Trendaccessoire:Die gefälschte Retro-Uhr

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Keine Uhr, sondern eine Kamera von Casio - aber immerhin eine echte. (Foto: DPA)

Es ist die Uhr der Hipster und Bombenleger dieser Welt: die Casio-Retro-Armbanduhr. Wenn sie nicht gerade "Made in India" ist. Denn die Fälschung zeigt die Uhrzeit falsch an, blinkt aber dafür in acht verschiedenen Farben. Eine Stilkritik.

Von Johannes Boie

Zur Auswahl stand auch eine gediegene Taschenuhr. Sie wog schwer, vielleicht, weil sich unter dem aufgeklebten Aluminium-Imitat aus Plastik ein Gehäuse aus rostigem Stahl befand. An der obligatorischen metallfarbenen Kette wiederum konnte das hohe Gewicht nicht liegen. Die war aus Hartplastik.

"Five Dollar", sagte der indische Straßenhändler, "five Dollar, last Price, good Quality." Den letzten Punkt wollte er verdeutlichen, indem er die Uhr an sich riss und sie mit ordentlich Wumms gegen den Pfosten einer Straßenlaterne schlug. Die Uhr zerbrach in ihre Einzelteile. "No worries", sagte der Händler, "I have a better one for you." Er seufzte und zog eine silberne Armbanduhr aus seiner Tasche. "Only one Dollar." So kam man in den Besitz einer vielleicht nicht ganz echten Casio A159 Armbanduhr.

Das Modell mit Flüssigkristallanzeige ist für Hipster weltweit das, was die Nomos Tangente für die meisten anderen Menschen ist: haben viele, geht aber eigentlich immer. Nur bei der indischen Uhr ist das Gegenteil der Fall: Sie geht eigentlich nie, schon gar nicht pünktlich. Sie geht lieber zu spät, und zwar pro Tag um circa fünfzehn Minuten. Das ist eine erstaunliche Leistung für ein digital gesteuertes Gerät. Obendrein kann die Uhr in acht verschiedenen Farben blinken, was super wäre, wenn man Freunde hätte, die gerade sieben Jahre alt geworden sind. Stattdessen hat man einen Job, in dem ständig alle irgendeine Deadline einhalten müssen, weil sonst die Zeitung nicht gedruckt werden kann oder die Konkurrenz schneller ist.

Andererseits sollte man vielleicht nicht schneller urteilen, als die Uhr tickt. Denn aus auf Wikileaks veröffentlichten Akten mit Bezug auf ehemalige Guantanamo-Häftlinge geht hervor, dass die Stilexperten des US-Militärs die Casio A159 und ihr Pendant mit Plastikarmband - die unter Freunden exakter Zeitmessung ebenfalls als kritisch bekannte F91 - sehr ernst nehmen.

Die Uhren gelten offiziell als "Anzeichen für ein Qaida-Training mit unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen", kurz: Es sind die Uhren von Bombenlegern. Dass die Übermacht der Hipster in den Städten dieser Welt eine Form von Terrorismus ist, ist sicher richtig, andererseits spricht die eigene Erfahrung mit der falschen Casio dafür, dass die Nachrichtendienste ihre Erkenntnisse vielleicht noch einmal überprüfen sollten: Niemand braucht eine Uhr, die ständig zu spät geht. Schon gar nicht Menschen, die sie als Bombenzünder verwenden möchten.

© SZ vom 16.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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