internationale Models. Dazu die Stylisten, Last-Minute-Näherinnen, Haar- und Make-up-Künstler sowie unzählige Techniker, Securityleute und allgemeine Zeremonienmeister, fertig ist das Spektakel. Eine Nummer kleiner haben sie's nicht bei Chanel. Die späte Elisabeth Lagerfeldt sah es so: "Du hättest mehr aus dir machen können, aber bei deinem Mangel an Ehrgeiz ist es schon okay, was du geschafft hast."

"Métiers d'Art" heißt dieses Ritual, das Karl Lagerfeld bei Chanel seit vielen Jahren zelebriert. Viermal jährlich kommt die Welt nach Paris, um das Prêt-à-porter und die Haute Couture zu bestaunen, im Dezember aber begibt sich das Haus mit einer eigens für diesen Anlass ersonnenen Kollektion hinaus in die Welt. Die Métiers d'Art sollen eine Bühne sein für die Ateliers, allerfeinste Adressen des Handwerks wie Lemarié für Kunstblumen und Federn, Maison Michel für Hüte, Massaro für Schuhe. Austragungsort und Inspirationsgeber dieser Kunst waren schon Edinburgh, Dallas, Salzburg und Rom; die Sprachregelung lautete stets: Jede dieser Städte habe im Leben von Coco Chanel eine Rolle gespielt. Diesmal hat man sich gar nicht erst bemüht, eine Verbindung herzustellen. Hamburg ist Lagerfelds Stadt - und das Konzerthaus am Platz der Deutschen Einheit für kaum 30 Minuten seine Bühne.

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(Foto: Markus Schreiber/AP Photo)

Melodie für Millionen: Während Models den neuesten Chanel-Tweed vorführen, spielt das "Ensemble Resonanz" unter der Leitung des Dirigenten Oliver Coates den Gassenhauer "La Paloma".

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(Foto: Patrik Stollarz/AFP)

Eindrücke aus der Elbphilarmonie.

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(Foto: Markus Schreiber/AP)
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(Foto: Christian Charisius/dpa)
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(Foto: Christian Charisius/dpa)
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(Foto: Christian Charisius/dpa)

Auch die prominenten Gäste ziehen die Blicke auf sich: Hier Schauspielerin Kristen Stewart und Schauspieler Lars Eidinger.

Es wird eine der größten Shows, die Chanel abseits von Paris gezeigt hat, und bestimmt die respektvollste. Die Fans hinterm Absperrgitter mögen Karl-Luftballons und Poster der Karl-Katze Choupette mitgebracht haben, aber an der Ziegelsteinfassade prangt kein Doppel-C, und drinnen im Saal hat man auf die üblichen Props und Gimmicks ganz verzichtet. Ein paar Sitzreihen wurden herausmontiert, damit die Models ihren Parcours durch alle Ränge absolvieren können, auf der Bühne sitzt ein Kammerorchester, das reicht. Der Ort ist sich selbst Kulisse genug.

Ganz vorne nehmen schließlich Tilda Swinton, Lily-Rose Depp und Kristen Stewart Platz, auf den Rängen stapelt sich die deutsche Prominenz. Jan Delay und Tatjana Patitz sind da, die Schauspieler Sandra Hüller, Marie Bäumer und Christiane Paul sowie Lars Eidinger in schwarzer Chanel-Kastenjacke zur Perlenkette. Hamburgs gute Gesellschaft gibt sich die Ehre, Ex-Bürgermeister Ole von Beust und die von Arnims, alle blicken erwartungsvoll in die Runde, und es ertönt - La Paloma.

Kein Scherz: der globale Gassenhauer, 1944 in Deutschland bekannt geworden durch Hans Albers und den Film "Große Freiheit Nr. 7". Nicht weit von hier wird er Nacht für Nacht auf der Reeperbahn von Touristengruppen gegrölt, das Chanel-Publikum summt leise mit. Dann erscheint auf einem der oberen Saaldecks das deutsche Topmodel Anna Ewers. Dunkelblauer Zopfstrick-Pullover samt Ankermotiv, so lang, das er ihr gerade bis über den Hintern reicht, dazu Overknee-Strümpfe und eine Umhängetasche in Akkordeon-Form.

Hand in Hand: Karl Lagerfeld mit seinem Patensohn Hudson Kroenig beim Finale der Show. (Foto: Patrik Stollarz/AFP)

Alles da, was Hamburg ausmacht: das Understatement, das Maritime, das Rotlicht. Die meisten Models tragen den Elbsegler, das alte Markenzeichen von Helmut Schmidt, manche haben noch einen Seesack über die Schulter geworfen. Bevor die Show ins Kitschige abrutscht, mischt der Dirigent schnell ein paar Bässe zu den Streichern, die hanseatischen Codes werden dezenter. Cocos Tweed-Kostüm hat jetzt einen Matrosenkragen, zum Schluss ein Augenzwinkern in Form von Daunenjacken und einem Regenmantel fürs Schietwetter (natürlich aus Seide). Dann stehen alle Models bei dem Orchester auf der Bühne, 1400 Menschen halten den Atem an.

Rührung reißt die Menschen aus den Sitzen, der Applaus gilt auch dem Lebenswerk

Man mag der Branche Oberflächlichkeit nachsagen, aber sie hatte schon immer ein Gespür für besondere Momente. Als nun der 84-jährige Karl Lagerfeld mit seinem Patenkind Hudson Kroenig hereinkommt, fast scheu ins Publikum winkt und plötzlich gar nicht klar ist, wer da eigentlich wen an der Hand führt, wissen alle im Saal sofort: Dies ist ein solcher fashion moment. Rührung reißt die Menschen aus den Sitzen, der Applaus gilt dem Heimkehrer und seinem großformatigen Leben genauso wie der Kollektion.

Dann fahren draußen 320 Limousinen vor, es geht hinüber in die Fischauktionshalle.

Das Publikum im Pariser Grand Palais ist es gewohnt, dass Lagerfeld um seine Kollektionen herum ganze Themenwelten errichtet. Nun läuft man am Hamburger Elbufer in eine ebensolche hinein - durch einen Schiffscontainer.

Dann zieht er die Sonnenbrille ab, er sieht beinahe nackt aus

Das Motto lautet Hafenspelunke, es wird bis ins aberwitzigste Detail hinein befolgt. Wo anfangen? Bei den Schanktischen, auf denen derbe Trinkgläser stehen und tönerne Tellerchen und das Wachs von tausend Kerzen an Flaschenhälsen hinunterrinnt? Bei den tätowierten und muskelbepackten Kiezdarstellern, die mit jedem Gast ein Selfie machen? Den Sitzlandschaften aus prallen Getreidesäcken? Oder bei den Fässern, auf denen im Jahr 2017 wahrhaftig Aschenbecher stehen, weil die Chanel-Spelunke natürlich auch vollgequalmt werden muss? Keiner feiert mehr solche Partys. Unter Netzen, Tauen und sonstigem maritimem Krimskrams verspeisen die Gäste Aalsuppe und Fjordforellenfilet, Hamburger Backfisch und rote Beerengrütze, dazu schmettert ein Chor oben auf der Empore wilde Seemannslieder. "Was soll man dazu sagen", sagt Marius Müller- Westernhagen, "da fällt mir jetzt echt nichts ein."

Irgendwann kommt auch der Gastgeber. Er sitzt ein wenig abseits mit seiner Entourage, Kristen und Lily-Rose, Hudson, Brad, Baptiste und wie sie alle heißen, sie wirken miteinander so vertraut und für sich, dass man peinlich berührt schon wieder wegschauen will, da nimmt Lagerfeld die Sonnenbrille ab.

Er hätte im Prinzip den Vatermörder, die Lederfingerlinge und den Gehrock gleich mit abstreifen können, jedenfalls sieht man ihn in diesem Moment nackt. Vielleicht zum ersten Mal: als Mensch.

In einem Interview, das am selben Tag in der deutschen Vogue erschienen ist, spricht er von sich als Karikatur. Er sagt: "Manchmal sitze ich im Bett mit Choupette und sage zu mir: Wenn die Leute wüssten, wie die Wirklichkeit ist. Dann sitze ich da und lese, sie hat ihren Kopf auf meinem Ellenbogen, und ich denke: So stellen sich die Leute das bestimmt nicht vor." Doch, ein wenig kann man sich das vorstellen.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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