Lokaltermin:Einsunternull

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Das Berliner Restaurant beschränkt sich radikal auf Zutaten aus der Nachbarschaft, Olivenöl ist tabu. Dafür gibt es reichlich Gemüse aus dem Weckglas. Lustesser gehen besser woanders hin.

Wie schön! Die "Neue Nordische Küche" breitet sich in Berlin aus. Das Restaurant Einsunternull beschränkt sich also radikal auf Zutaten aus der Nachbarschaft, sogar Olivenöl ist tabu. Dafür gibt es reichlich kaltes Gemüse aus dem Einmachglas. Eigentlich ganz nett, findet Harriet Köhler, aber im Winter möchte sie sich am Essen auch mal wärmen. Oder guten Wein trinken.

Es hat eine Dekade gebraucht, bis es jemand wagte, die Ideen der "Neuen Nordischen Küche" nach Deutschland zu importieren. Jetzt gibt es mit dem Einsunternull immerhin schon das zweite Berliner Restaurant (nach dem Nobelhart & Schmutzig), das der globalisierten Gourmetküche mit ihren Luxusprodukten etwas entgegenstellt, das nicht weltweit reproduzierbar ist. Es beschränkt sich nach dem Vorbild des Kopenhagener Noma also radikal auf Zutaten, die aus der unmittelbaren Region kommen, selbst auf Olivenöl wird in dem zeitgemäß schlichten ehemaligen Brauereikeller verzichtet. Im Einsunternull setzt man noch eins drauf, indem man im Sommer Vorräte für den Winter anlegt: Dann wird eingesalzt und getrocknet und fermentiert. Das freut nicht nur die Foodie-Szene, sondern auch Zeitgeistforscher, die ja immer jubeln, wenn etwas auf eine Formel zu bringen ist. Jedoch ist die Sache mit der Formel vielleicht auch das Problem dieser neuen Konzeptküche.

Heißt das, dass man im Einsunternull - immerhin frisch vom Michelin besternt - etwa nicht kochen könnte? Natürlich nicht. Allein das Brot vorneweg: köstlich. Auch das hauchzarte, frittierte Schwarzkohlblatt mit Mohncremefüllung: ein Vergnügen, das zudem auf eines der großen Verdienste der Neuen Nordischen Küche verweist - Bitteraromen kehren auf die Teller zurück! Das "Champignonbrot" hat das Zeug zum Klassiker: Auf einer Art Sand aus knusprig gerösteten Brotbröseln und einer dicken, kraftvollen Pilzcreme liegen hauchdünn gehobelte und mit Leinöl besprenkelte Champignons, denen eingesalzene Bärlauchblüten eine amüsante Knoblauchnote ergeben. Gelungen auch die mit Anis eingelegte Karotte auf fein-süßlicher Karottencreme und einer Walnusspaste mit Wumms - das ist einfach stimmig.

Ebenso großartig ist die Spannrippe vom Rind, ein perfekt gereiftes Stück Fleisch mit aromatischem Fett, das mit einer herrlichen Kruste versehen wurde und ganz allein für sich schon ein Genuss wäre. Und dann die Begleitung! Leicht in Essig eingelegte, in geräucherter Butter gewendete und schließlich mit pulverisierten Kartoffelschalen bestäubte Kartoffelscheibchen liegen auf einer üppigen Kamillencreme, die mit ihrer milden Kräuterigkeit an eine Sauce béarnaise erinnert.

Doch letztlich macht dieser geniale Fleischgang (übrigens der einzige, ein Großteil der Karte ist vegetarisch) auch klar, was man bei vielen der anderen Gerichte vermisst: Er ist ein Bekenntnis zum Genuss, ein Ja zum Bauch, ein Zugeständnis daran, dass ein Mensch, der aus dem Berliner Winter hereinkommt, sich beim Essen auch wärmen möchte. Denn so löblich es ist, alte Konservierungstechniken zu beleben: Wer will Ende Dezember fast einen ganzen Abend lang kaltes Gemüse aus dem Einmachglas zu sich nehmen? "Erinnerungen an Kindertage" heißt ein Dessert aus eingeweckten roten Johannisbeeren, etwas Crème fraîche und Milchschnee. Es schmeckt wunderbar, geradezu sommerlich - bloß, dass man es löffelt, während man Lammfelleinlagen in den Stiefeln trägt.

Letztlich ist dieses das Problem am Einsunternull: Es ist eine ausgedachte Küche, eine, die ohne die künstliche Selbstbeschränkung wohl kaum erfunden worden wäre. Viele Gänge mögen gut sein, einzelne sogar sehr gut, wirklich zwingend ist kaum einer.

Zwei Beispiele: Die Scheiben von weißer Beete und lactofermentiertem "Spargel vom Frühjahr" auf Haselnussmilch und Weißer-Bete-Crème etwa kann man zwar ganz interessant hin und her probieren; der Sinn des Ganges erschließt sich dabei aber nicht. Beim milchsauer eingelegten Rettich mit Sauerrahm, getrocknetem und gehobeltem Rinderherz, Sauerteigchip und Kresse ist die Idee zwar klar: Der Rahm bändigt die doch arg grobe Säure des Gemüses und bindet die trockenen Innereienspäne texturell in das Gericht mit ein - aber letztlich versinkt auch deren Aroma darin.

Und dann ist da noch die Getränkebegleitung, die manchen Mainstreamtrinker unglücklich zurücklassen dürfte: Die meisten Weine lassen sich der Vin-Naturel-Bewegung zuordnen, schmecken tendenziell also eher karg und unsaftig oder zumindest nicht immer so, dass es einen nach dem Rest der Flasche giert. (Die Kellnerin mag den Duft des bretonisches Cidres aus 14 Mostapfelsorten "herausfordernd" nennen - man kann ihn auch schlichtweg faulig finden.) Ebenso schwierig sind Teile der durchaus vielseitigen alkoholfreien Begleitung: Nichts gegen hausgemachten Kombucha und selbst angesetzten Wasserkefir - doch wehrlosen Gästen allen Ernstes den Reformhausschreck Brottrunk zum Essen zu servieren, das zeugt, na ja, von Selbstbewusstsein. (Wen es interessiert: schmeckt hefig-säuerlich, mit einem Hauch galligem Rülpser im Abgang.)

Der Service ist in diesem Kontext immer auch Kulturvermittler, und obwohl er sich spürbar bemüht, aus dem Abendessen (sechs Gänge ab 77 Euro) keinen Abendunterricht zu machen: etwas Didaktik zum Dinner sollte man mögen. Allen Experimentierfreudigen sei zum Besuch also geraten. Lustesser gehen lieber woanders hin.

© SZ vom 07.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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