Autos:Vater, Mutter, Kombi

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Niemals protzig, immer praktisch: Der Kombi war lange das Lieblingsauto der Deutschen. Seit einigen Jahren wird er zum Softie getrimmt. Warum eigentlich?

Von Max Scharnigg

Die Gelegenheiten nehmen ab, deswegen ist es Zeit für einen Appell: Wenn Ihnen ein Volvo Kombi der 700er-Reihe begegnet, bitten Sie den Besitzer doch mal höflich um eine Probefahrt. Keine Angst, das Auto sieht nur aus wie eine 8oer-Jahre-Schrankwand, es fährt sich aber erstaunlich wendig. Und da es aus einer Zeit stammt, in der Fenster in den Autos noch keine Schande waren, hat man auch genug Übersicht über das, was sich jenseits des monströs kantigen Hinterteils so tut. Das eigentliche Aha-Ereignis aber wird der Sitz sein, oder besser: der Sessel. Volvo baute in seinen gutmütigen Lastwagen damals Sitze, die das ganze Gefährt in einem Gefühl zusammenfassten: Uffza! Man versank darin so geräumig, wie zwei Meter weiter hinten der halbe Hausstand in den Tiefen der Ladeluke versank. Und Sitzheizung war Standardausrüstung! So gondelt man in einem warmen Ohrenbackensessel mit angebauter Scheune durch die Welt.

Man sollte dieses Gefühl unbedingt noch mal erleben, denn es ist selten geworden. Kombis müssen seit der Jahrtausendwende plötzlich Tugenden haben, die in der Natur eines Kombinationskraftwagens eigentlich noch nie angelegt waren. Dessen Ziel war es ja immer, Qualitäten eines kleinen Lasters annähernd mit der Fahrbarkeit eines Mittelklassewagens zu vereinbaren, und das am besten bis jenseits der 300 000 Kilometer und des dritten Kindes. Er sollte vor allem einstecken können wie ein Preisboxer und musste dabei nicht sportlich-dynamisch herumtänzeln.

Genau das aber versuchen die Autobauer, seit Kombi angesichts von Van und SUV die irgendwie uncoolste Typbezeichnung wurden. Also dichteten die Ingenieure und Marketingabteilungen den Allesschluckern neue Lifestyle-Qualitäten an, halbierten die Aussicht aus den steilen Fenstern, windkanalisierten Dächer und Flanken, pfeilten die steilen Heckklappen und schnippelten vor allem ungeniert am Stauraum herum und damit am Allerheiligsten. Alles nur um dem Design die Wuchtigkeit zu nehmen und einem gemütlichen Typen mit dickem Hintern ein paar Sixpacks anzutrainieren. Schrankwände wurden zu Haifischen, Lastesel kamen in den Streichelzoo. Viel Mühe floss in den letzten Jahren in diese Verweichlichung des Kombis, statt vielleicht endlich mal ein überzeugendes Rückbank-Klappsystem zu entwickeln. Eines, das für eine wirklich ebene Ladefläche sorgt und nicht nur für Rückenschmerzen. Das wäre sinnvoller, als immer neue Zwitter aus Kombis und Kompaktklasse zu präsentieren, all die Sportbacks und Sportwagons, nur um am Ende lauter Autos zu haben, in die ungefähr gleich viel hineinpasst (nämlich eher wenig) und die ungefähr gleich aussehen (nämlich irgendwie aerodynamisch).

Wozu überhaupt? Die Deutschen lieben doch eigentlich ihre uncoolen Kombis, Deutschland ist seit Jahrzehnten Kombiland Nummer eins. Nur die Schweden fahren prozentual noch lieber damit herum, sind aber natürlich der kleinere Markt. In den USA sind heute gerade mal ein Prozent der neu zugelassenen Autos Station Wagons, da haben die Geländewagen und Pick-ups die Lastenhoheit. Und in China, dem wichtigsten Automarkt für die Premiummarken? Dort versteht man Kombis überhaupt nicht, Stufenheck ist da immer noch das Maß aller Dinge. Aber das war anfangs in Deutschland auch noch so, man denke an den sprichwörtliche Hutablagen- und Wackeldackel-Spießer in den Wirtschaftswunderjahren. Erst als Nachwirkung des 68er-Sommers wurden die Autos mit dem dickem Hinterteil populär. Es brauchte sozusagen erst die Hippies, die damit das Bett ins Kornfeld transportierten. Der Volvo 240 zeigte damals mustergültig, wie viel Lebensqualität in zwei Kubikmeter Stauvolumen steckt, es war vielleicht sowieso der beste Kombi aller Zeiten. In den Siebzigerjahren folgten Passat Variant und Mercedes T, bei dem das T für Transport und Tourismus stand, den Horizont also klar absteckte. Beides waren wunderschöne Wintergärten auf Rädern, die es den Deutschen leicht machten, sich zu ihrer heimlichen Liebe zu bekennen.

Es ist ein Märchen, dass ein Kombi keine Schönheit sein kann

Seien wir ehrlich, kein anderes Auto entspricht der hiesigen Mentalität besser als eben der Mittelklasse-Kombi, der seitdem millionenfach gekauft wurde. Sollen die Italiener ihre Schnellflundern, die Amerikaner ihre aufgebockten Plastikgondeln und die Japaner ihre Techno-Schüsseln behalten, die mittelalte BRD wurde nun mal mehrheitlich im Kombi transportiert. Er passte so gut vor das neue Reihenhaus im Speckgürtel und in das Leben zwischen Betrieb, Baumarkt, Biotonne und Bibione. Er war gleichzeitig Werkbank und Familiensinn auf Rädern und deshalb nie so protzig, dass die Nachbarn tuscheln würden, selbst wenn er silberne Rückspiegel hatte. Nein, er buchstabiert immer irgendwie: Hilft ja nix, muss ja.

Wir sind sicher kein Volk von spontanen Abenteurern, wir brauchen ein Auto vor der Tür, in dem man im Notfall weite Teile des vertrauten Haushalts mit sich schleppen könnte. Sicher, das von Florian Illies einst als ikonisch besungene Golf Cabrio schenkte man sich als Zweitwagen oder den Kindern zum Abitur. Davor aber stand bitteschön ein Passat Variant, ein stolz runtergefahrener Mercedes-Kombi mit Dachreling oder doch ein Volvo mit Elchaufkleber. Häuslebauer, Pendler, Kirchentagsbesucher, Hobbybastler, Zeit-Abonnenten, Dauercamper, Jugendtrainer, Vorratskäufer, Hundebesitzer, Oberlehrer - für viele der wichtigsten deutschen Phänotypen war ein Kombi eben genau das richtige Auto.

Der neue Volvo V90 steht wohl eher am Flughafen. (Foto: PR)

Und um das an dieser Stelle einmal deutlich zu sagen: Es ist ein Märchen, dass ein Kombi keine Schönheit sein kann. Zumindest bei den Volvos waren sie immer die gefälligere, harmonischere Variante. Ein Stufenheck lässt einen Volvo ja bis heute irgendwie kaputt wirken. Die Form eines gelungenen Kombis stellt für das Auge des Betrachters ein logisches Crescendo da: Die Motorhaube steigt stimmig zur Fahrgastzelle an, die nahtlos in den Frachtbereich übergeht und am Ende schnörkellos abschließt. Kein verschämtes Verstecken der Funktion, kein Hehl um den Nutzwert, klar ersichtlich, wo vorne und hinten ist. Anders gesagt: Hätten die Bauhaus-Künstler in Weimar oder Dieter Rams ein Auto entworfen, es hätte sicherlich 90-Grad-Winkel gehabt. Heutige Kombis sehen dagegen gerne mal aus wie eine Python, die eine Gartenbank verschluckt hat.

Nicht mehr nur Tourismus und Transport, sondern ein bisschen von allem

In diesen Wochen hat Volvo nun seinen neuesten Kombi vorgestellt. Der V90 wird im Sommer auf die Straßen kommen und dann den V70 ablösen und damit wird vor allem eines verschwinden, nämlich die letzte annähernd senkrechte Heckscheibe aus Schweden. Im V70 hatten sich trotz allerlei Designattacken bis zuletzt noch kredible Reste der guten Kastenbrot-DNA gehalten. Der neue V90 nun ist ein schönes Auto geworden, sehr groß und trotzdem leider kein bisschen klotzig. Seitdem sie in Göteborg so erfolgreich SUVs bauen, ist die ganze Marke überhaupt irgendwie gentrifiziert worden. Man fährt damit nicht mehr als kleckernder Familienverband zu Ikea sondern zu zweit ins Designer-Outlet oder gleich nach Gstaad. Und kein Lehrer kann sich die großen Modelle mehr leisten.

Aber was heißt schon groß? Der alte 740er-Kombi hatte hinten eine ebene Liegefläche von 180 cm auf 150 cm, das war ein veritables Doppelbett. In den neuen passen, trotz seiner stolzen Erscheinung, deutlich weniger Luft und Liebe. Aber das ist nicht das Schlimmste, viel schlimmer: Er ist einfach zu elegant und dynamisch, für den schnöden Umzug von einer Einzimmerwohnung in eine Zweizimmerwohnung, zu cool für den Transport der Folkband inklusive Instrumente oder für eine Liebesnacht im Kornfeld. Die ersten Details auf der Volvo-Homepage beschreiben beim neuen V90 dann auch vor allem appetitlich den Surround-Sound und das Design der Lüftungsschlitze. Man sollte bei aller Begeisterung für den fahrenden Wellnessbereich aber nicht vergessen: Luxuskombi, das war eigentlich mal eine Antithese.

Offenbar ist die alte Kombi-Zeit mit dem V70 also vorbei. Trotz der noch starken Verkaufszahlen - die Verweichlichung hat das Prinzip Kombi geschwächt und gesichtsloser gemacht. Vans sind die praktischeren Familienautos, SUVs haben die Kombis als beliebtesten Autotypus abgelöst, sind auffälliger, bieten Übersicht, Freizeit-Gepränge, Ego-Boost und leidlich Stauraum, 2016 werden sie ihren Vorsprung weiter ausbauen. Obwohl Kombis bei gleichem Fassungsvermögen weniger CO₂ ausblasen und Sprit brauchen.

Mehr Auto reicht nicht mehr als Argument für einen Kombi. Deshalb steht Kombination bei den neuen Modellen nicht mehr für Tourismus und Transport, eher für eine beliebige Melange aus Beinfreiheit, Knautschzone, PS-Rechtfertigung, Work-Life-Balance, Sparsamkeit, Chef-Understatement, Langstrecke und Flex-Irgendwas. Um noch mithalten zu können, reißen die Kombis die angeschrägten Heckklappe immer weiter auf. Nur irgendwie ist längst nicht mehr so viel dahinter.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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