Lokaltermin:Pâtisserie Kretz

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Gebäckkontrolle: In einer unverschämt romantischen Pâtisserie in Straßburg verrichten der König des Blätterteigs und seine Frau ihr Werk.

Von Philip Maußhardt

Manchmal ist der Zufall der beste Reiseführer. Und dann landet man wie unser Autor Philipp Maußhardt plötzlich in einer unverschämt romantischen Pâtisserie in Straßburg, wo der König des Blätterteigs und seine Frau ihr Werk verrichten. In der kleinen Pâtisserie Kretz sind aber nicht nur die Pralinen, Petits Fours und Millefeuilles ein Gedicht.

Das Elsass ist die Heimat vieler großer Pâtissiers und Chocolatiers, von Pierre Hermé, Christine Ferber oder Pierre Lingelser. Doch jenseits der großen Namen arbeiten viele von ihnen unerkannt und bescheiden in ihren kleinen Konditoreien, brillante Handwerker, die täglich danach streben, die Kundschaft aus dem eigenen Stadtviertel oder Dorf glücklich zu machen. So einer ist Alain Kretz.

Manchmal ist der Zufall der beste Reiseführer. Ohne ihn wäre man wohl nie auf diesen bescheidenen Konditor am Rande der Straßburger Altstadt gestoßen, der nicht mal eine eigene Internetseite hat. Aber da war endlich ein freier Parkplatz am Quai des Pêcheurs - dem "Fischerufer", und er lag ausgerechnet direkt vor der Eingangstür zur Pâtisserie Kretz. Zugegeben: Normalerweise würde der Testbesuch bei einer Konditorei zielgerichteter ablaufen. Und ja: Womöglich hat Romantik in einer Kritik nichts verloren. Aber bei Petits Fours, Pralinen und Schokolade wird der Mensch eben pathetisch. Na und?

(Foto: N/A)

Auf den ersten Blick sieht der Laden aus wie viele Pâtisserien im Elsass: frischer Gugelhopf im Schaufenster, daneben Kuchen und Törtchen aus Blätterteig. Doch im Spiegel der Scheibe schimmert in der Nachmittagssonne noch geheimnisvoll ein weiteres Regal, voll mit schwarzen Kugeln und Würfeln.

An der Theke vorbei, "Bonjour, Madame Kretz", öffnet sich in einem Hinterzimmer das eigentliche Café. Die Uhr über dem Spiegel hängt schief, die Einrichtung hat einige Jahre auf dem Buckel. Man fühlt sich ein wenig in der Zeit versetzt, und das ist gut so. Am besten, man sucht sich schon beim Betreten der Pâtisserie in der Vitrine aus, was man haben möchte. Eine Karte würde sich nicht lohnen, zu häufig, je nach Jahreszeit und kreativer Laune, ändert Alain Kretz seine Rezepturen.

Kretz ist ein kleiner Zauberer, der die Aromen des Frühlings, des Sommers und des Herbsts zwischen dünnen Platten aus Millefeuille hervorholt wie der Magier das Kaninchen aus dem Hut. Der Konditor ist ein "As du Millefeuille", eine Art "König des Blätterteigs", ausgezeichnet mit dem höchsten Preis Frankreichs in dieser weltweit wohl einzigartigen Disziplin. Uns hatte eine dreischichtige Schnitte angelächelt, die einzelnen Stockwerke durch millimeterdünne Blätterteiglagen getrennt. Lage eins ist eine Himbeer-Mousse, Lage zwei eine Crème de Citron und obenauf, wiederum unter einem zarten Blätterteigdeckel, eine sehr dunkle Masse aus Schokolade, jedoch so locker, dass die Gabel beim Einstechen gar keinen Widerstand verspürt. Je nach Einstichwinkel der Gabel lässt sich der wunderbare Dreiklang bei jedem Bissen ein wenig anders kombinieren. Auf dem Teller gegenüber liegt eine Jalousie, wie in Frankreich kleine, mit Fruchtvariationen gefüllte Blätterteigtaschen genannt werden. Schon beim ersten Bissen breitet sich ein intensives Aroma aus Birnen und Mandeln im Mund aus, begleitet von einer herrlich leichten Crème de Vanille.

Kretz ist nicht nur Pâtissier, er ist auch "Chocolatier" und obendrein "Glacier", also Eismacher. Wie alle Mitarbeiter der Pâtisserie ist auch Madame Kretz erstaunlich schmal und grazil. Dass Schokolade dick macht, wird im Elsass widerlegt. Zum gedankenlosen Essen wären die selbst hergestellten Pralinés auch viel zu schade. Vor ein paar Jahren hat Kretz angefangen, mit Blüten zu experimentieren. "Versuchen Sie diese einmal", sagt Madame und reicht eine dunkle Praline, deren Füllung nach Veilchen duftet. Den Geschmack von Rosen, Jasmin, ja sogar von Geranien hat Alain Kretz in Schokolade gegossen, und als er in seiner weißen Kluft aus der Back- und Experimentierstube tritt, schaut er neugierig auf den Gast, ob sich an dessen Gesichtsausdruck ein Urteil ablesen lässt. "Für diese hier", sagt er, "habe ich frischen Safran aus Krokusblüten genommen." Und natürlich sind Schmelz und Geschmack perfekt, (nur Geranie war zuvor etwas fade, aber das verheimlicht man erfolgreich).

Die Kuchentheke ist nicht üppig gefüllt, aber mehr als zwei Stücke wird sowieso jeder Magen verweigern. Man verlässt die kleine Pâtisserie darum nicht, ohne Macarons, Pralinés oder ein paar Tafeln der selbst gemachten Schokolade einzustecken. Wer allerdings nur nach Schokolade verlangt, wird sich von Madame Kretz erst ein paar Fragen gefallen lassen müssen. "Lieber einen Grand Cru von Papua Neuguinea oder von Madagaskar?" Wie beim Wein gelten ja längst auch bei Schokolade die Herkunft, der Kakaoanteil und die Verarbeitung als Qualitätsmerkmal. Und ähnlich wie beim Wein liegt viel Pose im neuen Schokosprech. Doch beim Ehepaar Kretz ist man sich sicher, dass es weiß, was es tut. Und die Schokolade wird einem später recht geben.

Im Verkaufsraum hängt an einer Wand ein von Hand geschriebener Brief. Während Madame Kretz die - natürlich eigens hergestellten - Macarons (Was für einen Biss die haben!) verpackt, fängt man an zu lesen und ist irritiert. "Als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, konnte ich nicht mehr schlafen. Meine Gedanken kreisten nur noch um dich. Du bist so ein wunderbarer Mensch, ich liebe dich von tiefstem Herzen." Was bedeutet dieser Brief? Frau Kretz errötet leicht: "Ich habe ihn meinem Mann geschrieben vor ein paar Wochen. Nach über 20 Ehejahren musste das sein. Echte Liebe dauert eben ewig." Und da sage noch einmal jemand, Romantik habe in einer Kritik nichts verloren.

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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