Lokaltermin:Buschenschank in Residence

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Viele Wiener Heurige sind heute vor allem Touristenziele mit Schrammelmusik. Authentisch, entspannt und elegant speist man indes bei Wiens erster Winzerin, Jutta Kalchbrenner.

Von Katharina Seiser

Der Wiener Heurige genießt eine Art Welpenschutz. Anders ist es nicht zu begründen, warum er so verklärt wird, obwohl kaum ein Betrieb in allen Punkten überzeugt, die diesen Typ Lokal ausmachen - bei der Qualität von Wein und Essen sowie bei Lage, Ambiente und Service.

Das hat wohl damit zu tun, dass man beim Heurigen gern ein bisserl träge die Zeit versitzt, am liebsten draußen, ein bisserl was piperlt (Wienerisch für regelmäßig Alkohol trinken und gern zu viel davon) und ein bisserl was isst - in dieser Reihenfolge. Das Essen wird stets vom Buffet geholt und besteht aus der unvermeidlichen Heurigen-Troika: Aufstriche, deren Knoblauchanteil noch Tage später an den Ort des Geschehens erinnert, Schweinsbratenberge aus der "heißen Theke" mit Knödeln und dazu einfache, oft erstaunlich gute Salate aus Kraut, Erdäpfeln und Schwarzwurzeln. Wenn Heurige (oder Buschenschanken, wie sie sonst nur außerhalb Wiens heißen), keine Konzession haben, dürfen sie nur Wein aus Eigenbau und kalte Speisen anbieten. Was nicht vor Enttäuschungen schützt.

Man fährt mit "dem 38er" (also mit der Straßenbahn Linie 38) bis Grinzing - Endstation Bilderbuch. Hier liegen die großen Heurigen Schulter an Schulter, adrett herausgeputzt, Touristen lassen sich von der Schrammelmusik oder vom Baedeker leiten. Mitten in dieser Heurigenhochburg betreibt die Ausnahme-Winzerin Jutta Kalchbrenner mehrmals im Jahr ihre "Buschenschank in Residence". Im amerikanischen Wine Advocate von Robert Parker bekam sie es gerade wieder schwarz auf weiß, dass vier der fünf besten Weine Wiens - vor allem der berühmte Gemischte Satz und Grüner Veltliner - von ihrem Weingut Jutta Ambrositsch (ihr Name vor ihrer Heirat) stammen. Vier Hektar beste Lagen bewirtschaftet Kalchbrenner in Wien, knapp vier weitere seit 2014 in Gumpoldskirchen. Mit der ihr eigenen wohlwollenden Art, sehr genau und vielleicht ein bisserl streng - was aber weder Wein noch Buschenschank schaden.

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Wenn die Kalchbrenners - Jutta und Ehemann Marco kommen ursprünglich beide aus der Werbebranche - ausgesteckt (also geöffnet) haben, dann bringen sie außer der begehrten Weine lauter Produkte von ihnen persönlich bekannten Betrieben mit. Käse vom Wasserbüffel oder von der Ziege von Robert Paget aus dem Kamptal. Leberkäse vom Hödl, dem letzten Fleischer Wiens, der selbst schlachtet. Mangalitza-Schwein aus dem Seewinkel in Form von Blunze (Blutwurst), Presswurst oder Grammelschmalz, Schwarzbrot vom Gragger, dem einzigen Holzofenbäcker der Stadt. Der Liptauer schmeckt kräftig, wie er gehört, wenn er mit echtem slowakischen Brimsen (Schaftopfen) zubereitet wird. Die Senf- und Salzgurken sind längst berühmt, der Kren (Meerrettich) wird hier noch frisch gerissen.

Darüber hinaus gibt es kleine, bezaubernd arrangierte Gemüsegerichte. Das Winzerpaar ist frankophil, wovon nicht nur der Lauch mit Vinaigrette und Frischkäse zeugt, eine Idee mehr von der köstlichen Sauce, und das Gericht wäre perfekt gewesen. Zum Leberkäse kommt höllenscharfes Thymian-Senfragout. Das Schwarzgeselchte erinnert an jene Prä-EU-Zeiten, als die Bauern noch selbst räucherten.

Wenn sich diese Aufzählung zu unspektakulär liest, dann sei ergänzt: die Diskrepanz zu gleichlautenden Produkten, die bei den meisten Wiener Heurigen vom C&C-Markt kommen, ist mit "enorm" noch untertrieben. Beim wiederholten Besuch fällt auf, was diese Buschenschank noch so einzigartig macht: das Fehlen aller typischen Insignien des Qualitätskompromisses: Es gibt hier weder Werbung auf Bierdeckeln noch von Getränkekonzernen beschriftete Gläser noch Käse aus der Plastikhülle. Kein Verklären des Gestern, keine Anbiederung, keine verkrampfte Avantgarde - bei Kalchbrenner geht es für den Gast nur um eins: eine gute Zeit.

Später holt man sich dann ein Sackerl Weinbeißer, diese süchtig machenden Lebkuchenstangerl mit Honig und Gewürzen. Und lässt sich an der Schank die animierenden Weine von den unermüdlich freundlichen Kellnern (oder ist es gar Herzlichkeit?) noch einmal von vorne erklären. Ringelspiel oder Himmelfahrt? Glockenturm oder Sommeregg? Oder doch noch ein Rosengartel? Der neue Satellit - aus den im letzten Jahr dazugekommenen Gumpoldskirchner Rieden - passt aber auch dazu. Jedes Etikett ein perfekt auf den Charakter des Weines abgestimmtes typografisches Unikat,das das frühere Leben der Winzerin als Grafikerin verrät.

Manchmal spielt der in Wien legendäre Walther Soyka draußen im wunderschönen Kastaniengarten (ihre Kronen sind so geschnitten, dass sie Schutz vor Sonne und Regen bieten) auf der Knöpferlharmonika in feinstem Piano dazu, entrückt, entspannt und elegant. Dann reibt man sich die Augen und Ohren, denn selten passen Wein und Essen, Ambiente und Service in einem Wiener Heurigen so gut zusammen.

(Über die Öffnungszeiten sollte man sich stets vorab informieren. Kalchbrenners schenken noch in den ersten beiden Juniwochen von Freitag bis Sonntag aus, und nicht - wie auf der Visitenkarte gedruckt - auch an Donnerstagen. Dann ist von Ende August an wieder geöffnet.)

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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