Volleyball:Grozers Blackout

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Aus im Halbfinale: Gegen Russland endet für Deutschland und Denys Kaliberda (r.) die Siegesserie. (Foto: John MacDougall/AFP)

Deutschland scheitert im Halbfinale des Turniers in Berlin an Russland und der eigenen Nervosität. Am Sonntag muss das Team Polen schlagen, um noch eine Chance auf Olympia in Rio zu haben.

Von Sebastian Winter, Berlin

Vital Heynen wirkte noch ganz entspannt am Samstagnachmittag, eineinhalb Stunden vor dem Spiel. Der polyglotte Belgier plauderte ein wenig mit den Fotografen und Offiziellen am Feldrand, auf Englisch, Niederländisch, Deutsch, bevor er sich noch einmal zurückzog in der Max-Schmeling-Halle. Der 46-Jährige kam dann bereits 30 Minuten vor Anpfiff wieder aufs Feld, er schritt es in Gedanken versunken ab, bevor er mit dem sehr kernigen russischen Cheftrainer Vladimir Alekno noch ein wenig Smalltalk hielt. "Ich heb ab", schallte dazu aus den Boxen, diese Zeile aus dem Lied "Astronaut" von Andreas Bourani.

Vier Sätze später schienen die Deutschen gar nicht abgehoben, sondern sehr verwurzelt zu sein auf dem Hallenboden. Und Heynen war auch nicht mehr entspannt, sondern hielt inmitten frustrierter Sportler eine flammende Motivationsrede für den nächsten, so entscheidenden Tag. 1:3 (33:31, 22:25, 19:25, 24:26) hatten sie gerade gegen den Olympiasieger Russland im Halbfinale des Berliner Qualifikationsturnier für Rio verloren - und damit eine entscheidende Chance zu den Spielen in Brasilien vertan.

Plötzlich wird das Spiel um Platz 3 zu einem großen Finale

Die deutschen Volleyballer müssen jetzt das "kleine Finale" am Sonntag gegen Polen gewinnen (13.30 Uhr). Der Weltmeister verlor sein Halbfinale klar mit 0:3 (27:29, 30:32, 20:25) gegen Europameister Frankreich. Nur mit einem Sieg im Spiel um Platz drei könnte sich Deutschland Ende Mai beim - immerhin schwächer besetzten - Qualifikationsturnier in Japan das Ticket für Rio de Janeiro sichern. Es ist ein Alles-oder-nichts-Spiel, ein übergroßes Finale eigentlich, denn verlieren sie, ist ihr Traum endgültig geplatzt. Nach Asien dürfen nur der Turnierzweite und -dritte reisen. Russland kann sich dagegen nun bei einem Finalsieg am Sonntag direkt (16.30 Uhr) für Rio qualifizieren.

Die traurigste Figur in diesem nicht immer hochklassigen, aber durchweg spannenden Spiel ließ sich am Ende auf der Tribüne von seiner Frau trösten: Deutschlands Hauptangreifer Georg Grozer, zugleich die charismatische Führungsfigur der Mannschaft, hatte nur schwache zwölf Punkte beisteuern können, seine Angriffsquote (28 Prozent) war unterirdisch, seine Aufschläge waren es auch: Sechs von zehn landeten im Netz oder Aus. Grozer, der sich nie gegen Selbstkritik sträubt, sagte: "Ich hatte einen schwarzen Tag, einen Blackout und habe nie meinen Rhythmus gefunden. Das tut mir leid, aber so ist das manchmal im Sport."

Grozers Kollegen, wie die Außenangreifer Denis Kaliberda und Christian Fromm, die den zwei Meter großen Diagonalmann nur im ersten und vierten Satz einigermaßen ersetzen konnten, nahmen ihn in Schutz: "Mag sein, dass er nicht seinen besten Tag hatte, aber normalerweise kompensieren wir das als Mannschaft", sagte Fromm. Der eigentliche Kapitän Jochen Schöps, der auf derselben Position wie Grozer spielt, hatte sich im November beim Verlassen eines Hotelaufzuges das Schultereckgelenk geprellt und konnte nur zuschauen.

Der Druck auf den Gastgeber schien nach glänzenden Siegen über Serbien und Weltmeister Polen in der Gruppenphase und dem durchaus überraschenden Einzug ins Halbfinale gegen die Russen vor 6900 Zuschauern jedenfalls mit jedem Ballwechsel zuzunehmen. Und das, obwohl der Olympiasieger ohne seinen Weltklasse-Mittelblocker Dmitri Muserki in Berlin weilt. Wegen familiärer Probleme, das ist die offizielle Version. Manche sagen aber auch, dass er sich bei seinem Klub Belgorod überspielt hat und wegen Formschwäche gar nicht erst in die deutsche Hauptstadt reiste.

"Ich glaube nicht, dass ich müde war"

Ohne den 2,18-Meter-Hünen wirkte Russland zunächst verunsichert, lag im ersten Satz 5:9 hinten. Doch der Favorit kam wieder heran, in der dramatischen Verlängerung behielten die Deutschen die Nerven und gewannen 33:31. Im zweiten Satz führten sie schon 17:14, doch dann fiel ihr souveränes Spiel in sich zusammen. "Wir haben nicht mehr so clever gespielt und die Fehler selbst gemacht", sagte Fromm. Der dritte Satz war der schwächste von Heynens Mannschaft im bisherigen Turnier, die Körpersprache stimmte nicht mehr, sie wirkte frustriert - und Grozer schlug symptomatisch den letzten Ball ins Aus. Im vierten Satz fanden sie ihren Kampfgeist wieder, doch am Ende fehlte erneut ein Grozer in Topform. Bezeichnend: Mit seinem Angriff in den Block gewann Russland das Spiel.

Grozer war erst kurz vor Silvester zur Mannschaft gestoßen, weil er in Südkorea unter Vertrag steht und noch spielen musste. Der 31-Jährige wird dort als einer der besten Ausländer der Liga extrem gefordert. Überlastet sei er aber nicht: "Ich glaube nicht, dass ich müde war." Grozer weiß, dass der Druck am Sonntag noch zunehmen wird, gerade auf ihn. Auf Grozers Wade prangt noch das Tattoo "Olympia 2012". Fünfter waren sie in London. Sollte er aber Rio verpassen, wäre seine Nationalmannschafts-Karriere recht bald vorbei.

© SZ vom 10.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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