Weltfußballverband:Fifa erlebt den Rückfall in düstere Blatter-Zeiten

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Gianni Infantino: Vorwärts in die Vergangenheit (Foto: REUTERS)

Gianni Infantino schockiert als neuer Fifa-Präsident mit strategischen Alleingängen - und torpediert so die angeschobene Reform des Verbandes.

Von Thomas Kistner, München

Ein Fußball-Kongress als Wundertüte: So stellte sich die erste Zusammenkunft des Weltverbandes Fifa unter Präsident Gianni Infantino in Mexiko-Stadt dar. Allerdings waren es unangenehme Überraschungen, die der neue Schweizer Alleinunterhalter an der Fifa-Spitze präsentierte.

Eine führte schon am Samstag zum Rücktritt von Domenico Scala, dem Chef des bisher unabhängigen Audit- und Compliance-Komitees. Infantino dreht damit das Rad in der Fifa zurück, bis in die Anfänge seines Vorgängers Sepp Blatter: Bis 2017 darf jetzt ausgerechnet der skandalumwitterte Fifa-Vorstand, der in ein Council umgebaut wird, das Personal für die bisher unabhängige Compliance-Kommission berufen; und auch für die beiden sehr unbequemen Ethik-Kammern sowie für das Berufungsgremium.

Fußball-Weltverband
:Fifa-Chef-Aufseher Scala tritt aus Protest zurück

Weil die Fifa-Entscheider ihre Kontrolleure künftig selbst bestimmen wollen, wirft Domenico Scala hin. Die Fifa meint: Er hat den Zweck des Beschlusses "falsch interpretiert".

Niersbach, Infantino: Viele Fifa-Granden stehen noch im Fokus

Es geht noch bizarrer: Die alten Spitzenleute, darunter einige, die im Fokus der Ermittlungen sind, dürfen ihre Aufpasser nun auch selber absetzen. Was das heißt, könnte sich am Fall Wolfgang Niersbach zeigen. Der deutsche Fifa-Vorstand musste wegen der Affäre um die WM 2006 sein Amt als DFB-Präsident abgeben, in der Sommermärchen-Causa ermitteln seit Monaten deutsche und Schweizer Staatsanwälte. Die Fifa-Ethikkommission steht kurz vor einer Sanktionierung des Deutschen, der 2015 als Fifa-Topfunktionär viele Ungereimtheiten um Millionenzahlungen im Kontext der WM 2006 zu verschleiern half. Dass jetzt unliebsame Mitglieder der unabhängigen Ethik-Kammern abberufen und durch neue ersetzt werden können, wird durchaus als Drohung aufgefasst.

Niersbach war schon vor der Wahl als besonders ergebener Mitstreiter Infantinos aufgefallen. Und der neue Fifa-Boss kann selbst nicht mal sicher sein, dass er nicht noch in den Fokus der - bisher unabhängigen - hauseigenen Ethikermittler gerät. Nur Wochen nach seiner Wahl am 26. Februar tauchte Infantino im Kontext der Panama Papers auf. Und nur Stunden, nachdem fragwürdige Geschäftsvorgänge in der Europäischen Fußball-Union publik geworden waren, für die auch Infantino damals als Rechtsdirektor gezeichnet hatte, führte die Schweizer Bundesanwaltschaft eine Razzia am Uefa-Sitz in Nyon durch, um die Verträge zu sichern. Ermittelt wird gegen unbekannt. Infantino hat jedes Fehlverhalten von sich gewiesen.

Nun heißt es also vorwärts in die Vergangenheit mit Infantino. Es wurde in den vergangenen Monaten deutlich, wie es aussah, als unter Amtsvorgänger Blatter die Ethiker ins Aufpassergremium berufen wurden: Denn Juan Pedro Damiani, Fifa-Ethiker der ersten Stunde, musste seinen Platz räumen, nachdem er (dank der Panama Papers) als Spezialist für Offshore-Firmen aufgeflogen war. Eng beraten hatte er auch Leute, die in den Fokus der Fifa-Ermittlungen des FBI geraten waren und im Gefängnis gelandet sind. Damiani, der jedes Fehlverhalten von sich weist, ist seither selbst ein Fall für die Ex-Kollegen.

Der gesperrte Platini wird zur EM geladen - ein Regelbruch

Das könnte bald auch Jacques Lambert blühen. Der Franzose räumte im Herbst den Ethiker-Platz, nachdem sein Landsmann Michel Platini gemeinsam mit Blatter wegen eines dubiosen Millionendeals mit Fifa-Geldern suspendiert worden war. Lambert hat den mittlerweile für vier Jahre von allen Fußballaktivitäten gesperrten Platini sogar als Ehrengast zur Fußball-EM in Frankreich eingeladen, deren Organisationschef er ist. Das wäre ein klarer Bruch der Ethikregeln, durch deren ehemaligen Hüter.

Compliance-Chef Scala reagierte nun mit seinem Rücktritt auf die Maßnahme. "Der Fifa-Kongress hat die Wahl, respektive Absetzung der Mitglieder der unabhängigen Aufsichtsinstanzen - wie der Ethikkommission, der Rekurskommission, der Audit & Compliance Kommission und der Governance Kommission - der alleinigen Kompetenz des Fifa-Councils übertragen", teilte der Schweizer mit. Und beklagt offen die Manipulationsmöglichkeiten. Es werde "dem Council künftig möglich sein, Untersuchungen gegen einzelne Mitglieder jederzeit zu verhindern, indem die zuständigen Komitee-Mitglieder abgesetzt oder mit der Drohung der Absetzung gefügsam gehalten werden. Die Gremien werden damit faktisch ihrer Unabhängigkeit beraubt und drohen zu Erfüllungsgehilfen derjenigen zu werden, die sie eigentlich überwachen sollten."

Der "konsternierte" Scala sieht die jüngst angeschobene Fifa-Reform nun schon in Teilen als gescheitert und tritt deshalb zurück. Sein Ausblick: "Ob die verabschiedeten Reformpunkte tatsächlich mit Fleisch und Blut gefüllt werden, bleibt offen. Mein Rücktritt soll auch ein Weckruf sein."

Die Chefs der Untersuchungs- und Spruchkammer im Ethikbereich, Cornel Borbély und Hans-Joachim Eckert, teilten offiziell mit, sie sähen in dem Beschluss "keinerlei Auswirkungen" auf ihre inhaltliche Arbeit. Die Kammern würden ihre Arbeit "wie bislang in völliger Unabhängigkeit durchführen". Inoffiziell wurde aber durchaus registriert, dass in Händen von Infantinos Fifa-Granden nun auch das Druckmittel liegt, Kommissionäre abzusetzen.

Die Fifa bügelte Scalas Vorwürfe umgehend als unbegründet und ohne Basis ab. Man respektiere die volle Unabhängigkeit der Gremien, Scala habe da einfach die Beweggründe "fehlinterpretiert". Das Berufungsrecht sei nur vorübergehend ans neue Council delegiert worden; man müsse allerlei Vakanzen auffüllen.

Den Eindruck, dass Infantino strategisch ausgeklügelte Alleingänge versucht, schürt allerdings auch eine andere Entscheidung, die in Mexiko völlig unterging: Fatma Samoura wird neue Fifa-Generalsekretärin und damit die umfassend ermächtigte Vorstandsvorsitzende der Fußball-Welt. Die 54-jährige Senegalesin hat keinerlei Bezüge zur Kickerbranche, sie verwaltete über zwei Dekaden Entwicklungsprogramme der Vereinten Nationen in Afrika.

Infantino, dessen Befugnisse als Präsident nach den neuen Statuten weit zurückgeschnitten werden sollen, hat mit der überfallartigen Berufung selbst enge Vorstandskollegen überrascht. Diese hatten bis kurz zuvor in Mexiko eine Entscheidung erst im Herbst verkündet. Auch die Fifa-Medienstelle verwies bei Anfragen bis zuletzt auf den späteren Sommer. Überdies stand das Thema "neuer Vorstandschef(in)" nicht einmal auf der Traktandenliste des Kongresses. Kritiker rügen nun Infantinos Stil, Transparenz sieht anders aus.

Strafrechtler Pieth: "Reformprozess wurde zusammengeschlagen"

Offenbar versucht Infantino mit der Berufung der im Fußball ebenso wie im privaten Milliardenmanagement unerfahrenen Samoura eine perfekte Fassade für sich selbst zu errichten. Einerseits lässt sich hier, auf persönliche Eckwerte bezogen, durchaus von einem Bruch mit der Vergangenheit sprechen. Jedoch wird die neue Fifa-Vorstandschefin längere Zeit benötigen, um sich in das neue Amt, die fremde Umgebung und die spezielle Branche einzuleben. Den Verdacht, dass der formal zum Aufsichtsratschef abgewertete Präsident dieses Vakuum nutzen und eine Art Über-Generalsekretär spielen will, schürt nicht nur der Handstreich, in dem Infantino diese wichtigste Entscheidung überhaupt bewerkstelligt hat.

Auch soll die neue Chefin mehr verdienen als der Präsident. Dies hat die für die Salär-Fragen zuständige Entschädigungskommission kürzlich publik gemacht. Ihr Chef war: Domenico Scala, Vorsitzender des Compliance-Gremiums. Ob nun, im Widerspruch zu den Statuten, noch nachverhandelt wird für den neuen Über-Boss Infantino? Scalas Job übernimmt interimsmäßig Sindi Mabaso Koyana, Unternehmerin aus Südafrika.

Für intime Fifa-Kenner wie den Basler Strafrechtler Mark Pieth ist klar: "Der Reform-Prozess bei der Fifa ist zusammengeschlagen worden." Dem Schweizer Blick sagte der Governance-Experte, der von 2011 bis 2014 selbst federführend die Fifa-Reform betrieben hatte: "Es ist ein Rückfall in die düsteren Zeiten des Mittelalters von Blatter." Mexiko habe ein "abgekartetes Spiel" erlebt, "die Änderungen sind in letzter Minute reingeschmuggelt worden." Überdies erhob Pieth den Vorwurf: "Geldgier zerstört die Fifa-Reformen." Dem Strafrechtsprofessor zufolge sei Infantino mit dem für ihn durch Scalas Gremium verfügten Lohn zufrieden gewesen. Der liege laut der Zeitung Blick "bei zwei Millionen Franken im Jahr".

© SZ vom 15.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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