Essen und Trinken:Schüsselmomente

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Von der Liebe zur Landwirtschaft, einer missglückten Aspikbombe und der zauberhaften Erika aus der Pâtisserie: Neun Spitzenköche erzählen.

Von Anne Goebel, Marten Rolff und Josef Wirnshofer (Texte) sowie Sead Mujić (Illustrationen)

Erfolgreiche Köche sind heute Stars, die über rote Teppiche schreiten, edle Produktlinien vermarkten, auf Events ihre Bücher vorstellen, als handle es sich um Hochkaräter. Bei allem Hype wird fast vergessen, was eigentlich die Grundlagen des Kochens sind. Naturverbundenheit etwa, die Liebe zu Rohstoffen, und die Bereitschaft zur Arbeit mit den Händen. Neun Spitzenköchinnen und -köche erzählen von ihren Anfängen und dem einen großen Schlüsselmoment - ihrem Entschluss, ihr Berufsleben am Herd zu verbringen.

Vincent Klink

(Foto: N/A)

"Mach dein Brett vor dem Kopf zur Waffe und schnitze einen Kochlöffel draus - diese Erkenntnis überzeugte mich zeitig. Mir blieb auch gar nichts anderes übrig. In eine Akademikerfamilie hineingeboren zu sein und das Abitur nicht zu packen? Solcherart Pubertät ist kein Zuckerschlecken. Hotelfach war der Rettungsanker, um den Ruf der Familie zu wahren. 'Du musst ein guter Koch werden', träumte mein Vater von den Meriten französischer Dreisterneköche. Er kannte sich aus und hatte seine Zunge bereits bei Paul Bocuse trainiert. 'Ein guter Koch zu sein, ist das Schönste auf der Welt', rief er, 'aber ein mittelmäßiger Koch, der eine Altölfritteuse bedient und seinen Gerichten die letzte Ölung gibt? Das, mein Bub, ist das Schrecklichste, was man sich vorstellen kann. Also werde ein guter Koch!'

Damit war mein Schicksal besiegelt, ich geriet unter die Pfannen eines Meisterkochs im Badischen, der seine Vorstellung von gutem Betriebsklima als Militärkoch in der Nähe Adolf Hitlers trainiert hatte. So bekam ich mühsam ein zähes Fell, das es mir erlaubte, im berühmten Restaurant 'Humplmayr' in München die Grande Cuisine zu erlernen. Es war die Zeit, als es noch keine Starköche gab, sondern echte Stars, die Messlatte der Ansprüche hing höher. Es gab Tage, da hackten wir 60 Hummer bei lebendigem Leibe mitten durch, um sie auf den Grill zu werfen. Es war die Zeit, als München Weltstadt war und sich die Hautevolee noch nicht vor dem Finanzamt Richtung Monaco verzupft hatte. Curd Jürgens parkte seinen Bentley unter unser'm Küchenfenster, und wir Küchenknechte konnten beobachten, wie Aga Khan, die Begum, Soraya und andere einschwebten.

Ich wollte aber nie Koch, sondern Maler, Bildhauer oder wenigstens Grafiker werden. Kurzum, die verdammte Küchenfron musste ein Ende finden. Ich lieferte der Münchner Akademie der Künste eine Arbeitsmappe ab und bekam positiven Bescheid. Enthusiasmiert gedachte ich beim Feinköstler Käfer anzuheuern, als Nebenjob. Das Vorstellungsgespräch beim Personalchef des Caterers gipfelte im Desaster. Ich erläuterte der Lederhosen-Riesenwampe meine Karrierepläne: Tagsüber Kunst, abends Partys bekochen. Der Falstaff unterbrach mein Bewerbungsgestammel: 'Kunst! Kunst??' Er schrie wie ein Ochs und steigerte sich zum finalen Prädikat: 'Arschloch'. Er warf mich aus der Bude, ich wankte den kurzen Gang entlang, den ein Papagei mit bösem Blick überwachte. Ich drückte mich an dem Vieh vorbei, und dieser Finsterling krähte mich mit unglaublicher Lautstärke an. 'Arschloch, Arschloch!' Ich war dermaßen demoralisiert, dass ich brav ins 'Humpl' zurückkehrte. Der Papagei auf der Stange hatte bewirkt, dass ich meinem Beruf bei der Stange blieb."

Der Schwabe Vincent Klink, 68, gehört zu den bekanntesten deutschen Köchen, bereits in den Neunzigerjahren war er im Fernsehen präsent ("ARD-Buffet"). Sein Restaurant "Wielandshöhe" in Stuttgart trägt einen Stern. Klink schreibt Bücher, malt und zeichnet auch und war Herausgeber verschiedener Magazine ("Häuptling eigener Herd"). Als einziger Koch hier ist er auch Autor seines Protokolls.

Elena Arzak

(Foto: u)

"Ich bin als Kind von Gastronomen aufgewachsen, das hat mich natürlich beeinflusst. Aber ich erinnere mich genau an den Moment, als ich wirklich wusste: Ich will Köchin werden. Es war im Sommer, ich war vielleicht elf Jahre alt. Meine Schwester Marta und ich verbrachten während der Ferien jeden Tag ein paar Stunden im Restaurant meiner Eltern. Alle waren in der Küche beschäftigt, Vater, Mutter, meine Großmutter, die Tante, ich liebte diese Dynamik. Und wie Kinder sind, wir wollten mitmachen. 'Darf ich helfen?', fragten wir. Und durften Zwiebeln schneiden, Kräuter zupfen, den Tintenfisch waschen. Ich stand also in meiner Ecke, mit einer Arbeit beschäftigt, und an mir vorbei wurden die Gerichte ins Restaurant getragen. Das war nichts Neues für mich, aber plötzlich kam mir das vor wie Magie. Wie aus dem Rohmaterial, den Dingen, die ich selbst in der Hand hatte, etwas werden konnte, das so wunderbar auf dem Teller aussah! So harmonisch, so, wie soll ich sagen, sophisticated. Der Unterschied zwischen den Zutaten und dem Ergebnis erschien mir rätselhaft. Ich fand das hochinteressant und beschloss: Das will ich auch machen."

Die Spanierin Elena Arzak, 48, ist eine der wenigen Köchinnen an der Weltspitze. Sie führt das legendäre Drei-Sterne-Restaurant "Arzak" im baskischen San Sebastián mit ihrem Vater Juan Mari Arzak.

Konstantin Filippou

(Foto: u)

"Ich wollte immer schon Koch werden, weil ich mit besonderem Essen aufgewachsen bin. Mein Vater ist Grieche, meine Mutter Österreicherin, beide haben gerne gekocht. Diese Küchen miteinander zu fusionieren, steckt tief in mir drin. Es ist so etwas wie die Essenz meiner eigenen Geschichte. Die wird an einem Lieblingsgericht meiner Kindheit deutlich: Bei uns gab es den klassischen Karfiol, also Blumenkohl mit Butterbröseln, nur waren es Brösel mit Öl, Oliven, Zitrone. Ich habe die Kochbücher meiner Urgroßmutter geliebt, mit Bildern von den wunderbaren Mehlspeisen - und im Sommer auf der Chalkidiki war ich mit dem Großvater in der Früh beim Fischen und habe daheim in Graz noch den Geschmack von Oktopus auf der Zunge gehabt. Beim Kochen fühle ich mich beiden Welten nah. Und ich empfinde eine große Freiheit, sie zusammenzubringen."

Der Sternekoch Konstantin Filippou, 37, geboren in Graz, serviert in seinem Wiener Restaurant "Konstantin Filippou" mediterran-österreichische Gerichte wie pochierte Makrele mit Kren.

Andreas Caminada

(Foto: u)

"Es mag ungewöhnlich klingen, aber ich habe mich nach einem einwöchigen Schulpraktikum entschieden, Koch zu werden. Mit 13. Meine Familie hat mit Gastronomie nichts zu tun. Meine Mutter hat sehr gut gekocht, aber Essen war eher Mittel zum Zweck, zu Hause gab es typische Graubündner Regionalgerichte. Wie genau es zur Idee mit dem Praktikum kam, weiß ich nicht mehr, nur dass ein Nachbarsjunge schon in dem Vier-Sterne-Hotel gewesen war. Mit 13 hatte ich natürlich keine Ahnung, was man da macht. Ich habe am Buffet geholfen, ein bisschen die Teller verziert, nichts Großes. Aber die Leute haben mich fasziniert. Eine tolle Atmosphäre! Sehr international, alle trugen weiße Kochuniform und waren extrem nett zu mir. Besonders Erika aus der Pâtisserie. Es war so nett, dass ich vier Jahre später genau in dem Hotel anfing. Eigentlich verrückt, wie man Entscheidungen trifft. Was Stimmung ausmachen kann! Heute denke ich manchmal, wenn die nicht so freundlich gewesen wären, hätte mir Kochen vermutlich gar nicht gepasst. Der Küchenchef war in der Lehrzeit dann schon anders, er konnte richtig laut werden. Dafür bin ich ihm im Nachhinein dankbar. Heute kommen manchmal Köche zu mir, die sind 30 und überhaupt nicht belastbar. Wer bis dahin noch nie unter die Räder gekommen ist, für den ist es fast zu spät, denn ein bisschen Ausdauer und Durchsetzungsvermögen braucht es schon in der Küche."

Der Schweizer Andreas Caminada, 40, ist Pächter und Küchenchef des Gourmetrestaurants im Hotel "Schloss Schauenstein" (drei Michelin-Sterne) in Graubünden, das regelmäßig unter die besten Restaurants der Welt gewählt wird.

Eckart Witzigmann

(Foto: u)

"Dass ich Koch geworden bin, hat zuerst einmal mit meinen Genen zu tun. Mein Großvater, der Onkel, ein Cousin - alle Bäcker oder Konditoren aus der Familie meines Vaters aus Hohenems in Vorarlberg. Dort war ich oft in den Ferien, den Geruch der Backstube habe ich noch heute in der Nase. Zu Hause in Bad Gastein hat die Mutti gekocht, sie war eine ausgezeichnete Köchin, und mein Vater war ein anspruchsvoller Esser. Er liebte Fisch, zu Weihnachten nur das beste Gebäck - Essen hat eine große Rolle gespielt bei uns. Dazu die Naturverbundenheit, wir haben Schwarzbeeren gepflückt, aus frischen Tannenwipfeln wurde ein Sirup angesetzt. Das alles hat mich geprägt. Das Schneidergeschäft meines Vaters wollte ich jedenfalls nicht übernehmen, mich haben in Bad Gastein die Küchen der Hotels viel mehr interessiert. Bei der 'Krone' konnte man im Sommer auf dem Weg zum Schwimmbad durch die vergitterten Fenster sehen. Da bin ich oft gestanden und habe dem Treiben zugeschaut. Einmal, ich muss 15 Jahre alt gewesen sein, habe ich den Koch beobachtet, wie er eine Aspikbombe aufschichtete, gefüllt mit Schinkenmus. Erbsen, Bohnen, Karotten in Aspik, immer schön eins nach dem anderen. Faszinierend, so etwas hatte ich noch nie gesehen, und es war einer der Momente, in denen mir klar war: Das ist genau das, was ich später machen möchte. Das sagte ich auch dem Koch, der mich am Fenster entdeckte und erklärte, er habe gerade eine Lage Erbsen vergessen. Da ich das nicht bemerkt hatte, meinte er: 'Aus dir wird nie ein guter Koch.'"

Der Österreicher Eckart Witzigmann, 76, gilt als einer der besten Köche unserer Zeit. Er führte die Nouvelle Cuisine in Deutschland ein und entwickelte sie weiter. Der Gault Millau verlieh ihm den raren Ehrentitel "Koch des Jahrhunderts".

Peter Frühsammer und Sonja Frühsammer

(Foto: u)

Peter: "Es gab tatsächlich den einen magischen Moment, da war ich sechs Jahre und kochte mit meinem Opa in seinem Landgasthof auf der schwäbischen Alb. Es war Kirchweih und es gab natürlich Rehbraten. Auf dem holzbefeuerten Ofen wurde der große Bräter heiß. Mein Opa tupfte das Fleisch trocken und legte es in die Pfanne. Dazu ein großes Stück Butter, es schäumte auf, wurde braun und roch nach Nüssen. Meine Oma schimpfte kopfschüttelnd: 'Immer mit der rechten Butter.' Es gab zum Gasthaus auch eine Metzgerei und Schmalz im Überfluss. Aber mein Opa bestand auf der 'rechten' Butter, und das hat man geschmeckt. Ich habe meinen Opa vergöttert und ihm an seinem Grab, er starb bald nach diesem Erlebnis, versprochen, dass ich Koch werde. Noch heute, wenn ich mal wieder mit Sonja in der Küche stehe und ein Stück Wild in die Pfanne lege, gibt es das Stück Butter dazu im Andenken an den Opa. Ich liebe den Beruf des Kochs immer noch, auch wenn meine Frau mich mit ihrem Talent und Fleiß überflügelt hat."

Sonja: "Wir waren zu Hause in Berlin drei Schwestern, und weil meine Mutter berufstätig war, mussten wir mittags reihum kochen. Wir haben Geld bekommen, um Zutaten zu besorgen, und klar, manchmal gab es dann eben Gouda mit Brot. Aber ich habe gern Dinge ausgetestet, zum Beispiel, wie man eine leckere Tomatensoße hinbekommt. Bisschen Zucker dazu oder etwas mehr Öl - damals hat man so was nicht gegoogelt, sondern ausprobiert. Ich habe dann Mathematik und Sport fürs Lehramt studiert, aber viel mehr faszinierte mich mein Studentenjob in der Kantine eines Konzerns. Der französische Küchenchef, Charles, hat toll gekocht - nichts von wegen Mampfküche mit Tiefkühl-Buletten oder Milchreis. Charles fand ich cool. Er riet mir ab, Köchin zu werden, das sei zu anstrengend. Aber es hatte mich längst gepackt. Ich bekam Lust zu lernen, wie man immer noch ein Stückchen besser wird."

Sonja Frühsammer, 48, steht als einzige Sterneköchin der Hauptstadt am Herd von "Frühsammers Restaurant". Ihr Mann Peter Frühsammer, 58, der schon in den Achtzigern einen Stern in Berlin erkochte, ist dort Sommelier.

Harald Irka

(Foto: u)

"Meine Eltern und meine Großmutter wussten lange vor mir, dass ich Koch werde. Denen habe ich früher immer in der Küche geholfen. Später habe ich für mich und meinen Bruder gekocht, weil meine Eltern berufstätig waren. Als ich ungefähr 14 war und es langsam darum ging, was ich später mal machen will, meinten sie: Koch würde doch passen. Eigentlich haben sie recht, dachte ich, warum nicht? Wirklich klar war meine Entscheidung, als ich zum ersten Mal den Apfelstrudel meiner Oma gebacken habe. An sich ein ganz klassischer Apfelstrudel. Aber es fängt schon an, wie die Oma früher die Äpfel aus dem Garten geholt hat. Wie sie den Teig geknetet und über den ganzen Tisch ausgezogen, wie sie den Strudel im Holzofen gebacken hat. Bis heute mein absolutes Lieblingsessen. Ein sehr einfaches Gericht. Aber so, wie sie ihn macht, kann das, glaub ich, keiner."

Der Österreicher Harald Irka, 26, gilt als eines der größten Kochtalente seiner Generation. Er ist weitgehend Autodidakt und wurde bereits 2012, mit 21 Jahren, Küchenchef des Restaurants "Saziani Stub'n" in Straden in der Steiermark.

Harald Wohlfahrt

(Foto: u)

"Ich bin auf einem sogenannten Zuerwerbshof aufgewachsen, wir lebten mit meinen Großeltern, meine Eltern waren schon keine richtigen Bauern mehr. Mein Vater arbeitete in der Industrie, meine Mutter war Hausfrau. Aber ich war als Kind viel in der Natur, und wir hatten jedes Jahr eine Hausschlachtung. Das Wursten, das Trocknen von Schinken oder die Gemüseernte - all das war mir vertraut. Ich habe als Junge davon geträumt, den Hof weiterzubetreiben, aber in den Siebzigerjahren wurde die Zuerwerbslandwirtschaft unrentabel, wir mussten schließen. Ich war damals 15 und sehr traurig. Mir war klar, dass ich mit den Produkten der Natur weiterarbeiten wollte. Deshalb bin ich Koch geworden. Die Küche hatte einen gewissen Stellenwert bei uns zu Hause, und die Rollen waren klar verteilt. In der Woche kochte meine Mutter, am Wochenende mein Vater, der ein guter Hobbykoch war. Bei ihm gab es den Sonntagsbraten, für den sich die ganze Familie um den Tisch versammelte, und er hatte stets das alleinige Regiment in der Küche. Ich selbst hatte bis zum Alter von 15 noch nie gekocht. Ich wusste aber immerhin, dass ich praktisch veranlagt war und gut mit meinen Händen arbeiten konnte.

Ich habe dann einfach in der Küche eines namhaften Hotels im Nordschwarzwald angefangen. Mit Praktika und Ausprobieren war damals ja nicht viel, und Abbrechen kam nicht infrage, zu Hause hieß es: Was man anfängt, bringt man zu Ende. An mein erstes Gericht kann ich mich nicht erinnern. Ich war aber offenbar begabt, und ich mochte das Gefühl, Verantwortung geradezu an mich zu reißen. Es lief also gut, aber die Faszination kam erst später. Als ich entdeckte, wie neue Geschmacksbilder entstehen, wie man quer denkt, wirklich kreativ ist. Als ich zum Beispiel feststellte: Aha, in ein Gulasch kommen Fleisch, Zwiebeln, Tomatenmark, Rotwein - aber damit ist es ja nicht getan, damit fängt alles überhaupt erst an! Das war ein wunderbarer Moment."

Harald Wohlfahrt, 62, war bis vergangenen Juni Chef der legendären "Schwarzwaldstube" im Hotel Traube Tonbach in Baiersbronn, die seit 25 Jahren drei Michelin-Sterne hält. Seine Küche war die Kaderschmiede der Nation. Die Köche, die bei Wohlfahrt lernten, haben insgesamt 80 Sterne erkocht

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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