Design:Die Wand, die wandert

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Altes Möbel, neue Räume: Schon die Chinesen nutzten vor 2000 Jahren Paravents. Jetzt erobern die so stilvollen wie wandlungsfähigen Raumteiler auch die Wohnung.

Von Max Scharnigg

"Von meinem Bett bis zu jener Tür hatte ich eine ungeheure spanische Wand stellen lassen, die das reizendste Kabinett verbarg, das ich je besaß. In diesem kleinen Boudoir befanden sich ein Sofa, Spiegel, tragbare Tische und einige Stühle." Nein, das ist kein Blog-Post. So beschreibt Katharina die Große einen Einrichtungstrick am Zarenhof, der sie 1757 vor der Depression im Wochenbett rettete. Wie schon beim ersten Kind, war ihr auch diese Tochter direkt nach der Geburt genommen worden, und Katharina musste die Tage bitterallein im gefürchtet zugigen Krankenlager verbringen - das dank der Spanischen Wand nicht mehr zugig war und ihr sogar dezente Teilhabe am höfischen Treiben erlaubte.

Was heute schnöde Raumteiler genannt wird, war schon damals ein altes Möbel. Die Chinesen hatten den Paravent vor mehr als 2 000 Jahren erfunden, bis in die Gegenwart erlebt er seine vollendete Anwendung in asiatischen Interieurs, die mit Papierwänden und Stellagen eine luftige Raumordnung erzielen. In europäischen Palästen dienten aufwendig verkleidete Paravents lange dazu, persönliche Verrichtungen ansatzweise zu verstecken und den Gemächern ein bisschen Privatsphäre und Struktur zu verleihen.

Ausladende Raumfluchten sind heute nicht mehr das Problem, trotzdem ist der Paravent ein gefragtes Möbel geblieben. Tatsächlich wächst der Raumteiler in immer neue Aufgaben hinein. So wechselte er bald nach Ende der adeligen Leitwohnkultur in ein weniger opulentes Umfeld, nämlich in die erste Blühphase des modernen Büros vom Ende der Fünfzigerjahre an. In dieser Epoche prägte der Paravent, eher ungewollt, die moderne Arbeitslandschaft, die der Designer Richard Probst mit seinem Action Office 1964 maßgeblich definiert hatte. Probst wollte das Büro eigentlich wandlos, dennoch hielten bald Trennwände Einzug, bis hin zu verpönten Cubicles.

Heute erlebt der Paravent sein Revival in Wohnräumen, die Design-Plattform Architonic listet allein für die vergangenen zehn Jahre hundert neue Entwürfe auf. Die mobile Wand zeigt, dass sie nicht große Räume klein machen kann, sondern auch zum Gegenteil taugt: Werden alte Grundrisse geteilt, entsteht neues Raumgefühl. "Permanente Raumteilungen passen nicht mehr zum Bedarf der Menschen. Ein Zimmer, besonders in der Großstadt, muss oft mehrere parallele Funktionen erfüllen", sagt Oscar Idstein vom schwedischen Familienbetrieb Ann Idstein. Seit Jahrzehnten produziert man hier Sichtschutz fürs Fenster, besonders die Jalousien aus Holz sind gefragt. Jetzt ist bei den Schweden als erstes Möbel ein Paravent im Programm, gefertigt aus Filzlamellen, leicht, wendig, gut gegen Schall und Nordwind, frei im Raum aufzustellen. Ein Schreibtisch wird damit morgens zum geschützten Home-Office. Später kann die Wand Bücherregal und Lesesessel vom Fernseher abtrennen, oder das Kinderbett von dem der Eltern. Wohnungsnot und flexible Lebensentwürfe verlangen eben nach flexiblen Wänden - gerade auch für Mieter, die sich mit nicht-invasiven Veränderungen beschränken müssen. Und je mehr sich die Designer damit beschäftigen, desto wohnlicher werden die Trennwände. Bevor man umzieht, lohnt also ein Versuch mit Paravents, das ist keinesfalls ehrenrührig, siehe Zarenhof.

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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