Lokaltermin:Goldberg

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Der Speckgürtel von Stuttgart müsste eher Filetgürtel heißen. In der Gegend von Fellbach gibt es gleich zwölf Gourmetlokale. Besonders gut ist das Goldberg.

Von Philipp Mausshardt

Wenn es das gelobte Land wirklich gibt, dann muss es bei Stuttgart liegen, vermutet Philipp Maußhardt. Mitten im Speckgürtel der Landeshauptstadt, so um Fellbach herum, einer Gegend, in der sie gleich zwölf Gourmet-Lokale haben. Wer in Fellbach mal von "Krise" spricht, meint damit, dass im Feinkosthandel die Austern aus sind. Macht aber nichts, man kann ja im Goldberg essen.

Zieht man vom Marktplatz von Fellbach aus einen Kreis mit einem Radius von gerade mal sieben Kilometern, so liegen darin zwölf Sterne-Restaurants. Das ist, abgesehen von Berlin, vermutlich einmalig in Deutschland. Vom Marienplatz in München erreicht man nach höchstens sieben Kilometern elf solche Lokale. Aber wir reden hier nicht von einer Millionenmetropole, sondern von Fellbach. Das mag für manchen nach Hinterpfuiteufel klingen, ist aber ein veritables Städtchen im Speckgürtel von Stuttgart.

Oder soll man vom Filetgürtel sprechen? Denn in Fellbach und dem hier beginnenden Remstal wohnen viele wohlhabende Menschen. Entsprechend blendend geht es den Gemeinden im Rems-Murr-Landkreis. Jedes Dorf hat hier sein beheiztes Freibad und für Zebrastreifen wird hier gern mal weißer Carrara-Marmor verlegt. Auch wenn das übertrieben klingen mag, die Wahrheit ist: In und um Fellbach wird mit dem Wort "Krise" eher der Feinkosthändler Mack in Verbindung gebracht, wenn am Freitag von 16 Uhr an die Austern ausverkauft sind. Und die zahlungskräftige Bevölkerung ist sicher ein Grund, warum sich ausgerechnet hier die bekanntermaßen nicht ganz billige Gourmet-Gastronomie so zahlreich angesiedelt hat.

Es gibt aber noch einen zweiten Grund: Das Remstal hat sich in den letzten 30 Jahren zu einem der besten Weinanbaugebiete Deutschlands gemausert. Winzer wie Rainer Schnaitmann, Jochen Beurer oder Gert Aldinger legten die Latte bereits hoch. Und Ende Oktober wird, wenn die Spatzen auf den Dächern nicht völlig irren, der junge Remstäler Winzer Michael Maier den Deutschen Rotweinpreis abräumen.

Von außen betrachtet ist das "Goldberg" das hässlichste unter allen Sternehäusern hier. Der Name nimmt zwar Bezug auf eine besonders gute Weinlage der Stadt, tatsächlich aber ist das Restaurant in einer betonbewehrten Kultur- und Kongresshalle der 70er-Jahre untergebracht, in der man nie ein Spitzenlokal erwarten würde. Hinter der Tür ist der Außeneindruck dann wie weggeblasen: weiße Ledersitze, honigfarbenes Holz, weiches Licht und viel Edelstahl - da hat sich der Innenarchitekt angestrengt. Tischdecken gehören auch hier zu den bedrohten Arten, man sieht sie in guten Restaurants ohnehin immer seltener. Die Dudelmusik wäre allerdings noch verzichtbarer. Die Speisekarte beschränkt sich auf ein doppelseitig bedrucktes DIN-A5-Blatt, vorne die Speisen, hinten die Weine; wo es wirklich gut ist, muss das genügen.

Kaum hat man sich eingelesen, stellt der freundliche Saalchef eine Schale mit schwarzen Kieseln auf den Tisch. Die obersten beiden Steine entpuppen sich als in Asche gefärbte Kartoffelteig-Kugeln, gefüllt mit herrlicher Sourcrème. Langsam wird klar, dass hier ein Koch am großen Rad dreht. Der zweite Gruß aus der Küche ist dann als Eröffnung fast schon genial: Matjesfilet Hausfrauenart, sagt die Bedienung maximal gefasst. Auf einer Sauce aus Holunder und Pumpernickel liegen marinierte Matjesstreifen, über denen sich grünes Apfelsorbet und Kräuterrahm türmt, mit einer Aussichtsplattform aus papierdünnem Krustenbrot. Der Name des Küchenchefs Philipp Kovacs, Anfang 30, sagte uns bis zu diesem Restaurantbesuch nichts, bereits nach dem zweiten Amuse Gueule sind wir wild entschlossen, ihn uns zu merken.

Wer den Sommelier bittet, Weine aus dem Remstal auszusuchen, könnte sich selbst und ihm keinen größeren Gefallen tun (Weinbegleitung: 29 Euro, das frei kombinierbare Dreigang-Menü kostet 75 Euro). Um es abzukürzen: Er bringt an diesem Abend mit das Beste auf den Tisch, was an Weinen aus deutschen Landen zu finden ist: eine Cuvée aus weißen Reben vom Weingut Knauß etwa, einen umwerfenden Spätburgunder von Michael Maier oder zum Dessert eine Spezialität, wie es sie selten gibt: eine Riesling-Auslese von Hans-Peter Wöhrwag aus dem Jahr 1999 (8,5 % Volumenprozent), wegen der optimalen Balance aus Süße und Säure perfekt zur "Brombeere", wie die Nachspeise hier im trendgerechten Kartensprech heißt - eine allerdings herrliche Komposition aus Valrhona Manjari-Schokolade und Fruchtvariationen.

Aber der Reihe nach: Als Vorspeise kommt Gelbschwanzmakrele, in Verbindung mit einer pochierten Felsenauster, grünem Curry und Fenchel. Es ist fast rufschädigend, als Kritiker nichts kritisieren zu können. Aber bei der Makrele ist es nicht anders als beim darauf folgenden Hauptgericht, einer höchst gaumenzärtlichen Taubenbrust mit einer Creme aus Quinoa-Samen, unter der wiederum eine Art Tauben-Rillette zu finden ist und die von einem luftigen Brotauflauf mit Tauben-Innereien geadelt wird. Die Perfektion beider Gerichte, bei denen absolut jede Komponente stimmig ins Gesamtwerk passt, ist jedenfalls bemerkenswert.

Gleiches gilt für die Gänseleber, die ja in manchen Lokalen kaum von einer Leberwurstpastete unterschieden werden kann. Im Goldberg ist sie sehr fein püriert, hat fast einen Mousse-Charakter und versteht sich ausgezeichnet mit dem Ziegenkäse und den schwarzen Nüssen (unreif gepflückte und eingelegte Walnüsse). Dem zweiten Hauptgang, einem Lamm in doppelter Ausführung (als Rücken und als geschmorte Schulter) hätte man sich allenfalls eine etwas ausgefallenere Beilage gewünscht als die zwar gute, aber eben doch eher brave Moussaka und - schon wieder - Ziegenkäse.

Am Ende aber wird das der einzige kleine Kritikpunkt bleiben. So besonders isst man selten in dieser Preisklasse. Am Ende vielleicht nur etwas Wehmut: In Fellbach müsste man wohnen!

© SZ vom 24.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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