Der Schuhmacher:Gegen die Absatzkrise

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Bevor Francesco Russo ein eigenes Label gründete, arbeitete er bei Saint Laurent. Den Stil des Hauses erkennt man noch heute gut in seinen Entwürfen. (Foto: AP)
  • Der Designer Francesco Russo kreiert Schuhe mit hohem Absatz, die trotzdem bequem und elegant sind.
  • Schon früh entwickelte der Italiener seine Passion für Schuhe, studierte in Mailand Modedesign und sammelte Erfahrungen bei den Marken Costume National, Miu Miu und Saint Laurent. Besonders Letztere beeinflusst auch seine eigenen Kreationen.
  • Schuhe werden gerade das neue "It-Piece", heißt es, und auch Russo hat Erfolg. Doch der Designer ist skeptisch.

Von Stefanie Schütte

Schon einige haben uns die Erlösung versprochen. Von qualvollen Stunden, stehend auf zehneinhalb Zentimetern beim Cocktail verbracht, mühsam durchstöckelten Ausgeh-Abenden und brennenden Ballen nach einer durchtanzten Nacht.

Immer wieder versichern die gedrechselten Pressetexte diverser Schuhdesigner, dass die Kreationen ihres Hauses nicht nur schwindelerregend hoch, sondern auch komfortabel gestaltet seien. So richtig erläutern kann dies allerdings kaum jemand. Mit einer Ausnahme: Francesco Russo.

Bequem, hoch und trotzdem schick

Der Italiener sitzt in seiner im vergangenen Jahr eröffneten Boutique in der Nähe des Pariser Palais Royal und deutet auf das sogenannte Gelenk eines Pumps. Das ist der bei den meisten Schuhen verstärkte Teil zwischen Absatz und Spitze, der das Fußgewölbe trägt.

Wenn er besonders abgestützt werde wie bei seinen Modellen, erklärt er, rutsche die Trägerin nicht mehr nach vorne und habe folglich auch keine Schmerzen. Das sei pure Physik. "Es ist sehr einfach, bequeme hohe Schuhe zu machen. Man muss nur die Frauen lieben."

Klingt, als ob der Mann eine Art Gesundheitslatschen auf hohen Hacken fertige (was es im Übrigen auch schon gab), aber Francesco Russo hat in seinem Schuhdesigner-Dasein zahlreiche Ikonen der Eleganz kreiert. Schon Jahre bevor er im September 2013 sein eigenes Label gründete, erfand er bei Yves Saint Laurent zum Beispiel die Sandale "Tribute": einen Plateauschuh, der Sex und Klassik gekonnt verband und die Modewelt damals ziemlich aufregte.

Oder die Cage-Boots: Stiefeletten, die ein erotisches Netz über den Fuß spannten. Von 2008 an wirkte er zudem fünf Jahre lang als Chefdesigner bei Sergio Rossi und entwarf hier die fein geschwungenen "Chichi"-Pumps.

Francesco Russo negiert das gern auf Heels angewandte Diktum, dass, wer schön sein wolle, auch leiden müsse. Seine Cinderellas laufen sich keine blutigen Sohlen. Ein Satz wie der von Frankreichs Absatz-Maestro Christian Louboutin, dass hohe Schuhe eben nicht zum Darauf-Stehen, sondern zum Darin-Sitzen gemacht seien, spielt für ihn einfach keine Rolle.

"Ich will keine Namen nennen", sagt er. "Aber es gibt eine französische Marke, die Schuhe macht, die sehr schön aussehen, aber gegen die Anatomie des Fußes ausgerichtet sind." Die Modelle seien unbequem, weil der Fußbogen nicht harmonisch verlaufe, sondern allzu steil von der Ferse zum Absatz führe.

"Je höher der Absatz war, desto glücklicher war ich"

Da ist sie also wieder, die gleichmäßige Gewichtsverteilung, die dem 1974 geborenen Italiener so wichtig ist. Auch wenn Russo nie Architektur, sondern klassisches Modedesign studiert hat, wirkt er eher wie ein präzise planender Statiker denn wie ein abgehobener Kreativer. "Ich glaube, dass Schuhe generell näher an der Skulptur oder einer Art Mikro-Architektur liegen als an Kleidungsstücken", sagt er.

Letztere würden ihre endgültige Form erst annehmen, wenn sie angezogen werden. "Der Schuh hingegen hat schon per se eine dreidimensionale Form und muss zudem noch einen Körper tragen und dabei zulassen, dass sich dieser bewegen kann." Der 40-Jährige liebt solche Analysen. Er wirkt nüchtern, ziemlich strukturiert und gleicht äußerlich mit Brille und Dreitagebart einem der coolen italienischen Intellektuellen, die vor Berlusconis Bunga-Bunga-Ära das Land prägten.

Kaum zu glauben, dass dieser Typ früher heimlich die Schuhe seiner beiden älteren Schwestern angezogen hat. "Je höher der Absatz war, desto glücklicher war ich", erzählt Russo. Der Fetisch-Charakter von Schuhen ist ihm also schon mal durchaus nicht fremd.

Russo kommt aus einem kleinen Ort in der Provinz Foggia, dem Teil Apuliens, der, wie er sagt, "die reine Depression" ist. Die Mutter war Schneiderin und nähte in Heimarbeit in der Küche. Bis er sechs Jahre alt war und zur Schule gehen musste, verbrachte Francesco die meiste Zeit zu Hause bei ihr und vertrieb sich die Zeit damit, in einer Küchenecke die Titelbilder von Burda- oder Vogue-Heften anzumalen.

Wenn Frauen zum Anprobieren kamen, war er dabei. "Es kommt beim Abstecken immer der Moment, in dem die Kundin ihre hohen Schuhe anzieht", erzählt er. "Das hat mich unglaublich fasziniert." Dieser Augenblick gleiche einer Verwandlung, wie wenn die Raupe zum Schmetterling werde.

Schon mit 18 Jahren ging der Süditaliener nach Mailand, um Modedesign zu studieren. Die Passion für Schuhe blieb, erstreckte sich nun aber auch auf ihre Konzeption und Konstruktion. Schon bei seinem ersten richtigen Job, bei der damals angesagten Marke Costume National, schaffte es Russo aus der Stoffabteilung ins Designteam für Herrenmode.

Wenig später setzte er dem Costume-National-Gründer Ennio Capasa die Pistole auf die Brust, drohte mit Kündigung, sofern er nicht Accessoires machen dürfe. Capasa schlug ein. Russo entwarf für ihn Taschen, Gürtel, Handschuhe und schließlich Schuhe, um danach zur Prada-Gruppe zu wechseln, genauer zu dem Label Miu Miu.

Costume National, Miu Miu, Saint Laurent

Costume National und Miu Miu hätten ihm die Basis verschafft, seine eigene Designsprache habe er jedoch bei Saint Laurent entwickelt und verfeinert, sagt Russo rückblickend. Aus seinen eigenen Modellen kann man dies regelrecht herauslesen.

Sie sind feminin, mit der für Saint Laurent typischen leicht frivolen Erotik und zugleich standfest und klar. Auf groben Holzböcken stehend, sind sie in Russos elegantem Geschäft wie Kunstobjekte inszeniert: exzentrische Halbstiefeletten aus Krokodilhaut, klassische Pumps in Kalbsleder oder filigrane Riemensandalen aus Ziegenleder.

Die Modelle werden durchnummeriert und verweisen damit auf ein fortlaufendes Werk. Francesco Russo unterwirft sich nicht der Abfolge von Modesaisons. Seine Schuhe sollen als einzelne, aufwendig gefertigte Stücke dastehen - eher wie ein einzelnes Couture-Kleid denn wie ein supermodisches Konfektionsteil.

Wirklich auf Maß arbeitet er aber nicht. Dies ist, wie er erklärt, bei den heutigen industriellen Prozessen mit hoch spezialisierten Zulieferbetrieben schwer zu realisieren. Bei Herrenschuhen gebe es weniger verschiedene Komponenten, da sei echtes "Bespoke" noch machbar.

Schuhdesign ist in

Natürlich hat er die Leisten der Russo-Modelle speziell für sich entwickeln lassen. Die Kundinnen berät er zum Teil selbst. Das ganze Ambiente in Russos Geschäft ist auf Privatheit angelegt. Die Frauen, die in die Rue de Valois pilgern, können sich noch wie bei ihrem persönlichen Schuhmacher fühlen. Das könnte sich allerdings bald ändern.

Auch wenn Russo erst gute eineinhalb Jahre selbständig ist, hat er die Phase des reinen Geheimtipps hinter sich gelassen. Dafür bewegt er sich schon zu lange unter den Top-Designern und ist in Paris und Mailand zu gut vernetzt. Luxus-Gazetten wie die französische Vogue oder die amerikanische W haben längst über ihn berichtet.

Hinzu kommt, dass Schuhe gerade das nächste "It-Piece" werden. Die Star-Kritikerin Vanessa Friedman von der New York Times wartete schon im vergangenen Jahr mit der These auf, dass sie Handtaschen als das über ein Outfit entscheidende Accessoire der Wahl ablösen.

"It's going to be shoes, shoes, everywhere", schrieb Friedman und nannte dabei aufsteigende Schuhdesignernamen wie Tabitha Simmons, Charlotte Olympia oder Sophia Webster. Russos Marke war zu diesem Zeitpunkt noch zu jung, um dazuzugehören. Heute reiht sie sich jedoch unter diese Namen ein.

Francesco Russo - der nächste große Hype?

Seit Kurzem bietet nun auch der Luxus-Onlineshop mytheresa einige Modelle des italienischen Designers an. Olivia Palermo, für viele in der Branche das beste Beispiel für ein It-Girl, hat sie auf der letzten Pariser Modewoche rauf und runter getragen. Klingt tatsächlich schon mal ganz nach dem nächsten großen Hype.

Ob es ihm selbst allerdings guttäte, ist die Frage. Schließlich will Francesco Russo eines auf keinen Fall: Fashion-Victims anziehen, die sich in jeden gerade angesagten Schuh zwängen. Allein das Wort "it" könne er schon nicht leiden, sagt er, "dann drehe ich mich weg."

© SZ vom 21.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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