Lokaltermin:Hirschherz mit Seeigel

Lesezeit: 3 min

So kraftvoll und lebendig die Gegend rund um ihr Lokal aussieht, so ist auch die Küche der Slowenin Ana Roš. Unsere Restaurantkritikerin ist ganz entzückt.

Von Katharina Seiser

Wenn Frauen in der Küche von angesehenen Spitzenrestaurants stehen, dann geht es ja angeblich gleich "filigran" und "feminin" zu, "duftig" und "zart". Die Slowenin Ana Roš denkt überhaupt nicht daran, irgendeinem Klischee zu entsprechen. Als Jugendliche trieb sie Leistungssport, als junge Frau absolvierte sie eine Ausbildung zur Diplomatin, die fünf Sprachen spricht, kurz vor dem Sprung nach Brüssel kam dann der Ruf der Heimat. Die Eltern ihres Mannes Valter Kramar gingen in Pension. Deren Lokal in einem 150 Jahre alten Haus im Soča-Tal nahe der italienischen Grenze, rund eine Dreiviertelstunde von Udine entfernt, drohte zu verwaisen. Ana und Valter beschlossen, im Hiša Franko in Kobarid zu bleiben, und weil Valter da bereits erfolgreicher Sommelier war, musste Ana eben in die Küche. Was Besseres hätte der Gegend, dem Land, und den kulinarisch Reisenden gar nicht passieren können.

Roš hat keine Kochausbildung, nie in einer anderen Küche als der eigenen gekocht. Heute ist sie Mitglied der Jeunes Restaurateurs d'Europe, aber auch des Avantgarde-Koch-Kollektivs "Cook it Raw" und eine von 37 Top-Chefs weltweit, die am 9. Juli in einer bis dato beispiellosen Aktion, dem "Grand Gelinaz Shuffle", ihre Restaurantküchen tauschen. Das Los entscheidet, ob Roš an diesem Tag in den USA oder in Schweden, in Peru, Japan oder Australien kochen und ob in ihrer Küche im Hiša Franko vielleicht ein Kollege wie René Redzepi, Alain Ducasse oder Alex Atala den (ausgebuchten) Abend lang wirken wird. Ana Roš hat also, wie man auf Küchendeutsch mit Respekt sagen würde: Eier.

(Foto: N/A)

So grün, wild und kraftvoll die Gegend um ihr Lokal aussieht, so ist auch ihre Küche. Selbstverständlich kommen frisch gefangene Forellen aus der türkisblauen Soča auf den Tisch, hausgemachte Salami, Dinkelbrot, Ente, gereifter Schaftopfen und Wildkräuter in den Nachspeisen. Aber: Das Dinkelbrot schlägt alle gleichnamigen Laibe in Bioläden um Längen, so saftig, aromatisch und doch elegant schmeckt es. Die Salami macht Roš' Vater. Als Gruß aus der Küche kommt federleichtes Löwenzahnblatt-Tempura, auf Sellerie-Haselnuss-Püree mit Knusperspeck geerdet. Die Forelle wird roh gebeizt, mit Zitrus, Stangensellerie, Avocadocreme und Koriander vermählt. Sie verrät, welcher Wind in der Küche weht: Langeweile? Verboten. Harmonie? Oberstes Ziel. Intensiver Geschmack der Zutaten? Bedingung. Weltgewandtheit? Was sonst.

Die beweist auch der nächste Gang. Grayling heißt der Fisch auf der Karte, und nachdem die Gäste nicht recht wissen, um welchen Wasserbewohner es sich handelt, lässt Roš zuerst einen karierten, aus einem Notizheft gerissenen Zettel mit dem Wort "Äsche" bringen, um dann selbst mit dem noch starren Fisch in der Hand zum Tisch zu kommen. Mit einer Energie, die im Essen zu schmecken ist: direkt, ohne Umwege. Die Äsche kommt aus dem nächsten Tal, ein Projekt, um den raren Fisch wiederanzusiedeln. Sie serviert ihn mit Himbeeren, roten Rüben, Sauerklee, der Gaumen weiß nicht, ob Skandinavien oder Südamerika, Heringsschmaus oder Hochsommer, und so geht es weiter: Hirschherz, roh, mit Seeigel, Forellenkaviar und eingelegten Rübchen. Dagegen ist das gehypte rohe (und gute) Herz in Magnus Nilssons Restaurant in Fäviken Ausflugsgastronomie. Ravioli füllt die Autodidaktin mit gereiftem Schafstopfen. Dazu Zimtkarotten, Heusuppe und Oregano. Süß und sauer oder salzig liebt sie als Kontrast ebenso wie knackig oder cremig. Der von Salzkristallen und Kruste knusprige Schweinenacken liegt auf Spinat samt Wurzeln, der so frisch aussieht, als wäre er soeben im Garten hinterm Haus aus der Erde gezogen worden. Dabei ist er heiß und knackig, die kandierten Zitronenstreifchen und der fermentierte Knoblauch sind so gekonnt darauf versteckt, dass die Überraschung beim Essen mehrfach gelingt. Der Service in seiner federleichten Fröhlichkeit serviert glasweise slowenische Weine, nicht ohne (unnötigerweise) mehrmals darauf hinzuweisen, dass es sich um eigenwillige Vertreter ihrer Art und ihres Landes handelt. Selbstredend, dass sie fantastisch zum Essen passen.

Die Desserts sind keine gefälligen Schmeichler, sondern Statements der Küchenkünstlerin, dass auch Süßes Salziges braucht. Intensive Fichtennadelmeringue mit Zitronencurd, Sauerklee und Rosen-Marshmallows zu Himbeeren. Oder ein Brotpudding mit Holunderbeeren und Apfel in verschiedenen Zubereitungen. Die Neugierde ist geweckt, die Lust aufs dritte Dessert (aus dem anderen Menü; fünf Gänge kosten 60 Euro, neun Gänge 80 Euro) quittiert der schlagfertige Kellner mit dem Rat, das nächste Mal doch so anzureisen, dass man am Abend das große Menü samt Wein und am nächsten Tag mittags das andere, kleinere Menü nehmen könne - wie es viele Stammgäste zu tun pflegten. Minuten später kommt er mit dem dritten Dessert, dem Schokoladengarten. Knuspriger Crumble, verstecktes Mousse, unverhohlen salziges Popcorn-Eis und versöhnliche Beeren.

Auf der ohnehin nicht hohen Rechnung ist von dieser letzten, spontanen Versuchung später nichts zu sehen. Ana Roš ist immer Diplomatin geblieben.

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: