WM-Quali gegen Russland:Der Querulant Andrej Sergejewitsch

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Mal desinteressiert, mal lauffaul, mal brillant - Russlands bekanntester Fußballer Andrej Arschawin betreibt weiter seinen Wechsel nach Westen.

J. Aumüller

Es hat in der jüngeren Fußball-Geschichte schon viele vermeintliche Duplikate von Diego Maradona gegeben, den Alpen-Maradona (Andi Herzog) und den Asien-Maradona (Ali Karimi), den Balkan-Maradona (Gheorghe Hagi) und nicht zu vergessen all die vielen kleinen Neo-Maradonas aus dessen argentinischer Heimat.

Was kann ich denn dafür, dass ich so gut bin? Andrej Arschawin feiert sein Tor zum 3:1-Endstand im EM-Viertelfinale gegen Holland. (Foto: Foto: Getty)

Natürlich haben sich all diese vermeintlichen Duplikate als mehr oder minder große Fälschungen entpuppt - und natürlich hinkt die Parallele auch im Fall des bei der Europameisterschaft im Juni stark aufspielenden Russen Andrej Arschawin, der am Samstag mit der Sbornaja in Dortmund auf Deutschland trifft -, aber wenn dieser Maradona-Vergleich schon in der Fußball-Welt herumgeistern muss, dann sollte man sich vielleicht überlegen, welches der Präfixe klanglich am besten passt: Russland-Maradona, Newa-Maradona oder Piter-Maradona (Piter ist die in Russland gängige Abkürzung für St. Petersburg).

Große Leistungsschwankungen

Denn auch wenn der Argentinier in seiner Art einmalig bleibt, so erinnert Arschawin, 27, bisweilen schon an ihn: manchmal genialisch und manchmal lauffaul, oft eigensinnig, meist starrköpfig, und nahezu immer unberechenbar, kurzum: ein schwieriger Charakter. Da ist einerseits der Arschawin, der seit einigen Jahren konsequent den Torjubel für seinen Klub Zenit St. Petersburg verweigert, weil der seinen Kumpel Wladimir Bystrow 2005 an Spartak Moskau verkaufte. Der sich im Trikot seines Lieblingsvereins FC Barcelona ablichten lässt, um seine Wechselabsichten zu dokumentieren, und sich nicht darum schert, was die Vereinsoffiziellen davon halten. Der mit zwei Mitspielern den Zapfenstreich überzieht, mal einfach so ein Ligaspiel bestreikt oder auch dann Trainer Dick Advocaat massiv kritisiert, wenn es im Verein gut läuft.

Und da ist andererseits der Arschawin, der über eine fußballerische Klasse verfügt wie kaum ein anderer Offensivspieler in Europa. Der technisch brilliert, mit irren Ideen für Tore und Torvorlagen sorgt und an guten Tagen auch die Mitspieler nicht vergisst. Der selbst eine starke Abwehr wie die der Niederlande schwindelig spielen kann.

Schon immer ein eigener Kopf

Wer den Fußballer Arschawin verstehen will, der muss sich anschauen, wie das Kind Arschawin groß wurde. Seine Eltern trennten sich früh; als er sieben war, steckte ihn sein Vater in die Jugendabteilung von Zenit, wo der kleine Andrej mehrfach aneckte; er musste mehrfach die Schule wechseln; er galt als unangepasst und ungezogen. Später hat er Modedesign studiert und zwei Bücher geschrieben. Andrej Sergejewitsch Arschawin wurde etwas, was es im kollektiv denkenden Russland kaum gab und gibt: ein Individualist, sagen die, die es gut mit ihm meinen; ein Querulant, sagen die, die es nicht so gut mit ihm meinen.

Nur einmal nahm er die Rolle des Mitläufers ein: Als er sich wie so viele andere Sportler auch bei einer Kommunalwahl für "Einiges Russland", die Partei des Ministerpräsidenten Wladimir Putin, einspannen ließ und fürs Petersburger Stadtparlament kandidierte; das erreichte Mandat freilich lehnte er ab. "Meine Mentalität ist nicht russisch, ich sehe nicht russisch aus. Ich glaube, ich bin kein typischer Russe", sagte Arschawin einmal.

Kein typischer Russe

Und dieser Individualist/Querulant ist Arschawin auch auf dem Platz geblieben. Neben den typischen Kollektivrädchen wie Konstantin Syrjanow oder Sergej Semak wirkt er wie ein Außenseiter. Arschawin kennt das Wort Abwehrverhalten nicht, im Vergleich zu ihm ist Bayerns Franck Ribéry ein König der Rückwärtsbewegung. Arschawin ist ein Freigeist. Eine Diva. Ein Künstler.

Derzeit hat der Trotzkopf die Überhand gegen den kreativen Individualisten gewonnen. Die Sommerposse um einen Wechsel ins Ausland hat ihn mitgenommen. Tottenham, Arsenal, Barcelona - nach der EM wollten ihn die Großklubs verpflichten. Auch der FCBayern soll nachgefragt haben. Und Arschawin wollte weg. Die Katalanen boten angeblich 22 Millionen Euro, doch Zenit wollte 25. Der Wechsel platzte. Seitdem kommt Arschawin nicht mehr recht in Schwung. Bei Zenit spielte er oft wie desinteressiert und ausgesprochen lauffaul. Eine Leistung wie die am vergangenen Spieltag (ein Tor, zwei Vorlagen beim 8:1 gegen Wladiwostok) hatte Seltenheitswert.

Nun geht Arschawins Wechselwunsch in Runde zwei. Vehementer als im Sommer drängt er darauf, dass ihn der Klub nach Saisonende im Winter (in Russland wird nach dem Kalenderjahr gespielt) ziehen lässt. Konstantin Sarsanija, Berater des Zenit-Vorstandes in Transferfragen, deutete an, dass man ihn gehen lasse würde. Arschawin, der vom Klub ein Angebot bis 2013 vorliegen hat, bei dem sein gemutmaßtes Jahresgehalt von 2,5 Millionen Euro deutlich aufgestockt werden soll, hat ein bisschen Angst: Wenn es jetzt mit dem Transfer nicht klappt, werde er wohl bis ans Lebensende bei Zenit St.Petersburg spielen, mutmaßt er. Ein Leben lang für einen Klub - für ein Maradona-Duplikat ist das einfach unvorstellbar.

© SZ vom 10.10.2008/JBe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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