Lokaltermin:Schranners Waldhorn

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In Tübingen gut zu essen war bislang schwierig. Doch nun hat das ehemals beste Haus der Stadt den Besitzer gewechselt. Seither geht es kulinarisch bergauf.

Von Philipp Maußhardt

Der Südwesten der Republik gilt unter Feinschmeckern als gelobtes Land. Nur Tübingen kann mit diesem Lob nicht gemeint sein, glaubt unser Autor. Denn die Suche nach einem wirklich guten Restaurant gestaltet sich hier schwierig. Nun hat das ehemals beste Haus der Stadt den Besitzer gewechselt. Und siehe da: Schranners Waldhorn ist eine echte Entdeckung.

"Tübingen, warum bist du so hügelig?" - das ist eine offenbar weltbewegende Frage, denn mehr als eine halbe Million Menschen haben sich den vierminütigen Musikclip auf Youtube schon angesehen. Darin tanzen zwei junge Kulturwissenschaftlerinnen vor einer Berg- und Talkulisse, und auch Oberbürgermeister Boris Palmer läuft durchs Bild, um verzückt den Namen seiner Stadt zu rufen. Doch wenn "hügelig" Synonym sein soll für alle Vorzüge der schwäbischen Stadt, dann muss man, um im Bild zu bleiben, leider sagen: Auf der kulinarischen Landkarte liegt Tübingen in einer Tiefebene. Wer wirklich gut essen will, fährt eher nach Stuttgart oder in den Schwarzwald. Denn Spitzengastronomie hat es hier nie gegeben - mit einer Ausnahme: das "Waldhorn" im Stadtteil Bebenhausen. Doch auch dieses einst viel gerühmte Lokal war ein wenig in Vergessenheit geraten. Nach Verkauf und Neueröffnung steht nun die Familie Schranner am Herd des Waldhorns. Und siehe da: Für Tübingens Gastroszene geht es damit bergauf.

Der verträumte Vorort am Goldersbach hatte schon auf Klerus und Adel große Wirkung. Früh kultivierten Zisterzienser-Mönche Fischzucht und Weinbau am oberen Neckar, später wählte Württembergs König Bebenhausen als Wohnsitz. Und Königlich schmeckt auch die Vorspeise: Kaninchensülze mit Lardo (18 Euro), der eingelegte Radieschen große Frische verleihen. Der aufmerksame junge Kellner ist hauptberuflich Politikstudent. Dafür kennt er sich auf der Weinkarte bemerkenswert gut aus und empfiehlt einen "Stettener Pulvermächer" (Flasche zu 30 Euro), einen Riesling aus dem nahen Remstal. Diesem Wein gelingt das Kunststück, so gut zur Sülze wie zur Fischsaumsuppe (15 Euro) zu passen. Stein- und Heilbutt bilden die Grundlage der Suppe, die mit Safran und Noilly Prat so demokratisch abgeschmeckt ist, dass sie beiden gleiche Rechte einräumt.

Wir sitzen, weil der Sommer es erlaubt, im lauschigen Garten hinter dem Haus; der Bach rauscht und die 800 Jahre alten Klostermauern flößen Respekt ein. Küchenchef und Patron Maximilian Schranner hat sich mit seiner Speisekarte etwas vom regionalen Rigorismus gelöst, dem heute fast alle deutschen Köche verfallen sind. Den Adlerfisch aus dem Atlantik bietet er mit mediterraner Peperonata auf schwarzem Risotto an (29 Euro). Man findet diesen Fisch nicht so oft auf den Karten, was auch daran liegt, dass er leicht zerfällt und schnell nach Fischfett schmeckt. Im Waldhorn ist er bissfest und erinnert in seiner Nussigkeit an Forellenbäckchen.

Völlig ignorieren kann aber auch Schranner offenbar nicht die Erwartungen mancher Gäste, und so findet sich doch am Ende der Karte der unvermeidliche Zwiebelrostbraten mit Spätzle und Blattsalat (26 Euro), den wir aber geflissentlich überlesen. Reizvoller ist da der junge Rehbock mit Pfifferlingen, Auberginenpüree und hausgemachten Schupfnudeln, die hier kleine Kunsthandwerke sind (36 Euro). Das Rückensteak hat, wie es sich gehört, nur kurz die Pfanne gesehen und wurde danach mild im Ofen rosa gegart. Bei den Gewürzen fühlt sich der Koch wohl der schwäbischen Sparsamkeit verpflichtet. Er lässt den Dingen ihre Eigenheit - ein Vorteil. So schmeckt das Auberginenpüree vor allem wunderbar nach Aubergine und mal nicht nach provenzalischer Kräutermischung.

Das Lokal haben die Schranners etwas vom Kitsch und Dekoschmuck der Vorbesitzer befreit. Die Waldhornstube wirkt heute heller, nüchterner, moderner als früher, auch wenn die geschwungenen Nussholzsessel noch die alten sind. Angepasst wurde auch das Angebot vegetarischer Gerichte. Was in vielen Spitzenrestaurants oft noch immer wie eine höfliche Entschuldigung an die fleischlose Kundschaft wirkt, wird im Waldhorn selbstbewusst und mit Überzeugung als Fünf-Gang-Menü für 59 Euro angeboten. Gut so.

Die Zahl der Gäste ist an diesem Sommertag durchaus übersichtlich, so hat Maximilian Schranner auch die Zeit, zwischen Hauptgang und Dessert ein wenig an den Tischen der Gäste zu plaudern. Aus Bayern kommt er, was nicht zu überhören ist, gekocht hat er zuletzt im Landgasthof am Königsweg am Rande der Schwäbischen Alb. Nun haben er und seine aus Bebenhausen stammende Frau ihr erstes eigenes Restaurant eröffnet und - angesprochen auf den ihm kürzlich verliehenen Michelin-Stern - wirkt er fast ein wenig verschüchtert. Er könne da auch nichts dafür, er koche halt so, wie es ihm Spaß macht, sagt er.

Das muss schwäbisch-bayrisches Understatement sein, wie auch das Dessert zeigt: Rhabarberstrudel mit Erdbeeren und Vanilleeis (9,50 Euro) klingt alltäglich, ist aber in diesem Fall tiefgestapelt. Vor uns liegt das Ergebnis ausgefeiltester Handarbeit, der Strudelteig hauchzart und knusprig, der Erdbeergeschmack durch ein Bad in Grand Marnier fein herausgearbeitet. Noch während wir dem letzten Löffel dieser Aromen-Dreifaltigkeit hinterherweinen, kommt eine Dame an den Nachbartisch und klagt: Auf der Toilette fehle ein Haken für die Handtasche.

Wenn das alles ist, was es hier zu kritisieren gibt, dann liegt Tübingen nicht mehr im kulinarischen Tal der Tränen. Dann gibt es auch, was das Essen angeht, wieder einen Hügel, ja einen echten Hausberg.

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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