Fashion-Elite:Die Marke, das bin ich!

Sie sind die hübschen, verzogenen Kinder der Modeblogger: "Social Models" wie Veronika Heilbrunner etablieren sich als neue Berufsgruppe im Fashion-Zirkus.

Von Jan Kedves

Tippt man den Namen Veronika Heilbrunner bei Google ein, schlägt einem der Vervollständigungs-Algorithmus als ersten zusätzlichen Suchbegriff das Wort "Blog" vor. Blog? Veronika Heilbrunner ist - so betont sie selbst - keine Modebloggerin. Warum steht das Wort an Platz eins der Liste? Vermutung: Viele Leute haben gehört, Heilbrunner sei die erfolgreichste deutsche Modebloggerin, was ein Missverständnis ist, aber Missverständnisse halten sich ja gern, und so gingen sie per Google auf die Suche. Sie fanden keinen Blog, landeten aber auf Heilbrunners Instagram-Profil ("Insta" ist neben "Blog" die zweitpopulärste Google-Ergänzung ihres Namens). Auch so ist Heilbrunner wieder ein Stückchen bekannter geworden.

Klingt kompliziert? Nicht, wenn man das Heilbrunner-Prinzip verstanden hat. Die 34-Jährige reist um die Welt ("die Hälfte des Monats bin ich unterwegs"), schaut sich Modenschauen und Showrooms in Paris, London, New York, Mailand an. Dabei macht sie Fotos von sich und Kleidern, Taschen, Schuhen. Die postet sie auf Instagram, wo ihr aktuell 64 000 Fans folgen und wo jedes Bild durchschnittlich 800 Herzchen bekommt.

Im internationalen Vergleich ist das eher wenig, aber für eine Deutsche ist es viel. Wo sie auftaucht, wird sie abgelichtet, von den Street-Style-Fotografen, die bei den Modewochen vor den Zelten herumlungern und dokumentieren, dass das Publikum so ausgewählt crazy gestylt ist wie die Models auf dem Laufsteg. Ja, Heilbrunner sieht gut aus und hat ein Händchen für Kombinationen, sodass sich dort, wo die Street-Style-Fotos von ihr dann auftauchen - etwa auf dem Blog der berühmten Französin Garance Doré - gut darüber staunen lässt: Oh, sie trägt ein Blümchen-Flatterkleid von Valentino und darüber einen wuchtigen Shearling-Wintermantel von Acne, eine Schulter guckt raus - ist das nicht zu kalt? An den Füßen weinrote Chucks: Haute Couture und Grunge-Stil!

Hübsch und verzogen

Heilbrunner gehört zur jungen Berufsgruppe der "Social Models", die man als die hübschen, verzogenen Kinder der Modeblogger bezeichnen könnte. Von den Modebloggern hieß es vor zehn Jahren hoffnungsvoll, sie würden den Modejournalismus mit ihrer kecken, kritischen Schreibe revolutionieren und früher oder später Anna Wintour, die Chefredakteurin der amerikanischen Vogue, aus der Front Row verdrängen - was dann doch nicht passierte. Weil kritische Blogger nicht mehr eingeladen wurden oder so lange mit Goodie-Bags gepampert wurden, bis sie alles nur noch toll, toll, toll fanden.

So begann das Zeitalter der Social Models, die das eigene Modeinteresse und Glamourstreben permanent in den sozialen Netzwerken teilen, mit radikalem Fokus auf die eigene Person, dafür mit wenig Text. Schlanker Inhalt, Überaffirmation von Luxus. Man muss sehr gut aussehen, um Social Model zu sein, klar.

Beim Treffen zu einem kleinen französischen Frühstück in einem schicken Café am Berliner Ku'damm - morgen wird sie wieder zu Schauen nach Paris fliegen - erzählt Heilbrunner, sie habe mit Modeljobs angefangen, in Mailand und Kapstadt. Mit 1,86 Metern sei sie aber zu groß gewesen fürs Modeln. Stattdessen fing sie in München als Moderedakteurin bei Jolie und Freundin an. Dann kam das Angebot, bei mytheresa.com, dem Münchner Luxusmodeversand, als "Senior Fashion Editor" zu arbeiten. Was genau machte sie da? "Newsletter-Marketing, und ich habe kleine Modestrecken produziert. Das hat Spaß gemacht."

Es folgte der Ruf nach Berlin, wo sie 2014 für ein Jahr zurück auf die Seite des Journalismus wechselte, als "Style Editor" bei der deutschen Harper's Bazaar. "Da habe ich dann aber gemerkt, dass mein Herz nicht an einem langsamen Print-Titel hängt", sagt sie. "Die Modestrecken dort werden drei Monate im Voraus produziert und liegen dann fertig in der Ecke. In der Zwischenzeit kommen andere Magazine mit genau den gleichen Ideen und den gleichen Outfits, und man denkt sich nur: Oh Mann!" Heilbrunner kündigte, machte sich selbständig - und sich selbst zur Marke.

Zwei Menschen halfen ihr dabei. Julia Knolle und Justin O'Shea. Knolle ist in der deutschen Modeszene ein Name, seit sie 2007 gemeinsam mit Jessica Weiß LesMads.de gründete, eine Zeit lang der populärste deutsche Modeblog, der von Burda unterstützt und dann übernommen wurde. Danach kam Knolle zur deutschen Vogue, deren Online-Auftritt sie auffrischte. Gemeinsam mit Knolle gründete Heilbrunner Anfang letzten Jahres die Heilbrunner Knolle GmbH, die sich um ihre Vermarktung als Social Model, Fashion-Expertin und Stylistin kümmert.

Profi der Selbstvermarktung

Mit ihrem anderen Helfer, Justin O'Shea, ist sie zusammen: ein vom Vollbart bis zum Knöchel tätowierter Australier, der bei Heilbrunners früherem Arbeitgeber my-theresa.com, der seit 2014 zur amerikanischen Nobelkaufhauskette Neiman Marcus gehört, Chefeinkäufer ist. O'Shea entscheidet darüber, welche Kollektionen sich in der nächsten Saison wohl gut verkaufen werden. Das ist an sich noch nicht sehr glamourös, aber als Profi der Selbstvermarktung hat er es geschafft, zu einer neuen Celebrity in der Modewelt zu werden, ein männliches Pendant zum It-Girl, wenn man so will.

O'Shea trägt fast immer perfekt geschneiderte Dreiteiler, dokumentiert seinen Alltag während der Modewochen auf Instagram (73 000 Follower), genauso wie seine Crossfit-Sessions, bei denen er sich noch das letzte Gramm Körperfett abschwitzt. O'Shea und Heilbrunner, das ist ein Power-Couple, wie es die deutsche Modewelt noch nicht gesehen hat - ein Kurzschluss aus Schönheit, Sex, High-Fashion-Glamour und Business, mit direktem Link zum Bestell-Button sozusagen.

Wenn Heilbrunner Arm in Arm mit O'Shea zu einer Modenschau läuft, blitzen die Street-Style-Fotografen also umso doller. Währenddessen kümmert sich in Berlin Julia Knolle um die Strategie. Teil dieser Strategie ist ein eigenes Online-Magazin mit dem Titel Hey Woman!, das sich an die "junge Frau ab 30 im Netz" richtet. Hier schreibt Heilbrunner, neben anderen Autorinnen, kleine Texte über ihre aktuellen Lieblings-Kleidungsstücke und ihre Assoziationen dazu, meist etwas gehetzt und ohne Bindestrich: "David Hamilton Romantik", "Dekolleté Situation", "Pyjama Hose".

Modeblogger ist jetzt ein Schimpfwort

Ist sie also doch irgendwie Modebloggerin? "Nein", betont Heilbrunner. Wobei dieses "Nein" viel damit zu tun hat, dass "Modeblogger" in den letzten Jahren zum Schimpfwort geworden ist. Jeder wollte irgendwann Modeblogger sein, weil das kreatives Prestige versprach, so wie vorher DJ oder Kurator. Aber die interessanten Blogs, die eine eigene Perspektive auf das Modegeschehen boten, mit einem Reflektionsgrad, den man in klassischen Modemagazinen eher nicht bekam, gingen bald unter in einem Meer schlecht gemachter Kopien. Einige wurden eingestellt, andere wandelten sich.

Stil in Berlin etwa, vor zehn Jahren als Street-Style-Blog von Mary Scherpe gegründet, ist inzwischen eine Art kulinarischer Imbissführer mit politischer Note. Über den hippen Burgerbrater in Kreuzberg wird hier genauso berichtet wie über die Lage der Flüchtlinge vor dem Lageso. Auch die Amerikanerin Tavi Gevinson alias The Style Rookie, 2008 im Alter von elf Jahren als jüngste Modebloggerin für ihre fundierte Schreibe weltweit bestaunt, hat ihre Interessen diversifiziert und denkt nun genauso über künstliche Intelligenz und Computerspiele nach. Social Models stehen eher für die gegenteilige Entwicklung: totale Konzentration auf das Luxussegment der Mode. Damit lässt sich Geld verdienen. Viel Geld.

Das amerikanische Branchenmedium Women's Wear Daily rechnete Anfang Januar vor, als Social Model könne man inzwischen Millionen verdienen. Innerhalb der letzten eineinhalb Jahre habe sich die Summe, die man von einem Hersteller für das Posten eines Bildes eines seiner Produkte fordern könne, verfünffacht. Die Italienerin Chiara Ferragni, die unter dem Namen The Blonde Salad auf Instagram 5,4 Millionen Follower hat, kassiert pro gesponsertem Bild zwischen 5000 und 25 000 Dollar. Inzwischen hat sie einen offiziellen Werbevertrag, lacht in Anzeigen für einen Hersteller von Haarpflege-Produkten und designt eine eigene Schuhlinie.

Eine Loewe-Tasche, die sie postete, kostet 1800 Euro

Auch Heilbrunner hat Verträge, die in der Regel als "Zusammenarbeit" bezeichnet werden, das klingt neutraler. Unter anderem kooperiert sie mit dem Pariser Luxuslabel Chloé, das sie, wie sie betont, "schon immer sehr toll" fand. Wie hoch dotiert ihr Chloé-Engagement ist, möchte sie lieber nicht verraten, aber der Frequenz nach zu urteilen, mit der Chloé-Produkte in ihrem Instagram-Feed auftauchen, kann es nicht wenig sein. Auch postet sie regelmäßig Produkte von Valentino, Prada, Acne und der Schuhmarke Aquazzura. Vermutlich fließt auch hier Geld, oder die Firmen überlassen ihr die Produkte. Eine Barcelona-Bag von Loewe, wie Heilbrunner sie Anfang Januar als "Editor's Pick" gepostet hat, kostet 1800 Euro. Da kommt einiges zusammen.

Bei der Kennzeichung solcher Kooperationen müsse man Regeln einhalten, sagt Heilbrunner: "Da gibt es in Deutschland ein Gesetz." Allerdings muss man, als man nach diesem Treffen noch einmal auf ihr Instagram-Profil und auf Hey Woman! schaut, nach Hinweisen wie "In Zusammenarbeit mit . . ." oder "Wir danken . . ." lange suchen. Man sollte dies unbedingt fragwürdig finden, wobei man damit noch in Kategorien denken würde, die für Heilbrunner-Fans längst nicht mehr wichtig erscheinen.

Die Grenze zwischen Inhalt und Werbung war auch in gedruckten Modemedien schon immer eher fließend, siehe die klassische Fotostrecke oder die Liste der "Must-Haves" für die nächste Saison. Die Digitalisierung hat diese Grenze weiter erodieren lassen. Wenn heute Blogger unter einer Produktvorstellung einen sogenannten Affiliate-Link einbauen, der direkt zur Bestellfunktion in einem Online-Shop führt, dann erscheint das kaum noch als problematisch, sondern einfach nur: praktisch. Wenn über solch einen Link etwas geordert wird, bekommen Blogger zwischen 10 und 30 Prozent der Verkaufssumme.

Probleme mit ihren Zusammenarbeiten hat Heilbrunner bislang höchstens zu Hause: Als sie Ende letzten Jahres als "Chloé-Girl" eine Ski-Kollektion bewarb, die es nur beim Luxus-Versandhandel Net-A-Porter zu bestellen gab, sorgte das nicht für Knatsch mit ihrem Freund? Heilbrunner lacht und bestätigt, ja, Justin O'Shea habe es "nicht so gut" gefunden, dass er die Kollektion bei mytheresa nicht habe verkaufen können. Es würde insofern nicht wundern, wenn es demnächst eine eigene Heilbrunner-Kollektion bei mytheresa gäbe. Doch Heilbrunner ist sich unsicher: "Braucht die Welt wirklich noch eine neue Kollektion? Keine Ahnung."

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