Herrenmode:Früher Leidenschaft, heute Pflicht

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Woher kommen die Relikte in der Herrenmode? (Foto: RUMPF, STEPHAN)

Krawatte, Button-Down-Kragen, Coin-Pocket und Schulterklappe - alles Relikte in der Herrenmode. Woher kommen sie ursprünglich? Und was davon ist heute noch übrig?

Von Dennis Braatz

Der Button-Down-Kragen

Da kommt's her: Ende des 19. Jahrhunderts hatten es englische Polospieler satt, dass ihnen im Galopp immer der Hemdkragen um Kinn und Wangen flatterte. Deswegen befestigten sie die Spitzen mit je einem Knopf auf der Brustpartie ihrer Trikots.

So wurde es Mode: Nur wenige Jahre später bekam das der New Yorker Herrenausstatter John Brooks auf einem Turnier in London mit. Zurück in seiner Heimat, ließ er sportliche Tageshemden mit der Neuerung in Serie produzieren. Seine Firma "Brooks Brothers" machte er so auf der ganzen Welt berühmt. Nicht nur, weil der Kragen endlich dort blieb, wo er hingehört. Mit der robusten Wochenend-Alternative zum Anzughemd hatten auch Männer mal Abwechslung im Kleiderschrank.

Was daraus geworden ist: Das Gegenteil. Weil es ja so praktisch erscheint, wird der Button-Down-Kragen immer häufiger zur Krawatte getragen. Der bekannteste Vertreter dieser Bewegung ist Ulrich Deppendorf. Wenn sich der Leiter des ARD-Hauptstadtbüros mit dieser Kombination vor der Kamera bewegt, lässt sich auch am besten ihr Nachteil feststellen: Durch die Knöpfe können die Spitzen über dem festgezurrten Kragen nirgendwo mehr hin - und er beult sich unschön aus.

Die Coin-Pocket

Da kommt's her: Seit 1890 gibt es den Grundschnitt für die Levi's 501. "01" steht dabei für die erste Produktionsserie der Marke und "5" für die fünfte, kleine Tasche unter dem Hosenbund. Entwickelt wurde sie als sicherer Stauraum für das Kleingeld oder die Taschenuhr von Cowboys und Goldgräbern.

So wurde es Mode: James Dean und Marlon Brando trugen zur 501-Jeans ein weißes T-Shirt, Lederjacke oder einen roten Blouson. In den Fünfzigerjahren machte dieser für damalige Verhältnisse rebellische Look die beiden Schauspieler zu Stilvorbildern. Bereits 30 Jahre später bot Karl Lagerfeld den Kundinnen seiner Haute-Couture-Kollektion für Chanel handgemachte Denim-Kostüme mit einer Coin-Pocket am Rock an. Damit konnte sich kaum ein stilistischer Code schneller im modischen System verankern.

Was daraus geworden ist: Bei Frauen ändert sich auch die Jeansmode zweimal im Jahr. Bei Männern variiert höchstens die Passform der Hosen ein wenig. Die fünfte Tasche haben Ur-Labels wie Levi's, Mustang oder Lee jedoch nie entfernt. Warum auch? Sie verkaufen sich nach wie vor am besten. Modelle ohne das kleine Detail bleiben dagegen in den Regalen liegen.

Die Schulterklappe

Da kommt's her: Thomas Burberry führte die Lasche zwischen Hals und Ärmelnaht auf Mänteln für britische Bodenstreitkräfte ein. Während des Ersten Weltkriegs wurden daran Gewehrriemen und Rangabzeichen befestigt.

So wurde es Mode: Als Humphrey Bogart solch einen Trenchcoat im Film "Casablanca" (1942) trug, wollten plötzlich alle einen haben. Das kleine Stückchen Stoff auf der Schulter gibt es seitdem aber nicht nur auf Oberbekleidung. Marken wie Lanvin oder Vivienne Westwood verzieren damit Pullover, Blazer und Hemden. Und seit 2001 liefert Christopher Baily, Kreativdirektor und CEO von Burberry, mit Luxusversionen der "Prorsum"-Linie jede Saison eine Neu-Interpretation: mit Nieten, Leder, oder Ponyfell.

Was daraus geworden ist: Für den Modekenner gehört die Schulterklappe nach wie vor auf den Trenchcoat, aber nirgendwo sonst hin. Er trägt ihn vorzugsweise auf dem Weg ins Büro über seinen Anzügen. Das ist gut so, um nicht zu formell, aber immer noch gestärkt daherzukommen. Fashion-Victims ist das natürlich viel zu langweilig. Sie wollen eine Luxusversion. Die ist jedoch so ausgefallen, dass sie allenfalls auf eine Abendveranstaltung passt.

Der Absatz

Da kommt's her: Persische Krieger zimmerten sich zu Zeiten der Völkerwanderung einen kleinen Haken unter ihre Reitstiefel, um bei einem Angriff von Feinden nicht aus dem Steigbügel zu rutschen. Der Schuh mit "Stöckel" wurde damit tatsächlich nicht nur von Männern erfunden, sondern auch von ihnen getragen.

So wurde es Mode: Sonnenkönig Ludwig XIV. ließ sich 1701 von Hyacinthe Rigaud in weißen Strumpfhosen und Sandalen mit hohen, roten Lackhacken porträtieren. Unter Adelsvertretern war dieser Look männlich: Je höher der Absatz, desto stärker demonstrierten sie ihre Macht. Nach der Französischen Revolution beanspruchten jedoch die Frauen den Absatz für sich. Daran konnte auch Rick Owens nichts mehr ändern, als er 2010 den High-Heel für Männer erneut etablieren wollte.

Was daraus geworden ist: Schuhe, die mehr als 2,5 Zentimeter Absatz unter der Sohle haben, verpönt die Modewelt gern als "Ego-Pusher" - siehe Prince oder Nicolas Sarkozy. Dagegen helfen auch keine Absätze, die vom Obermaterial kaschiert werden, um die Erhöhung des Trägers zu vertuschen. Wer Stil beweisen will, trägt flach - selbst dann, wenn einem die eigene Frau in Stilettos über den Kopf zu wachsen droht.

Da kommt's her: Franzosen schauten sich den Halsbinder um 1660 bei kroatischen Söldnern ab - "à la cravatte" bedeutete zu dieser Zeit umgangssprachlich "nach kroatischer Art". Der Grund war simpel: Mit dem Tuch konnte der damals noch knopflose Kragen verschlossen werden.

So kam es in die Mode: Innerhalb der nächsten zehn Jahre etablierte sich das Accessoire in vornehm-gedeckten Farben auch im zivilen Bereich. Ralph Lipschitz, heute bekannt als Ralph Lauren, entwarf 1967 extrabreite Modelle mit bunten Mustern. Ein Anzug gilt seitdem erst mit der richtigen Krawatte als perfekt. Eigentlich stillte der Ex-Verkäufer damit nur einen Wunsch, den seine Kunden schon länger hatten. Und legte so den Grundstein für ein Unternehmen, dessen Markenwert heute über 4,5 Milliarden US-Dollar liegt.

Was daraus geworden ist: Für deutsche Politiker, Vorstandsmitglieder, Bank- und Versicherungsangestellte ist die Krawatte im Job Pflicht - und deswegen in den meisten Fällen auch lästig. Freiwillig, wie in Italien oder Frankreich, wird sie hierzulande deswegen auch nur noch selten getragen. Eigentlich ist das schade, weil sie, mit Leidenschaft gebunden, einen Mann um Klassen besser macht.

Die Cargo-Tasche

Da kommt's her: Erstmals wurde sie in den Dreißigerjahren auf Canvas-Hosen von englischen und amerikanischen Fallschirmjägern angebracht. So konnte die Ausrüstung vor dem Absprung aus dem Flugzeug um Zusatzmunition und einen Empfänger aufgestockt werden.

So wurde es Mode: Anhänger des Hip-Hop und der Rave-Bewegung griffen die "Combats" vor zwanzig Jahren auf. Sie verstauten darin alles, was bei der neuen Streetwear nicht fehlen durfte: Handys, Basecaps und sogar ihre Pillen. In die High Fashion holten sie daraufhin Dolce & Gabbana und Chanel. Etwas in ihren Versionen aus hauchzarter Seide oder sündteurem Tweed mit sich herumzutragen, galt aber natürlich nicht mehr als schick. Seit das französische Haus Balmain 2006 einem Relaunch unterzogen wurde, sitzen die Taschen dort regelmäßig auf hautengen Röhrenjeans.

Was daraus geworden ist: ein Dorn im Auge der Stilpresse. Noch heute bepacken Männer die Beutel in Oberschenkelhöhe gern mit allem, was sie so finden können. Die Tatsache, dass die Hosenbeine dann aber wie nasse Säcke einfach nur baumelnd herunterhängen, wird von ihnen wegen des viel wichtigeren Nutzwerts in aller Regel außer Acht gelassen. Leider.

© SZ vom 16.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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