Naked Dresses:Die hat ja gar nichts an!

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Neben Rihanna und Beyoncé sehen neuerdings sogar Porno-Stars zugeknöpft aus. Wie konnte es nur so weit kommen?

Von Tanja Rest

Vor Kurzem gingen zwei Fotos auf Facebook rum. Die drei Frauen auf dem ersten Bild trugen strassbestreute, tief dekolletierte Abendroben. Die drei Frauen auf dem zweiten Bild trugen praktisch nichts. Die Frauen auf dem ersten Bild saßen in der Front Row der Porno Awards. Die Frauen auf dem zweiten Bild waren Jennifer Lopez, Beyoncé und Kim Kardashian beim Besuch der Met Gala.

So weit ist es jetzt also gekommen. Dass neben J.Lo, Kim und Beyoncé sogar die Porno-Stars schon zugeknöpft aussehen.

Wie genau konnte es so weit kommen?

Die aktuelle Welle der "Naked Dresses", wie das internationale Modevolk die transparenten Fummel nennt, hat wahrscheinlich Mister Sex persönlich losgetreten: Tom Ford, mit seiner Kollektion für Frühjahr/Sommer 2015, genauer: mit Look Nr. 29. Ein weißer, bodenlanger, schambeinhoch geschlitzter Rock, der die Hüften rechts und links unbedeckt lässt, und oben drangenäht - ja was eigentlich? Ein silbernes BH-Gerüst an mikroschmalen Trägerchen, das die Brüste selbst aber ausspart, sieht man von zwei auf die Brustwarzen applizierten Blüten ab.

Die Webseite Style.com, die sonst noch das dümmlichste Defilee zum Scoop hochjubelt, kam zu einem für ihre Verhältnisse beachtlichen Unentschieden: "Einige Zuschauer sahen eine dreiste, starke Sexbombe, die Männer in tausend Stücke sprengen könnte. Andere sahen das genaue Gegenteil: eine hilflose Marionette, ein Spielzeug für Männer mit Titan-Kreditkarte." Andere Kritiker senkten entschieden naserümpfend den Daumen. Bis Rihanna in Look Nr. 29 erschien.

Das war im Oktober, auf einer Aids-Gala in Los Angeles. Der Boulevard surfte jubelnd über seinen eigenen Sabber, klar. Aber die Modeleute? Nun ja, man findet die Superstars von heute womöglich noch ein kleines bisschen geiler als die Superklamotten von morgen, ließ also eine feine Auswahl der euphorischsten Adjektive auf Rihanna runterregnen. Style.com nannte den Auftritt "atemberaubend".

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Beyoncé ist der Star des Met Ball in New York und Rihanna führt vor, wie aufregend ein Mantel sein kann: Die US-Prominenz zeigt bei der Kostüm-Gala ihr liebstes Wettlaufen - um Aufmerksamkeit.

Einige Monate zuvor war die Sängerin sogar noch nackter aufgetreten, nämlich bei den Awards der amerikanischen Modedesigner, wo sie tatsächlich als "Fashion-Ikone des Jahres" ausgezeichnet wurde (so viel zur Rückgratlosigkeit einer von Geld und Glamour korrumpierten Branche). Rihanna erschien in einem mit Swarovski-Kristallen bestickten, hautengen, volltransparenten Ganzkörpernetz, unter dem sie einen fleischfarbenen String trug und sonst nichts. Das Nichts über dem Nichts hatte der Designer Adam Selman angefertigt, der nur Eingeweihten ein Begriff ist. Insofern war der Auftritt bei der Aids-Gala in der Met eine Professionalisierung des Looks, denn diesmal konnten die Modeblogger einen High-Fashion-Namen ins Netz tröten, eben den von Tom Ford. Und damit war das Nacktkleid salonfähig. In gewissen Kreisen jedenfalls.

Rihanna im Ganzkörpernetz. (Foto: AFP)

Es gibt diese sehr schöne Schluss-Szene von "Prêt-à-Porter", Robert Altmans Satire auf die Modebranche: Die TV-Reporterin Kim Basinger steht in Paris am Laufsteg, wo gleich die Show beginnen soll, sie plappert schon mal aufgeregt ins Mikrofon. Dann kommen die Models und sind nackt. Basinger versucht mit Todesverachtung, diesen unerhörten neuen Look in Worte zu kleiden, bis es ihr schlussendlich die Sprache verschlägt - worauf sich ihre Assistentin das Mikro schnappt und weiterplappert.

Und jetzt wüsste man eben wahnsinnig gern, was das Publikum vor dem New Yorker Metropolitan Museum gesagt hat, als die Damen kürzlich die Treppe zur jährlichen Mode-Gala raufstöckelten, also J.Lo, Kim und Beyoncé, und nichts anhatten, jedenfalls fast. Ob sich da einer ein Herz gefasst und gerufen hat: "Aber ihr habt ja gar nichts an!"

Man mag es kaum glauben, wo einem die Brüste und Hintern doch von jeder Magazinseite entgegenquellen: Nacktheit ist für Frauen immer noch eine tadellose PR-Maßnahme, solange es nur scharfe und berühmte Frauen sind. Wer daran zweifelt, soll bei Google Bilder doch mal "Met-Gala 2015" eingeben und sieht dann Hunderte Beyoncés und Jennifers, obwohl an diesem Abend nahezu die komplette weibliche Superstar-Riege anwesend war, nur eben angezogener. PR übrigens heißt bei Nacktkleidern ja immer auch: Körper-PR. Der rote Teppich ist der einzige noch verbliebene Kontext, um einen glaubhaft perfekten Körper vorzuführen.

Was ist davon zu halten?

Im Kino gibt es für Nacktszenen Body Doubles, selbst die Beine auf dem "Pretty Woman"-Plakat waren nicht die von Julia Roberts - das wissen viele. Dass die Körper und Gesichter auf den Titelseiten, in den Beauty-Kampagnen und Modestrecken geglättet, verschlankt, optimiert worden sind, wissen alle. Wie also kann ich den Skeptikern dort draußen beweisen, dass meine Beine tatsächlich frei von Cellulite sind, meine Pobacken stramm, die Brüste fest? Indem ich in der Karikatur eines Kleides über den roten Teppich laufe.

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Haut couture? oder nur Blößenwahn? Prominente von Jennifer Lopez bis Beyoncé zeigen derzeit viel nackte Haut.

So viel zum Thema Wie-konnte-es-dazu-kommen und hin zur ungleich interessanteren Frage: Was ist davon zu halten?

Drei Antworten zur Auswahl, zunächst die altfeministische: Die Trägerinnen von Look Nr. 29 und seiner Klone haben den männlich-stereotypen Blick auf Frauen erst zur Kenntnis genommen und dann verinnerlicht, sie bieten sich ihm quasi vorauseilend als Sexspielzeug dar. Damit verhöhnen sie so ziemlich alles, wofür die Frauenbewegung in den letzten fünfzig Jahren gekämpft hat. Positiv ist lediglich, dass diese Figuren nicht auf die Proportionen eines 14-jährigen Mädchens heruntergehungert wurden, sondern eindeutig Frauenkörper sind.

Die neofeministische Lesart geht so, dass sich Rihanna & Co. von der weiblichen Gefallsucht längst emanzipiert haben. Ihre Trophäe ist nicht mehr der über ihre Kurven schweifende begehrliche Blick des Mannes, vielmehr zelebrieren sie eine Körperlichkeit, die sich selbst genug ist. Die zur Schau gestellten großformatigen Hintern und Brüste stehen für eine selbstbestimmte, aggressive Sexualität. Diese Frauen sind keine Opfer, sondern Täterinnen. Im echten Leben hätten die Männer Angst vor ihnen.

Mit dem echten Leben haben diese Sirenen nichts zu tun, weshalb feministische Kriterien hier auch nicht greifen: Das ist die dritte Lesart, der wir hier leise zuneigen. Bezeichnenderweise sind selbst die Verstrahltesten unter den grundverstrahlten Modebloggern nicht auf die Idee gekommen, den "Naked Dress" als Thema auszurufen, das Frauen jetzt was anginge. Rihanna & Co. auf dem roten Teppich sind offensichtliche Kunstgestalten, die zurzeit schrillste Nummer im Entertainment-Zirkus. Nicht umsonst erinnern ihre Kleider an die glitzernden und aufwendig bestickten Kostüme von Artistinnen beim Gang in die Manege: Immer denkt man, unter der Stickerei die reine Nacktheit zu erkennen, aber wenn sie die Umhänge dann abwerfen und hinaufsteigen in die Zirkuskuppel, tragen sie nudefarbene Trikots. Rihanna in Look Nr. 29, das ist der gleiche alte Zirkustrick: Die Nacktheit unter diesem Nichts von Kleid war am Ende bloß ein anderes Kostüm.

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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