Design:Komm mal runter

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Endlich mal Zeit zum Nichtstun: Der "Anti-Energy-Drink" braucht genau eine Viertelstunde, bis er aus dem Fläschchen ins Glas geflossen ist. (Foto: PR)

Ein Getränk zum Entschleunigen, ein Handy, das nichts kann: Warum Designer mit ihren Entwürfen gerade auffallend häufig die Langsamkeit feiern.

Von Jan Stremmel

Das Gegengift für den Stress ist ein Milchshake. Er besteht aus "natürlichen Zutaten" und hat eine beruhigende Wirkung, kann man im Internet lesen. Aber im Grunde, und das ist das wirklich Interessante an diesem Drink, ist die Flüssigkeit fast schon egal. Wichtig ist lediglich die Zeit, die sie braucht, um von der Flasche ins Glas zu fließen: eine Viertelstunde. 15 Minuten Zeit, um die Fenster aufzumachen. Durchzuatmen. Mit geschlossenen Augen den Vögeln zu lauschen. Oder die Augen aufzulassen und sich ganz von dem meditativen Vorgang verschlucken zu lassen, wenn das dünne Rinnsal in Sanduhr-Manier aus dem Flaschentrichter gaaaanz laaangsam runter ins Glas milcht.

Das ist das Konzept. Entschleunigung statt immer nur Vollgas. Achtsamkeit statt Multitasking. Das Getränk namens "Slow" deckt also gleich mehrere Trendthemen ab, um die sich das städtische Wohlstandsbürgertum in den letzten Jahren angefangen hat, Gedanken zu machen. Das Gefühl, von der Gleichzeitigkeit der modern-vernetzten Welt allmählich überfordert zu sein, hat Yogastudios, Slow-Food-Messen und Radieschenbeete auf Mietshausdächern hervorgebracht. Aber selten wurde die Sehnsucht nach Verlangsamung so direkt in Produktdesign übersetzt wie hier, in der ultra-entschleunigten Flasche. Die Idee hinter dem "Anti-Energydrink" ist eine Art pädagogisches Konzept. Es stammt von dem polnischen Designbüro Opus B. "Wir wollten eine Verpackung gestalten, die ein neues Konsumritual hervorbringt", sagt eine der Entwicklerinnen. Und damit ist sie in der Designwelt keineswegs allein. Produkte, die das Leben ihrer Nutzer nicht etwa optimieren, sondern bremsen sollen, entstehen zur Zeit auffallend regelmäßig - und werden mit auffallend großem Hurra aufgenommen.

Ein Handy, das nicht mal SMS empfängt? Unpraktisch, klar. Aber pädagogisch wertvoll

Da wäre zum Beispiel das "Lightphone", ein neuartiges Mobiltelefon. Anfang dieses Monats wurde es unter großem Medienecho von einem New Yorker Studio vorgestellt. Es ist tatsächlich mit dem Ziel entworfen, möglichst wenig benutzt zu werden - sein größter Nutzen besteht quasi ex negativo darin, möglichst wenig Zeit zu fressen. Man kann mit dem Lightphone weder Apps nutzen noch E-Mails empfangen, weder SMS schreiben noch lesen, man kann nicht mal auf gespeicherte Nummern zurückgreifen. Man kann damit lediglich: telefonieren.

Unpraktisch, auf den ersten Blick nervig, aber mit gutem Hintergedanken und pädagogischem Ehrgeiz beladen ist auch das Projekt "Volume" der niederländischen Designerin Marije Vogelzang: Die bunten, organisch geformten Silikon-Objekte, groß wie Kinderfäuste, soll man allen Ernstes auf den Teller zwischen das Essen legen. Dadurch, so die Idee, wirkt eine kleine Portion optisch größer - man isst folglich weniger, dafür aber bewusster.

Eine Frage ist natürlich berechtigt: Braucht's das? Und die Antwort lautet selbstverständlich: Nein. Wer sich von seinem Handy terrorisiert fühlt, kann es ausschalten, wer weniger essen will, soll weniger essen, und wer eine Viertelstunde Pause machen und ein Glas Milch trinken will, braucht dafür nicht mehr als eine Uhr und 0,2 Liter Milch. Nicht umsonst ist der "Anti-Energydrink" kein marktreifes Produkt, er wird es vermutlich nie in auch nur einen Supermarkt schaffen das Lightphone immerhin lässt sich für 150 US-Dollar vorbestellen. Man muss die pädagogischen Designprodukte eher wie Konzeptkunst sehen: Was zählt, ist die Idee. Und wenn man die zu Ende denkt, braucht man weder die Flasche noch den Inhalt - sondern einfach mal wieder den Mut, eine Viertelstunde das Handy auszuschalten und tief durchzuatmen.

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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