Lokaltermin:Tenzo

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Das Grenzgebiet zwischen Brandenburg und Mecklenburg gilt nicht als Gourmetregion. Doch gerade wenn man nichts mehr erwartet, wird es köstlich: im Lokal Tenzo in Triepkendorf.

Von Philipp Maußhardt

Das Grenzgebiet zwischen Brandenburg und Mecklenburg ist eine der am dünnsten besiedelten Regionen Europas. Eine Einöde für Gourmets also? Wer solche Vorurteile hegt, sollte sie hübsch konservieren und zum Gasthof Tenzo in Triepkendorf fahren, rät unser Autor Philipp Maußhardt. Denn wie heißt es so schön: Wo man nichts erwartet, ist das Glück später am größten.

Nicht umsonst heißt es in einem Lied von Rainald Grebe: "Nimm dir Essen mit, wir fahr'n nach Brandenburg." Es stimmt ja auch. Wer bei Lychen auf die L23 einbiegt und kurz hinter Beenz die Landesgrenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern quert, der hat, um nicht zu verhungern, eine Butterstulle auf dem Rücksitz liegen. Die Seenlandschaft rund um Feldberg ist eine der am dünnsten besiedelten Gegenden Europas. Und dann kommt noch Triepkendorf. Kopfsteinpflaster, keine messbare Entfernung zwischen Ortsschild und Ortsmitte. Auch beim Essen ist es ja so: Wo man nichts erwartet, ist die Dankbarkeit am größten.

Ein Freund, der oft zwischen New York, Petersburg und Zürich pendelt, hatte das "Tenzo" in Triepkendorf empfohlen. Tenzo sei die Bezeichnung für den Koch in japanischen Klöstern, erklärte er, grob übersetzt: "der seine Gäste umsorgt". Bei der Einfahrt ins Dorf sorgt man sich eher um den Geisteszustand des Freundes. Aber es gibt das Tenzo tatsächlich, sogar die Adresse stimmt, Alter Schulweg 2 -4. Triepkendorf besteht ohnehin nur aus zwei Straßen. Eine so, die andere anders herum. Es ist schon dunkel, als wir auf dem Parkplatz einbiegen, durch das Fenster ist zu erkennen, dass alle Tische in der Stube voll besetzt sind. "Kommen Sie lieber etwas später", hatte die Stimme am Telefon geraten, "dann ist vielleicht ein Tisch wieder frei." Okay, es ist Samstag. Aber das hier ist nicht Mitte, sondern Triepkendorf. Bis zum Alexanderplatz sind es genau 105 Kilometer.

(Foto: N/A)

Acht Holztische, ein paar stilvolle wie schlichte Möbel, warmes Licht - der Gastraum war mal eine Dorfschule. Irgendeine geheime Verbindung muss es da geben zwischen den Feldberger Seen, den Schulen und dem guten Essen. Denn in dieser einsamen Gegend macht schon ein anderes Restaurant von sich reden: Die "Alte Schule Fürstenhagen" hat sogar einen Michelinstern, und der Name ist natürlich kein Zufall.

Im Tenzo ist der Start dann ähnlich holperig wie die Straße vor der Tür: Der Prosecco korkt. Der Getränkekellner erklärt sich immerhin dankbar für den Hinweis, auch wenn ihm nicht einfällt, vielleicht ein Extra-Gläschen zu servieren. Dabei steht im Tenzo alles unter dem Motto: "Essen und schlafen wie bei guten Freunden." Egal. Es ist noch früh, und es bleibt ja die Hoffnung auf die Fischsuppe "Tenzo Style" (sieben Euro) und den warmen Ziegenkäse auf Salat mit Quittenmark und Feige (11,80 Euro).

Im Prospekt des Lokals ist zu lesen, dass Marcus Sapion am Herd steht, ein weit gereister Münsterländer, den es 2007 mit seiner Partnerin Katarina Hering von Berlin ins tiefe Hinterland verschlug. Frisch, ökologisch, regional - das sind auch im Tenzo die Schlagworte der Gastlichkeit. Fische, Pilze, Wild und Obstbäume gibt es hier schließlich zuhauf, da muss man das Mittelmeer nicht vermissen. Mit dem Servieren der Vorspeisen ist dann alle Skepsis vom Tisch. Die Suppe ist ein absolut ebenbürtiger Ersatz für das Mittelmeer, und Ziegenkäse sollte man von nun an immer mit Quittenmark essen. Zumindest mit diesem hier. Es ist fein süß-säuerlich austariert, perfekt zum markanten Käse.

Die kleine, aber liebevoll ausgesuchte Weinkarte macht den verkorkten Prosecco mehr als wett. Wer allerdings mit der Uhr im Kopf auf sein Essen wartet, ist hier fehl am Platz. Die Gäste stört ein bisschen Warten nicht, viele haben offenbar eine längere Anfahrt hinter sich, auch süddeutsche Mundart ist zu hören. Die Stimmung: entspannt bis fröhlich, und so ist man fast überrascht, als mitten im angeregten Gespräch mit den Tischnachbarn plötzlich der Hauptgang kommt. Damwild mit Birnenchutney und Gemüse, dazu gibt es Couscous (28 Euro). Das Regionale wird hier also glücklicherweise nicht als Dogma aufgefasst, und zum Gewürzrind findet sich auf der Karte auch eine Ingwerschmorsauce oder ein Madeirajus.

Beim zweiten Hauptgericht vertrauen wir auf den Fischreichtum der Seenlandschaft: Trilogie vom gebratenen Wels, Saibling und Barsch auf Sauerkraut und Rieslingrahm mit Kartoffel-Schalotten-Püree (22 Euro). Wild wie Fisch kommen nicht nur als üppige Portion, auf beiden Tellern sind die Aromen auch subtil kombiniert. Das Damwild ist so schonend zart geschmort, dass es seinen Wildgeschmack behalten hat. Birnenchutney dazu mag längst nicht mehr ungewöhnlich klingen. Doch erst die feine Joghurtcrème rundet alles süß-herb harmonisch ab.

Überhaupt hat die kleine Karte eine erfreulich enge Verbindung mit der Jahreszeit. Lammrücken mit Steinpilzen findet sich unter den sechs Hauptgerichten ebenso wie die (inzwischen unvermeidliche) Hokkaido-Kürbissuppe unter den fünf Vorspeisen. Nur beim Dessert verlassen wir das nordostdeutsche Tiefland und wählen einen Matchabiskuit (aus gemahlenem Grüntee), um dem japanischen Namen des Lokals wenigstens hier gerecht zu werden. Umrahmt von Parfait und begleitet von Maronenmousse und Granatapfelgelee, beflügelt dieser Abschluss die Hoffnung, die Grenzregion zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern werde sich, durch solche Beispielen angesteckt, zu weiteren kulinarischen Abenteuern aufmachen. Macht leere Schulen zu Lokalen!

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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