Ausstellung:Luxusfetzen

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Die Designerin Rei Kawakubo hat mit ihrem androgyn intellektuellen Label Comme des Garçons die Mode revolutioniert. Eine Schau in New York widmet sich der Japanerin.

Von Catrin Lorch

Einem Reporter hat Rei Kawakubo nach einem recht einsilbig verlaufenen Gespräch einmal auf die Frage, ob jemand wie sie auch manchmal lacht, geantwortet: "Ja. Wenn Leute hinfallen." Das war 2005, und seither sind die öffentlichen Auftritte der Designerin noch rarer geworden. Schon länger zeigt sie sich nicht mehr nach den Defilées ihres Labels Comme des Garçons in Paris. Ihr letztes Interview gab sie in diesem Mai per E-Mail, die Antworten waren so knapp formuliert wie die Sätze in einem Telegramm und auch in den gleichen Großbuchstaben geschrieben. Deswegen wunderte sich keiner, als die Japanerin zur Vernissage der gewaltigen Ausstellung, die das New Yorker Metropolitan Museum of Art ihr gerade ausrichtet, mit einer Sonnenbrille erschien. Ihr neuer Spitzname "Delphi Orakel" erscheint aus der Perspektive der Medien treffend.

Nur passt er nicht. Wer der Japanerin begegnet - beispielsweise in ihrem Showroom in Paris -, erlebt eine elegante Geschäftsfrau, die sich freut, wenn die aktuelle Kollektion gefällt. Die einem in Ruhe die Details der Schnittführung erklärt und ein wenig plaudert. Man würde sie dennoch nie mit einer Verkäuferin verwechseln, auch mit über siebzig hat sie eine Haltung, Ausstrahlung und Geschmeidigkeit, wie sie älteren Künstlern zu eigen ist.

Gegen das Diktat von Brust, Taille, Hüften: Rei Kawakubo widersetzt sich dem, was die Modewelt unter Weiblichkeit versteht. (Foto: Landon Nordeman/The New York Tim)

Wirkliche Bedeutung zeichnet sich gerade in der Modewelt über Jahrzehnte ab. Wer mit Mitte siebzig immer noch im Geschäft ist, weil die Szene in jeder Saison aufmerksam jedes Detail der Entwürfe verfolgt, ist bedeutend. Bedeutend ist insofern auch Yohij Yamamoto, der gemeinsam mit seiner damaligen Partnerin Rei Kawakubo und dem Kollegen Issey Miyake Anfang der Achtzigerjahre mit einem als "Hiroshima-Chic" apostrophierten Lumpenlook die Modewelt mit Schockwellen durchschüttelte.

Das Beben, das Rei Kawakubo verursacht, dauert an. Es gibt heute wohl keinen Designer, der sich nicht mit ihren Entwürfen beschäftigt hat. Und das gilt bis zur jüngsten Generation. Demna Gvasalia, der das aktuelle Stilempfinden prägt wie kaum ein anderer, hat bei Martin Margiela gelernt, ein erklärter Anhänger von Rei Kawakubo. Die Ähnlichkeit der Entwürfe von Gvasalia mit denen der Japanerin ist markant, von den überlangen Ärmeln, die seine Kollektionen bei Vetements unverkennbar machten, bis zu den tief sitzenden Schultern der verdrehten Hemdkleider, die er bei Balenciaga einführte. Ausgedacht hat sie sich Rei Kawakubo, schon vor Jahren.

Wann immer die Modewelt ratlos ist vor Neuem, nie Gesehenem, wird die Kunst als Vergleich bemüht. Dass Rei Kawakubo Literatur und Kunst studierte und als Autodidaktin über ihren ersten Job als Stylistin zur Mode kam, fordert die Gegenüberstellung geradezu heraus. Man sollte das aber nicht überstrapazieren, Künstler ist nicht die Steigerungsform von Designer, sondern ein ganz anderer Beruf. Bemerkenswert bleibt, wie vertraut die Mittzwanzigerin, die sich 1967 selbständig macht, mit Kunst ist: Sie verbannt ihren Namen aus der Corporate Identity und tauft die Firma "Comme des Garçons", ein programmatischer Name nach einer Chansonzeile von Françoise Hardy. Sie fotografiert ihre ersten Entwürfe in gefaltetem Zustand, frontal in Schwarz-Weiß. Die durchaus tragbaren Hemden oder Kleider sehen dadurch aus wie Konzeptkunst. Aus der Sicht der auf Silhouetten, Farben und junge Frauenkörper fixierten Modeindustrie war diese Inszenierung so aufregend, als präsentiere ein Möbelvertreter ein neues Schranksystem. Und als müsse sie noch eins draufsetzen, installiert Kawakubo in der minimalistisch weiß durchgefliesten Boutique, die sie 1976 in Tokio eröffnet, nicht mal einen Spiegel.

Es ging Rei Kawakubo aber nie darum, Minimalismus als schicken Effekt zu vermarkten oder Kunst-Avantgarde in guten Alltagsgeschmack zu übersetzen. Sie wurde zur Visionärin, weil sie sich von Geschlechter-Stereotypen verabschiedete. Und zwar Jahrzehnte bevor eine Theoretikerin wie Judith Butler "Gender Trouble" veröffentlichte oder die Künstlerin Cindy Sherman die Versatzstücke weiblicher Klischees wie eine Kostümierung auseinandernahm. Dass ausgerechnet eine Modemacherin als Erste das verkaufsfördernde Ideal "Weiblichkeit" zerstörte, ist das Radikale an Comme des Garçons, was übersetzt übrigens "wie die Jungs" heißt.

Comme des Garçons verzichtete auf das Diktat von Brust, Taille, Hüfte, schickte die Models in flachen Schuhen auf den Laufsteg und schminkte ihnen auch noch die schönen Gesichter zu, versteckte ihre Haare unter Hüten. Wer sich das traut im Modezirkus, sollte eine gute Geschichte zu bieten haben und attraktive Darsteller. Für Kawakubo sind das: der Clown, die Puppe, der Landstreicher. Matrosen, Akrobaten, Hotelpagen. Dass etwas schön sein kann, ohne hübsch zu sein, ist das Credo dieser Truppe. Mit ihnen marschiert auf Kawakubos Schauen die Würde der Außenseiter auf, gekleidet in schlichte Röcke, Fischerhose, Harlekinkragen. Mit ihnen zog - bei aller vorgeblicher Verspieltheit - ein zurückhaltender Ernst in die Mode ein, der vorher nur Arbeitskleidung und Uniformen zu eigen war.

Ausgerechnet die saisonal wechselnde Mode, bis zum Auftauchen dieser Geschöpfe von flüchtigen, luxuriösen Traumbildern angetrieben, gab sich bei Kawakubo strapazierfähig und bodenständig. Einen "armen Luxus" nennt Adrian Joffe den Stil von Comme des Garçons. Der Brite ist seit 1991 mit Rei Kawakubo verheiratet, ein praktizierender Buddhist und Boxer, und für die geschäftliche Seite des Konzerns zuständig. Branchenkenner schreiben ihm die Erfindung der Unterlinien zu (etwa Comme des Garçons Shirt), die Kooperationen mit Fred Perry oder Speedo, die Idee der temporären Guerilla Stores. Joffe, zehn Jahre jünger als seine Frau, vertritt auch legendär unattraktive Kollektionen mit Stolz, etwa die Kleider, die seine Frau mal mit Buckeln und Beulen aufpolsterte. "Wenn sich etwas zu gut verkauft, macht sich Rei Sorgen, das Produkt sei nicht aussagekräftig genug."

Er weiß, wie ernsthaft seine Frau arbeitet. Dekonstruktivismus ist für sie kein Effekt, sondern der Versuch herauszufinden, was dem Hemd von der steifen Anmutung bleibt, wenn die Ärmel fehlen, die Knopfleiste, der Kragen. Kawakubo untersucht Mode mit der Neugier, mit der ein Schulkind dem Käfer die Beine ausreißt. Nur dass sie ihn wieder zum Krabbeln bringt, wenn sie herausgefunden hat, was bloße Konvention war. Dann taugt der zarte Stoff des Herrenhemds plötzlich zum Jackett, die Hose lässt sich im Schnitt eines Kleides verstecken. Das hat vor ihr niemand gewagt - und die meisten übernehmen von ihrem Denken auch höchstens die Details.

Nein, es kann sein, dass niemand versteht, warum man seine Silhouette mit einem falschen Buckel aufpolstert statt mit Push-up-Dessous. Wer Comme des Garçons trägt, blickt aber immer mit Erstaunen auf den eigenen Körper. Nicht, weil er wie verwandelt wirkt. Sondern weil man womöglich gar nicht wusste, wer alles in ihm steckt.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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