Volleyball:Mit Witz und Ruhe

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Die deutschen Männer ziehen überraschend schnell und problemlos ins Halbfinale des Olympia-Qualifikationsturniers in Berlin ein. Damit haben sie reelle Chancen, im Sommer in Rio dabei zu sein. Sie müssen bloß konzentriert bleiben.

Von Max Bosse, Berlin

Ihre langen Arme durften Deutschlands Volleyballer am Donnerstagmorgen zunächst nur als Smartphone-Halter einsetzen. An ihrem spielfreien Tag beim Olympia-Qualifikationsturnier war der Fanklub in der Max-Schmeling-Halle zu Besuch, und es wurden fleißig Fotos mit den Idolen geschossen. Vorteil: Wer Selfies mit Volleyballern macht, braucht keinen Verlängerungsstab. In der ersten Übung auf dem Feld war der Einsatz der Hände dann verboten. Stattdessen sollte der Ball mit dem Kopf angenommen und mit dem Rücken gestellt werden. Das sah witzig aus - fanden auch die Spieler, sie lachten viel.

Niemand hätte angesichts des stark besetzten Turniers in Berlin erwartet, dass Deutschland bereits vor dem letzten Gruppenspiel gegen Weltmeister Polen am Freitag sicher im Halbfinale ist. Nicht einmal der optimistische Bundestrainer Vital Heynen hatte mit zwei 3:0-Siegen zum Auftakt gerechnet. Er, in dessen Laptop von jedem Gegner etwa 20 Spielmitschnitte zur Analyse gespeichert sind, bereitet normalerweise alles vor. "Aber das nicht", hatte Heynen nach dem beeindruckenden 3:0 (25:20, 26:24, 25:20)-Erfolg gegen den Weltligazweiten Serbien gesagt: "Wir haben jetzt zwei Tage Ruhe und dann zwei Möglichkeiten, das Ticket zu holen."

Georg Grozer, für Präsident René Hecht eine "Motivationsmaschine", hört 2020 im Nationaltrikot auf. (Foto: Conny Kurth / Imago)

In Berlin qualifiziert sich der Turniersieger für Rio, der Zweit- und Drittplatzierte bekommt im Frühsommer in Tokio gegen weitaus leichtere Gegner eine zweite Chance. "Nicht die beste Mannschaft gewinnt hier das Ticket, sondern die physisch stärkste und cleverste", sagte Heynen nach der lockeren Übungsstunde. Gegen Polen könnte er daher seine Besten auf die Bank setzen, um Kräfte zu sparen. Doch hat er bei der Europameisterschaft im Oktober mit einer ähnlichen Aktion in der Vorrunde schlechte Erfahrung gemacht. Sein herausragender Angreifer Georg Grozer hatte damals nicht so gewirkt, als ob er sich über die erzwungene Zuschauerrolle freue.

Doppelrolle: Libero Steuerwald wehrt ab, Libero Tille nimmt an

Im Sport gilt Kompromisslosigkeit als Schlüssel zum Erfolg. Deshalb stehen im Volleyball meist Typen wie Grozer im Fokus, zumal er seine Leistung mit markigen Worten untermalt. "Wir sind hier für Olympia. Das Herz muss Feuer haben, damit man weiterkommt", sagte er, nachdem er die Deutschen im dritten Satz gegen Serbien mit zwei mächtigen Aufschlagserien sowie einigen wuchtigen Schmetterschlägen zum Sieg gehämmert hatte. Weil er in Südkorea unter Vertrag steht, war er erst verspätet zur Mannschaft gestoßen und hatte aufgrund des achtstündigen Zeitunterschieds Zweifel gehabt, ob er seine Fähigkeiten abrufen könne. Gegen Außenseiter Belgien wackelte er noch, wie das gesamte Team; gegen Serbien trumpfte er auf. Zuvor hatte Grozer sich von den Kollegen mehr Emotionalität erbeten. "Im ersten Satz habe ich die Hitze im Team gespürt", freute er sich. Hinter der unerwartet guten Ausgangslage steckt aber auch das Gegenteil von dem, wofür Grozer steht, nämlich Kompromissbereitschaft.

Heynen hat in Ferdinand Tille und Markus Steuerwald zwei starke Liberos zur Verfügung, und er möchte beide im Spielrhythmus halten. Daher übernimmt Tille bei gegnerischem Aufschlag die Annahme und Steuerwald bei eigenem Service die Abwehr. "Es ist gewöhnungsbedürftig", sagte Tille. Vor dieser Saison hatte er aufgrund einer ähnlichen Aufgabenteilung seinen polnischen Verein verlassen. "Es ist schwieriger, als wenn man die ganze Zeit spielt", erklärte er. Andererseits laufe er nicht Gefahr, zwei Mal nacheinander zu patzen: "Wenn die Abwehr nicht klappt, überlegt man auch in der Annahme." Daher kann er mit dem Kompromiss leben. Steuerwald fand: "Das Projekt war erfolgreich."

Entscheidend war die deutlich verbesserte Abstimmung in Block und Feldabwehr. "Gegen Belgien waren wir etwas angespannt", sagte Steuerwald, "gegen Serbien haben wir uns teilweise in einen Rausch gespielt." Heynen lobte: "Der erste Satz war fast perfekt, das ist Olympia-Niveau." Zumindest seine Spieler sehen keinen Anlass nachzulassen. "Bisher sparen wir Kräfte, wir werden frisch sein", sagte Steuerwald. Zuspieler Lukas Kampa, der anlässlich des Fanklub-Besuchs als Deutschlands Volleyballer des Jahres geehrt wurde, will "das Spiel nutzen, um das gute Gefühl nicht in die Tonne zu treten".

Die Lehre aus der enttäuschenden EM ist für die Volleyballer, fokussiert und mit Selbstvertrauen in die Finalrunde zu gehen. "Wenn die Spieler absolut spielen wollen, ist es als Trainer schwierig, nein zu sagen", räumte Heynen ein. Das war nicht immer so bei der deutschen Mannschaft. Nun ist sie in der komfortablen Lage, einfach abwarten zu können, wer in der anderen Gruppe mit Europameister Frankreich, Olympiasieger Russland, den starken Bulgaren und den bereits ausgeschiedenen Finnen ins Halbfinale rückt. Egal gegen wen, es wird schwer genug.

© SZ vom 08.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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