Lokaltermin:Für den kleinen Hummer

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Die Haute Cuisine wirkt heute altbacken. Dabei kann diese Küche noch immer bezaubern, wie das Berliner Restaurant Alt-Luxemburg beweist.

Von Harriet Köhler

Es gab mal eine Zeit, in der Gourmet-Restaurants etwas waren, worüber wir Deutsche uns in erster Linie lustig machten: divenhafte Küchenchefs, näselnde Oberkellner, Gäste, die sich mit der Lupe über eine einzelne Erbse beugten. Das ist lange her, glücklicherweise - seit 1979 Eckart Witzigmann als erster deutscher Koch drei Michelin-Sterne erhielt, ist das Land kulinarisch wie Venus aus dem Eintopf gestiegen.

Die Haute Cuisine entwickelt sich beständig weiter - und wir, die Gäste? Entwickeln uns artig mit. Routiniert fördern wir unter spektakulären Gemüse-Grabgestecken verstecktes Rassefleisch zutage, verdrücken Dutzende Mikro-Elemente ohne Wimpernzucken und Darmverknotung, und immer öfter gelingt es uns sogar, am Ende der minutenlangen Erklärung zum Pre-Dessert so zu tun, als hätten wir nicht längst wieder vergessen, ob die orangefarbene Nocke in der Mitte nun Mangoparfait, Blutorangenschaum oder Safranmousse ist. Schwarzkümmelschwämmchen? Entenleber-Lollis? Im Reagenzglas kredenzte Speck-Essenzen? Wir Deutsche machen gerne Sachen richtig, und wenn Richtigmachen bedeutet, sich die Quittenmarmelade aus der Tube selbst aufs Blauschimmelkäse-Macaron zu drücken, dann tun wir auch dies, mit Wonne.

Lustig sind Nouvelle-Cuisine-Karikaturen trotzdem immer noch: Nämlich dann, wenn man sich anguckt, wie urbodenständig jene Küche war, über die man dereinst Witze riss. Im Vergleich zu heute wirken die Gerichte von damals wie ein Falscher Hase in der Green-Smoothie-Theke, seien es Aal in Rotwein (Eckart Witzigmann), Rinderfilet mit Pfeffer (Paul Bocuse) oder gefüllter Ochsenschwanz (Hans Haas). Doch diese gute, alte Gourmetküche kann immer noch mithalten, und das beweist ein Besuch bei Karl Wannemacher.

Wannemacher ist ein Pionier der Berliner Spitzenküche: Ende der 70er war er Küchenchef im legendären Zwei-Sterner Maître, vor 33 Jahren eröffnete er sein eigenes Restaurant: das Alt-Luxemburg. Seither folgt er in dem altehrwürdigen Charlottenburger Gastraum seiner Linie - unbeirrt von Moden, unbeirrt auch vom Verlust des Michelin-Sterns zu Beginn der Nullerjahre. Das heißt aber nicht, dass hier ein Sturkopf werkelt, für den alles Neue des Teufels ist: Als einer der Ersten experimentierte Wannemacher etwa mit asiatischen Aromen; und er isst regelmäßig auswärts, um zu gucken, was die Jugend von heute so fabriziert. Seine legendäre Hummercremesuppe aber, die kocht er noch exakt so, wie er es vor 40 Jahren in der Drei-Sterne-Küche des berühmten Père Bise gelernt hat - allenfalls mit etwas weniger Sahne. Sie kommt dann auch so auf den Tisch, wie man heute kaum mehr eine Portion Erbsensuppe serviert bekäme: im großen, tiefen Teller, ohne auch nur ein zierendes Petersilienblatt. Doch wer dieses Wunderwerk an Konzentration und aromatischer Tiefe kostet, versteht sofort, dass Komplexität nicht nur dann entsteht, wenn man möglichst viele Aromen möglichst ungewohnt kombiniert. Sie wohnt den Produkten bereits inne - man muss nur wissen, wo man sie kitzelt, damit sie zutage tritt. Nicht Originalität, sondern Harmonie und Tiefgang sind Wannemachers Ziele.

Und so besteht der Kaninchensugo mit Kohlrabinudeln und Morcheln aus genau ebendem: einem kraftstrotzenden, aber profunden Ragout, zart-süßlichen Gemüsestreifen und zwei rubenshaft fleischigen, rahmgeküssten Morcheln - eine Kombination, die so klassisch wirkt, dass man sie so heute kaum noch irgendwo bekäme. Auch das Erbsenrisotto gibt sich schlicht: frühlingsgrüner Reis, darauf vier zarte Stückchen Kalbsbries, ein paar belebende Parmesanspäne - aber mehr braucht es ja auch nicht! Oder das Seeteufelfilet, das perfekt gegart auf zartem Fenchel in Olivenöl-Nage, einer schaumigen Soße, liegt und nur mit etwas Wiesenkerbel aromatisiert ist: Da ist nichts verkünstelt, nichts übermäßig ambitioniert - und doch (oder deswegen!) schmeckt man bei jedem Bissen die herausragende Qualität der Produkte und die jahrzehntelange Übung, sie der Vollkommenheit entgegenzuführen.

Selbstredend kommt auch das kernige und doch zarte Kalbsfilet nicht aus dem Sous-Vide-Beutel, auf dass es einem wie zerkochtes Gemüse auf der Zunge zergehe, sondern wurde in der Pfanne mit genau jener Art von Kruste versehen, die leidenschaftliche Fleischesser um den Verstand bringt. Dazu gibt es buttergebräunten Spargel, ein Schnittlauchrahmsößchen - und deutlich zu weiche, seltsam süßlich schmeckende Kartoffeln, die sich nicht so recht in die Perfektion einfügen mögen. Aber das ist der einzige Kritikpunkt an diesem Abend.

Klar: Wer bei Tisch Überraschung und Abenteuer sucht, verlässt das Alt Luxemburg herzhaft gähnend. Aber genau, dass diese Küche inzwischen etwas altbacken wirkt, zeigt doch, wie einflussreich die kulinarischen Neuerungen von damals waren und mit welcher Macht sie sich verbreitet haben - wenn auch oft in trivialisierter Form. 74 Euro kosten vier Gänge, das ist viel Geld in einer Stadt, in der es schon für 38 Euro ein Mittagsmenü bei Tim Raue gibt. Aber sie lohnen sich. Nicht nur, weil man dafür eine Zeitreise bekommt, eine Lehrstunde in kulinarischer Geschichte -, sondern weil Karl Wannemacher nach wie vor und auf ureigene Weise einer der besten Köche Berlins ist.

© SZ vom 25.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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