Männer oben ohne:Gesamtkunstwerk mit Brusthaar

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Nackte Männerbäuche prägen derzeit das Stadtbild der internationalen Metropolen. (Foto: AFP)

In der Sommerhitze bevölkern wieder zahlreiche Oben-Ohne-Männer die Straßen der Metropolen. Sicher kann der Herr in nichts als Badeshorts durch die Innenstadt laufen. Er könnte sogar im Pyjama die Wall Street entlangbummeln. Aber muss er? Warum schmelzen bei hohen Temperaturen immer auch Schamgefühl und Sinn für Ästhetik? Ein Erklärungsversuch.

Von Violetta Simon

Wir wollten es nicht anders. Und selbst wenn, das Wetter fragt uns nicht, hat es noch nie. Nachdem sich der Sommer wochenlang zierte, zeigt er uns, was er drauf hat. Vom vorausgehenden Dauerregen sorgfältig gesäubert, brutzeln wir auf dem flirrenden Asphalt. Kochen nachts in feuchten Betten. Schließen ermattet die geblendeten Augen, während uns der Sahara-Wind unerbittlich ins Gesicht bläst. Nehmen schicksalsergeben zur Kenntnis, wie die Haut sich unter der sengenden Hitze spannt und goldbraun zu glänzen beginnt. Nicht mehr lange, und sie bläht sich auf und platzt. Dann haben wir uns in wandelnde Spanferkel verwandelt.

Wenn der Mensch derart mürbe ist, lässt er sich gehen. Was soll er auch sonst tun, bei 40 Grad im Schatten. Vielleicht ist das ja die Ursache für ein urbanes Phänomen, das uns derzeit wieder heimsucht: Männer mit unbedeckten Oberkörpern - und nicht nur solche, an denen die Öffentlichkeit ihre Freude hätte.

Brüste und Bäuche jeglicher Form und Farbe recken sich uns entgegen, schieben sich an uns vorbei oder wippen zum Takt der Straßenmusik. Die Gehwege der Großstädte verwandeln sich in Strandpromenaden; die öffentlichen Flächen mutieren zu Campingplätzen, die bevölkert sind von Menschen in Hosen ohne Hemd. Menschen, die zu Badeshorts, Trekkingshorts, Cargoshorts einzig ihr Brusthaar tragen - und oft nicht einmal das.

Das Problem: Was an Stränden völlig normal ist, wirkt in der Großstadt befremdlich. Wer will schon einem verschwitzten Oberkörper begegnen, wenn er gerade im Anzug eine Bank betritt? Oder in der Schlange an der Wursttheke den Schweiß des Vordermanns dabei beobachten, wie er die Wirbelsäule hinabrinnt und schließlich das Bündchen einer farbenfrohen Unterhose durchtränkt?

Ist die Zumutung, ein Shirt zu tragen, wirklich schlimmer als das, was vollständig bekleidete Mitmenschen zu sehen bekommen, wenn andere blank ziehen? Muss die Öffentlichkeit über Design und Hersteller der Unterhose in Kenntnis gesetzt werden, nur weil es zur Abwechslung mal nicht regnet?

Sommer-Dresscode im Büro
:Das wollen Chefs nicht sehen

T-Shirt, kurze Hose, Flipflops. So luftig gekleidet wird der Arbeitstag im stickigen Büro zumindest einigermaßen erträglich. Doch Vorsicht: Viele Sommeroutfits können zum Karrierekiller werden.

Mindestens ebenso verbreitet ist die "Oben ohne unten mit"-Mode offenbar in den USA. Dort wird die kollektive Ober-Entkleidung bereits von den Medien angeprangert. So schreibt die New York Times von einem "kuriosen Trend unter Männern, die ohne Shirts herumlaufen" - und prangert als besonders abschreckendes Beispiel einen Vertreter jener Spezies an, die sich eigentlich alles erlauben kann: Hollywoodstar Orlando Bloom.

Der Schauspieler sei mit Hund und Sohn durch den New Yorker Stadtteil Tribeca geschlendert, in Badelatschen, Baseball-Cap und Cargo-Shorts. Am Oberkörper habe er nichts getragen als die lässig übergeworfene Hundeleine und eine Kette. Die Schlabber-Shorts seien so tief gesunken, dass nicht nur das Tattoo südlich des Bauchnabels freilag, sondern auch sein roter Slip zu sehen war.

Mr. Bloom habe lediglich getan, was ein vernünftiger Mensch tue, um cool zu bleiben, schreibt das Blatt ironisch - "wenn diese Person am Pacific Coast Highway leben würde und unterwegs zum Malibu Country Supermarkt wäre, um sich einen Iced Cappuccino zu kaufen". Da sieht man, dass nicht mal ein ansehnlicher Körper vor öffentlichem Spott schützt.

Doch mit ein bisschen Promi-Bashing gibt sich die New York Times nicht zufrieden. Letztendlich gehe die gesamte Kleidungsmoral den Bach hinunter, klagt die Zeitung. Während Männer in den längst vergangenen Zeiten von "Mad Men" noch Hüte und Handschuhe getragen hätten, sei der öffentliche Dresscode mittlerweile am Tiefpunkt angekommen: "Die Leute sitzen mit Puschen in der U-Bahn, gehen mit Flip-Flops ins Ballett, tragen Sporthosen zu jeder Gelegenheit, funktionieren Pyjamas zu Kleidung um und haben neuerdings überhaupt viel zu wenig am Leib."

In New York City ein Hit: der singende "Naked Cowboy" mit seiner Gitarre. (Foto: AFP)

Offenbar, so der Eindruck, ist das Problem also nicht, WAS die Leute tragen. Sondern WO sie es tun. Puschen sind super, daheim auf dem Sofa. Jeder weiß, wohin der Pyjama gehört. Und wer Sporthosen liebt, der sollte sich keinen Zwang antun - und darin joggen gehen. Auch für barbäuchige Männer gibt es einen Platz im Herzen unserer Städte: auf der Baustelle, im Schwimmbad, beim Wrestling.

Sicher kann man in Badeshorts über die Fifth Avenue spazieren. Aber müssen wir Dinge tun, nur weil wir es können? Dann könnten wir auch im Pyjama die Wall Street entlangbummeln. Oder in Unterhosen auf dem Times Square lustwandeln. Ach so, das gibt es ja schon: Seit mehr als einem Jahrzehnt hüpft ein Mann mit langer blonder Mähne dort herum, in nichts als einem weißen Slip, umrahmt von Cowboyboots und Statson. Während ihm alle paar Minuten eine Frau an den Hintern grapscht, schrammelt er hingebungsvoll auf seiner Gitarre und singt. Das Ganze läuft unter Gesamtkunstwerk und nennt sich "Naked Cowboy".

Alle Herren, die weder Gitarre spielen können noch ein Gewerbe als Gesamtkunstwerk angemeldet haben, sondern einfach nur oben ohne sein wollen, mögen sich bitte an eine der oben genannten Örtlichkeiten begeben. Wer Schwimmbäder nicht mag und weder Ahnung von Bauarbeiten noch von Wrestling hat, könnte in einem Waxingstudio zur Entfernung von Rücken- oder Brusthaar ein Plätzchen finden.

Oder, jetzt mal ganz verrückt, sich einfach was überziehen.

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