Lokaltermin:Jellyfish

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Fisch essen in Hamburg? Dürfte eigentlich kein Problem sein, würde man meinen. Stimmt aber leider nicht ganz. Wir haben trotzdem eine feine Adresse.

Von Stevan Paul

Der Hamburger ist immer ein bisschen überrascht, wenn er gefragt wird, wo denn in der Hansestadt besonders feiner Fisch serviert werde. Nach kurzem Schweigen folgt ein Schulterzucken, dann sieht der Hamburger lange sinnend die Elbe hinunter, und es ist ihm alles schon etwas unangenehm, jetzt. Irgendwann fällt ihm das "Fischereihafen Restaurant" der Familie Kowalke ein, jene Institution am Hafen, in der livrierte Kellner über dicke Teppiche huschen und seit über 30 Jahren Hummerfrikassee und Steinbutt-Schnitten servieren. Letztere ruhen auf Blattspinat mit Senfsauce, weil das immer schon so war, Hanseaten sind gerne beständig. Darüber hinaus hat es die Meereshochküche seltsam schwer in Hamburg. Insgesamt ist das Angebot recht touristisch. Es gibt paar Klassiker, viel Tradition, Scholle mit Speck und Matjes mit Bratkartoffeln, reichlich und gut. Dazu noch einige modische Seafoodgrills, das war's.

Zu den wenigen Neuerern gehört das Restaurant "Jellyfish" an der Peripherie des gar nicht mehr so wilden und bunten Schanzenviertels. Seit vier Jahren gibt es das kleine Lokal an der Weidenallee, vielen Hamburgern ist es immer noch ein Geheimtipp, dabei immer bestens besucht. Das Publikum hier ist international - und jung, wo doch immer gesagt wird, für Hochküche interessierten sich eher Ältere. 2012 legte der hochtalentierte Nils Egtermeyer mit komplexen, durchdachten Fisch-Gerichten die Basis für den Erfolg. Egtermeyer ist inzwischen ins Fernsehen gewechselt und hat vor einem knappen Jahr an seinen Souschef Laurin Kux übergeben - Zeit also für einen Besuch. Hat Kux in dieser Zeit eine eigene Handschrift entwickelt oder beerbt er den Vorgänger lediglich?

(Foto: N/A)

Das kleine, nüchtern gestaltete Restaurant - Massivholz, weiße Wände, türkisblaue Farbtupfer - ist auch unter der Woche bis auf den letzten Platz gefüllt und straft die Gastro-Pessimisten Lüge: Günstig ist es nicht hier, aber preiswert im Wortsinn. Fisch und Meeresfrüchte sind von exzellenter Qualität und ausschließlich aus nachhaltigem Wildfang. Das saisonal geprägte Menü (sieben Gänge zu 110 Euro, sechs zu 98, vier zu 74 Euro) wechselt monatlich. Wir erwischen so eben noch den September, bestellen einmal alles und dazu die Weinbegleitung (34-59 Euro). Auf Sommelière Carine Patricio kann man sich offenbar verlassen, als Willkommensschluck gibt es einen grandios dichten Champagner Jacquesson Cuvée n° 739. Das Amuse-Gueule dazu: knackiger Jakobsmuschel-Rogen mit Liebstöckelcreme und Karotte, eine vielschichtige Miniatur. Zum zarten Tatar vom Yellowfin Tuna gibt es Apfelsorbet mit einem Salat von Reineclauden, grünem Sellerie, Estragon und merkwürdig milden Jalapenõ-Chilis, deren angekündigte Schärfe durch die elegant-schmelzige Restsüße des 2015er Alvarinho Dócil Soalheiro gelindert werden sollte, doch es ist gar keine Not auf der Zunge. Zur butterzarten Wildgarnele mit gebratenen Pilzen, Kürbisragout und samtigem Kürbis-Püree kommt der 2015er "Freestyler von Weingut Beck aus Rheinhessen, sehr passend, weil der sortenreine Muskateller allein und mit Garnele und Kürbis im Mund die pure Harmonie entfaltet.

Etwas konventioneller kommt die duftende, buttrige Gartenkräuter-Crèmesuppe daher, mit perfekt gebratener Jakobsmuschel, herrlich tiefen Bouchot-Muscheln, Queller und ausgelöster Auster. Ein erster Hinweis darauf, das Laux auch eher klassische Zubereitungen spannend zu beleben weiß: Die Feinheit liegt im Detail, im Spiel mit Temperaturen, Aromen und besten Produkten. Carine Patricio serviert dazu den feinmineralischen Riesling Smaragd Goldberg von Georg Frischengruber aus der Wachau. Auf dem nächsten Teller schmiegt sich saftiger Seeteufel an Petersilienwurzelpüree und Café de Paris-Schaum, dazu ein knuspriger Mini-Strudel mit saftiger Haselnuss-Kraut-Füllung.

Den folgenden Gang begleitet ein Glas "Himmel auf Erden" vom Naturwein-Meister Christian Tschida aus dem Burgenland, ein großer Wein, gepaart mit Kux' Interpretation von Surf & Turf - mit zartblättrigem Rotbarsch, einem zur würzigen Sauce eingekochtem Bio-Rindergulasch, geschmorter Paprika, und cremigem Sauerkraut, kombiniert mit fruchtiger Aprikose und Salzzitronen-Mayonnaise. Ein Teller, der Kux' filigranes Handwerk zeigt: Jede Komponente schmeckt für sich, alles auf den Punkt zubereitet, rein und aromatisch, die Kunst entsteht in der Kombination. Einziger Einwand: Beinahe alle Gänge sind nur verhalten gesalzen, dafür durchgehend von gefälliger Süße und Cremigkeit, etwas pointiertere Kontraste würden die Teller hier und da noch spannender machen. Kux kocht nicht so mediterran wie seinerzeit Egertmeyer, er setzt deutlich auf Regionalität, auf Liebstöckel statt Sprossen und zitiert auch mal Klassiker und vertraute Geschmackspanoramen, wie im Fleischgang des Abends: Da treffen (Wachtel-)Ei, Spinat, Kartoffelpüree und Trüffel aufeinander - eine der größten Erfolgsgeschichten der französischen Küche, bei Kux ein Höhepunkt des Abends, mit mit zartem Wachtelfleisch kombiniert, die Jus tief und dicht. Ausgerechnet in einem Fischrestaurant!

Und obwohl zwei Dessert-Muffel am Tisch sitzen, überzeugt auch die Pâtisserie hier mit einem seligmachenden Armen Ritter aus Brioche mit Schokoladen-Parfait und schmelziger Ganache, Walnuss und Apfel. Dazu kommt wieder ein perfect match mit feinperligem "Sidre" Brut Tendre von Eric Bordelet aus der Normandie.

Eine Adresse für feinsten Fisch in Hamburg? Ist nach diesem Abend kein Problem mehr!

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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